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Sind Türkei-Urlauber gefährdet?Maas reagiert mit Warnung auf Drohung aus Ankara

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Mehmet Ersoy, Minister für Kultur und Tourismus in der Türkei, präsentierte am Donnerstag sein Land auf der Berliner Tourismusmesse ITB. Die Zahl der Deutschen, die im Land am Bosporus Urlaub machen, nimmt wieder deutlich zu. 

Berlin – Gerade erst hatte die Bundesregierung die türkische Regierung aufgerufen, Aussagen zu möglichen Festnahmen von deutschen Türkei-Reisenden klarzustellen. Jetzt hat das Auswärtige Amt (AA) in Berlin seine Reise- und Sicherheitshinweise für das Land verschärft. Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass die türkische Regierung weitere Maßnahmen gegen Vertreter deutscher Medien sowie zivilgesellschaftlicher Einrichtungen ergreift“, heißt es nun dort. Hintergrund ist die Weigerung der türkischen Behörden, mehreren deutschen Korrespondenten eine neue Arbeitsgenehmigung auszustellen. Ohne kritische Presse gebe es aber keine freie Demokratie, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD).

Das AA verweist in seinen Hinweisen nunmehr auch auf Aussagen der türkischen Regierung von Anfang März: Wer im Ausland etwa an Versammlungen von Organisationen teilgenommen habe, die als „terroristisch“ eingestuft würden, und in der Türkei Urlaub machen wolle, der könne bei der Einreise festgenommen werden. „Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nicht-öffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation an die türkischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden“, heißt es auf der AA-Internetseite.

Zuletzt hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylu für Irritationen gesorgt, als er Urlaubern bei der Einreise mit Festnahme drohte. Mindestens 35 politisch motivierte Inhaftierungen von Deutschen seit dem Putschversuch im Sommer 2016 belegen, dass dies keine theoretische Überlegung ist. Dabei stellt sich der Türkei-Tourismus auf einen neuen Rekord ein: Sechs Millionen Urlauber aus Deutschland werden 2019 erwartet.

Wie kommen türkische Behörden an ihre Informationen?

Die einfachste Datensammlung für Ankara sind soziale Netzwerke. Formal geht es hier um „öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten“, wie es das Auswärtige Amt formuliert. Die türkischen Behörden registrierten auch solche Bemerkungen, die in Deutschland selbstverständlich von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Und sie müssten nicht einmal in eigene Worte gefasst sein. „Ausreichend ist im Einzelfall das Teilen oder ,Liken’ eines fremden Beitrags entsprechenden Inhalts“, warnen Diplomaten.

Umstrittene Äußerung

Hintergrund der Aufregung ist eine Rede des türkischen Innenministers Süleyman Soylu von Sonntag. Er hatte laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu in Ankara gesagt: „Da gibt es jene, die in Europa und in Deutschland an den Veranstaltungen der Terrororganisation teilnehmen und dann in Antalya, Bodrum und Mugla urlauben.“ Man habe auch für sie „Maßnahmen“ ergriffen. „Sollen sie doch herkommen und von den Flughäfen aus einreisen. Wir nehmen sie fest und auf!“ Und: „Von nun an wird es nicht mehr so einfach sein, draußen Verrat zu begehen, und sich dann in der Türkei zu amüsieren.“ Mit Terrororganisationen sind offenbar vor allem die auch in Deutschland verbotene kurdische PKK sowie die türkische Gülen-Bewegung gemeint. (dpa)

Was kann passieren?

Selbst die Beschränkung Türkei-kritischer Kommentare oder Likes auf nichtöffentliche Foren bildet nach den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes keinen Schutz: „Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation an die türkischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden“, heißt es in den Reisehinweisen des Ministeriums. Bei einer Verurteilung wegen „Präsidentenbeleidigung“ oder „Propaganda für eine terroristische Organisation“ riskierten Betroffene Haftstrafen.

Werden auch Bürger denunziert?

Die Denunziation haben die türkischen Behörden zur einfachen und „smarten“ Angelegenheit gemacht. Unter der Kategorie „Lifestyle“ kann jeder Smartphone-Nutzer die App EGM herunterladen: „Emniiyet Gener Müdürlügü“ – das ist die türkische Zentralpolizei. Man findet hier Parkplätze in türkischen Städten. Aber auch den Weg, Erdogan-Gegner anzuschwärzen. Wer diesen bei Facebook Diktator nennt, kann schon mal die Nachricht an seinen Facebook-Account bekommen: „Ich habe dich angezeigt, und das nächste Mal, wenn du in die Türkei kommst, gibt es für dich keine Rettung.“

Wer schwärzt Mitbürger an?

Nach Erkenntnissen der kurdischen Gemeinde in Deutschland gibt es neben den von ihr auf rund 6000 geschätzten Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes MIT viele nationalistische Türken, die es als ihre Aufgabe ansehen, die Denunzierungs-App zu nutzen. Auch versuche Ankara, über seine mehr als tausend Imame und Lehrer für muttersprachlichen Unterricht an Informationen über Regimegegner zu kommen.

Wer ist besonders gefährdet?

Von Hunderten, von Einreiseverboten betroffenen Deutschtürken sprach der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Erkan Toprak, bereits ein halbes Jahr nach dem Putschversuch. Insider aus dem türkischen Staatsapparat hätten ihm von der Existenz schwarzer Listen berichtet, mit denen die Namen eintreffender Passagiere abgeglichen würden. Deshalb kann Toprak die aktuellen Proteste wegen der Festnahme-Drohung auch schwer nachvollziehen.

Was meinen Sie?

Werden Reisen in die Türkei für einige Bundesbürger zu gefährlich? Bitte schreiben Sie uns: Dialog@kr-redaktion.de

Mit dpa.