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Schreckliche Bilder aus Wowtschansk„Leichen auf den Straßen, Folterkammern, Menschen, die in Kellern eingesperrt sind“

Lesezeit 4 Minuten
11.05.2024, Ukraine, Wowtschansk: Die 82-jährige Tetiana weint mit ihrer Tochter, als sie aus Wowtschansk gerettet wird. Ihr Ehemann wurde in ihrem Haus nach einem russischen Luftangriff auf die Stadt getötet. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die 82-jährige Tetiana weint mit ihrer Tochter, als sie aus Wowtschansk gerettet wird. Ihr Ehemann wurde in ihrem Haus nach einem russischen Luftangriff auf die Stadt getötet.

Die Ukraine berichtet von mutmaßlichen Kriegsverbrechen an Zivilisten in Wowtschank. Die Bilder aus der Stadt erinnern an Butscha.

Die Ukraine wirft der russischen Armee vor, in der heftig umkämpften Kleinstadt Wowtschansk auf Zivilisten zu schießen, das berichtete am Mittwoch „Kyiv Indenpendent“ unter Bezug auf die ukrainische Polizei. Es habe mehrere solcher Vorfälle gegeben, erklärte der örtliche Polizeichef Oleksii Kharkivskyj demnach in einem Radio-Interview. Die Ermittlungen dauern demnach an.

Ungefähr 100 ukrainische Zivilisten befänden sich derzeit noch in Wowtschansk, erklärten die Behörden. Die russische Armee verweigere jedoch ihre Abreise und habe damit gedroht, die Menschen zu erschießen, hatte der Gouverneur der umkämpften Region Charkiw bereits am Dienstag im ukrainischen Staatsfernsehen erklärt. Russland habe die Menschen „faktisch als Geiseln“ genommen, sagte Oleh Syniehubow.

Ukrainer berichtet von Mord an Frau in Rollstuhl in Wowtschansk

Laut Angaben der ukrainischen Behörden dauern die Kämpfe in der Kleinstadt unterdessen weiterhin an. „Der Feind versucht immer wieder, die ukrainischen Streitkräfte aus der Stadt zu vertreiben“, erklärte Vize-Gouverneur Roman Semenukha. Die Zerstörungen in der Stadt werden als enorm beschrieben. Auch Fotos und Videos in den sozialen Netzwerken, die aus Wowtschansk stammen sollen, zeigen eine nahezu gänzlich zerstörte Stadt.

Erste Indizien für mutmaßliche Kriegsverbrechen an Zivilisten, wie die ukrainische Polizei sie der russischen Armee nun vorwirft, gibt es unterdessen bereits. Am Dienstag hatte der Generalstaatsanwalt in Kiew Ermittlungen wegen der Erschießung von zwei Menschen in Wowtschansk eingeleitet. Zuvor hatte ein 70-jähriger Mann den ukrainischen Behörden von seiner dramatischen Flucht aus der Kleinstadt berichtet – und schwere Vorwürfe gegen die russischen Soldaten erhoben.

Wowtschansk: Mann von ukrainischer Armee gerettet

Demnach seien der Mann, ein Begleiter und seine Rollstuhl fahrende Ehefrau in der Nähe des örtlichen Krankenhauses von russischen Truppen beschossen worden. Seine Frau und der Begleiter seien dabei gestorben. Der Mann schaffte unterdessen die Flucht an den Stadtrand – und wurde den Berichten zufolge von ukrainischen Soldaten nach Charkiw gebracht.

Ein Polizist läuft vor einem brennenden Haus in Wowtschansk, das durch einen russischen Luftangriff zerstört wurde.

Ein Polizist läuft vor einem brennenden Haus in Wowtschansk, das durch einen russischen Luftangriff zerstört wurde.

Bereits zuvor hatte es Hinweise auf die Erschießung von Zivilisten in Wowtschansk gegeben. Der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko hatte unlängst von der Gefangennahme von Zivilisten und den ersten Hinrichtungen in der Stadt berichtet.

Hinweise auf Erschießungen von Zivilisten in der Region Charkiw

Wowtschansk ist seit Beginn der andauernden russischen Offensive in der Region Charkiw in den Fokus gerückt. Seit dem 10. Mai versuchen russische Truppen, die Kleinstadt einzunehmen. Zuletzt berichteten die ukrainische Armee von einer Stabilisierung der Lage in der Stadt. Die nun auftauchenden Aufnahmen, die aus Stadt stammen sollen, derzeit jedoch nicht unabhängig überprüft werden können, sorgen nun für Empörung.

Die Politologin Maria Avdeeva aus Charkiw hatte zuvor eine Aufnahme mit ihren mehr als 100.000 Followern bei X geteilt, auf der regungslose Körper am Boden liegend zu sehen sind. Die Aufnahme ähnelt den Bildern aus der Kleinstadt Butscha, in der die russische Armee zu Kriegsbeginn mutmaßlich massive Kriegsverbrechen begangen hat.

Entsetzen bei Ukrainern: „Der russische Terror muss gestoppt werden“

„Leichen auf den Straßen, Folterkammern, Menschen, die in Kellern eingesperrt sind“, beschrieb Avdeeva nun die Lage in der ukrainischen Kleinstadt – und nutzte die Vorfälle auch für Kritik an jenen, die Russland Teile der Ostukraine zugunsten eines Einfrierens des Krieges zusprechen wollen. „Denken Sie an Wowtschansk, wenn Sie mit dem Gedanken spielen: ‚Lasst sie behalten, was sie bereits genommen haben‘“, schrieb die Ukrainerin.

„Es ist das Jahr 2024 und getötete Zivilist*innen liegen auf den Straßen von Wowtschansk“, erklärte angesichts der Bilder auch die Sprecherin von Vitsche, einer Vereinigung junger Ukrainer in Deutschland. „Der russische Terror muss gestoppt werden, mit allem, was nötig ist“, fügte Krista-Marija Läbe an.

Schreckliche Bilder aus Wowtschansk: Empörung auch in Deutschland

Ähnlich äußerte sich Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr. „Alle jene, die behaupten, das Sterben der Ukrainer würde in den von Russland eroberten/annektierten Gebieten bei einem Waffenstillstand sofort aufhören, sollen sich Bilder von Wowtschansk ansehen“, schrieb der Sicherheitsexperte bei X – und empfahl den Urhebern, sich für derartige Forderungen zu „schämen“.

Seit Kriegsbeginn wird von Teilen der deutschen Politik immer wieder ein sofortiger Waffenstillstand oder auch die Einstellung aller Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert. Insbesondere das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD vertraten in der Vergangenheit mehrmals derartige Positionen und behaupteten dabei stets, somit könnten ukrainische Leben gerettet werden. Auch in Teilen der SPD hatte es zuletzt Überlegungen darüber gegeben, Russlands Krieg in der Ukraine „einzufrieren“. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich war dafür parteiübergreifend in die Kritik geraten.