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Ukraine in der DefensiveKann man den Krieg einfrieren, Frau Güler?

Lesezeit 5 Minuten
Das Foto zeigt die CDU-Politikerin Serap Güler.

„Die Lage in der Ukraine ist dramatisch", sagt die Kölner Abgeordnete Serap Güler.

Frau Güler kritisiert die aktuellen Debatten zur Ukraine als innenpolitisch motiviert und macht sich stark für effektive westliche Unterstützung. Sie betont, dass Ukraine Sieg für Putin bedeuten würde, dass weitere Aggressionen in Europa zu erwarten sind.

Frau Güler, erst sagt der Papst, die Ukraine verliere und möge die weiße Fahne für Verhandlungen hissen. Dann sagt Ihr Kollege Rolf Mützenich von der SPD im Bundestag, es werde zu wenig über ein Einfrieren des Krieges geredet. Das trifft den Nerv vieler Leute. Was halten Sie von der Debatte?

Herrn Mützenichs komplette Rede hat gezeigt, dass die Sicherheits- und Verteidigungspolitik dieses Landes gerade parteipolitischen Interessen geopfert wird. Sie haben Recht, mit dem Wort vom Einfrieren hat er einen Nerv getroffen. Das zeigt ja, es war vor allem eine innenpolitische Botschaft. Einen Tag vorher hatte Putin noch in einem Interview klar gestellt, dass er überhaupt kein Interesse an Verhandlungen hat, denn er sieht sich auf dem Weg zum Sieg. Und dann stellt sich einen Tag später der SPD-Fraktionsvorsitzende hin und sagt, wir müssten den Krieg einfrieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Fraktionsvorsitzende der Kanzlerpartei das Putin-Interview nicht mitbekommen hat. Warum spricht er dann von Einfrieren, wenn nicht aus innenpolitischen Motiven?

Aber in der Tat, kann die Ukraine diesen Krieg überhaupt gewinnen? Hat sie die Ressourcen?

Putin wird nach der Präsidentenwahl alles mobilisieren. Amerika und Europa sind im Moment in der Lage, 1,4 Millionen Schuss im Jahr zu produzieren, Russland produziert drei Millionen im Jahr. Wir müssen uns doch fragen: Macht das Putin nur für die Ukraine? Er geht davon aus, dass er diesen Krieg jetzt gewinnt. Und was kommt dann? Frieden in Europa? Nein. Der nächste Krieg, der nächste Einmarsch beispielsweise in Moldau wäre programmiert. Und wenn Trump wiedergewählt werden sollte und die Nato so kaputt redet, wie er es in den letzten Wochen getan hat, dann ist auch nicht auszuschließen, dass das nächste Angriffsziel Putins ein Nato-Staat sein wird. Deshalb darf Putin diesen Krieg nicht gewinnen, denn wenn er gewinnt, wird es keinen Frieden in Europa geben.

Ist dieser Sieg denn noch zu verhindern?

Ja, die Lage in der Ukraine ist dramatisch. Das sagt Ihnen jeder, der da war. Und deshalb ist es jetzt wichtig, deutlich zu machen, dass wir tatsächlich an der Seite der Ukraine stehen zusammen mit unseren Verbündeten jenseits des Atlantik. Es geht vor allem um Munition. Richtig. Aber wer sagt denn, dass wir uns nicht auf mehrere Sachen gleichzeitig konzentrieren können? Das sind eben auch weitreichende Waffensysteme, um die Ukraine aus der Defensive zu holen, damit Putin merkt, der Westen meint es ernst.

Wie weit sollen wir bei der Unterstützung gehen? Da gibt es die Diskussion über die Entsendung von Soldaten, oder die dem Kanzler sehr wichtige Festlegung, die Ukraine dürfe mit westlichen Waffen kein russisches Gebiet treffen. Wo sind für Sie die Grenzen?

Schauen Sie auf Putins Kommunikation: Er setzt sich selbst keine Grenzen. Er setzt anderen Grenzen. Und was machen wir? Schon aus rein militärisch-strategisch Überlegungen heraus ist es falsch, dem Gegner zu sagen, wo unsere Grenzen liegen. Man kann dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorwerfen, dass er seine Äußerungen über westliche Soldaten auf ukrainischem Boden nicht abgestimmt hat. Aber militärstrategisch ist es richtig, Putin da im Ungewissen zu lassen. Die Kommunikation des Kanzlers und seiner SPD richtet sich nach innen, nicht Richtung Putin, nicht Richtung Ukraine. In unserem Volk gibt es Angst vor dem Krieg. Die habe ich auch. Und dennoch ist es militärstrategisch nicht klug, dem Gegner die eigenen Grenzen so auf dem Silbertablett zu servieren.

Beim Taurus hat der Kanzler nun noch mal Grenzen gezogen. Ist die Debatte aus Ihrer Sicht vorbei, oder kommt das wieder aufs Tapet?

Wir als Unionsfraktion haben am Donnerstag ja keinen neuen Antrag ins Parlament gebracht. Es war unser Antrag aus dem letzten Jahr, der an Ausschüsse verwiesen wurde, und dann kam er zurück in den Bundestag. Und wenn Sie der Rede der Kollegin Agnieszka Brugger von den Grünen gefolgt sind, sehen sie, dass gerade der grüne Koalitionspartner von Scholz nicht mit der Basta-Politik des Kanzlers einverstanden ist. Also glaube ich nicht, dass die Debatte beendet ist.

Sie haben am Anfang beklagt, dass das Thema so in die Innenpolitik reingezogen wird. Aber liegt es nicht daran, dass die Diskussion sich so sehr auf das eine System Taurus konzentriert? Sollte man nicht eher über Gemeinsamkeiten reden, zum Beispiel die insgesamt doch große deutsche Hilfe für die Ukraine?

Ja, in absoluten Zahlen sind wir der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung liegen andere wie die Balten vorn. Und wissen Sie, ja, ich hätte mir gewünscht, dass von Anfang an nicht über einzelne Systeme gesprochen worden wäre, sondern dass die Koalition gesagt hätte: Wir reden nicht nur über das 100-Milliarden-Sondervermögen mit der Union, sondern wir schließen mit der Union auch ein Bündnis zur Unterstützung der Ukraine. Wir helfen mit, allem, was wir haben, ohne darüber öffentlich zu reden. Aber das war nicht möglich, weil sich der Kanzler eigentlich mit 5000 Helmen Unterstützung zufriedengeben wollte. Es brauchte also diesen öffentlichen Druck, das hätte man vermeiden können. Denn sehen Sie, militärstrategisch geht es doch kaum dämlicher, als offen darüber zu sprechen, nicht nur was wir der Ukraine liefern, sondern auch genau wie viel. Wir streiten monatelang über Leopard-Panzer und sagen dann: Genau 18 Stück. Wir machen das von Anfang an völlig falsch, was eben damit zusammenhängt, dass der Kanzler hier kein Bündnis zusammengeführt hat.

Sehen Sie denn noch eine Chance für so ein Zusammenführen?

Für diese Chance ist es nie zu spät. Wenn wir uns jetzt noch mal zusammenraufen, damit Putin diesen Krieg eben nicht gewinnt, dann könnte man genau dazu übergehen. Wir debattieren nicht öffentlich darüber, was wir liefern, wir tun es einfach. Aber dazu muss es eine Initiative des Kanzlers geben. Wir sind bereit, darauf einzugehen. Nicht vergessen: Es geht um unsere eigene Sicherheit und um die der Ukraine, in dieser Reihenfolge.