Nach dem Tod von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sieht Bundesaußenministerin Annalena Baerbock eine „brandgefährliche" Lage. Wie will Israel die Situation unter Kontrolle halten? Und wie wird sich der Iran verhalten?
Tod von Hamas-Chef NasrallahIsrael und das Trauma eines Libanon-Krieges
Hassan Nasrallah muss eigentlich seit Tagen gewusst haben, dass das von ihm begonnene mörderische Spiel nun absehbar zu seinem eigenen Untergang führen würde. Nach der Explosion von Funkgeräten Tausender niederer und mittlerer Hisbollah-Chargen hatte Israel mit systematischen Luftangriffen auf die Spitze der Terrororganisation begonnen. Einen Namen nach dem anderen strichen Analysten aus ihren Hisbollah-Organigrammen, und Terrorchef Nasrallah rückte unverkennbar in den Fokus.
Dass er dennoch keine andere Wahl sah, als sich mit seiner Entourage und seinen iranischen Beratern ausgerechnet in den Katakomben der Hisbollah-Zentrale aufzuhalten, zeigt, wie massiv Israel die Kommunikationsnetze und die gesamte Infrastruktur der Hisbollah geschädigt hat. Andernfalls wäre es wohl nie zu einer so riskanten Versammlung vieler Terroristenführer an einem so bekannten Ort gekommen.
Nun sieht die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock eine „brandgefährliche“ Lage und warnt vor der Destabilisierung des Libanon, als ob Terroristen ein Stabilitätsfaktor sein könnten. So verständlich solche großen Sorgen dennoch sind, fällt doch auf, dass sie vorzugsweise dann laut werden, wenn Israel sich wehrt. Hoffte die Bundesregierung, dass Israel den seit elf Monaten von der Hisbollah an der Seite der Hamas geführten Raketenkrieg als lästige Selbstverständlichkeit hinnehmen würde? Darauf hatte jedenfalls Nasrallah gesetzt, der glaubte, sich vor ernsthaften Konsequenzen dadurch schützen zu können, dass er sein Waffenarsenal nur zu einem kleinen Teil ausspielte.
Damit hat sich Nasrallah verrechnet. Mit der Vertreibung von Zehntausenden Israelis im Norden des Landes hat er eine für Regierung und Militär Israels inakzeptable Lage herbeigeführt. Nun will die Regierung in Jerusalem die Bedrohung durch Hisbollah-Raketen nachhaltig eindämmen und glaubt offensichtlich, gerade durch den vermeintlich eskalierenden Militäreinsatz die Eskalation begrenzen zu können. Die Hisbollah kann zweifellos jeden einzelnen getöteten Kommandeur ersetzen, aber der gleichzeitige Ausfall so vieler Funktionäre verbunden mit der Störung der Hisbollah-Kommunikation macht den Terroristen größere koordinierte Aktionen schwer. Also hofft Generalstabschef Herzl Halevi, gegen die Hisbollah vorgehen zu können, ohne dass sich das Trauma des letzten Libanon-Krieges von 2006 wiederholt, der nach erheblichen Verlusten militärisch zwar im Patt endete, politisch aber zum Triumph Nasrallahs geriet.
Zugleich kalkulieren die Israelis damit, dass die iranische Führung sich auch nach dem Tod ihres Statthalters im Libanon – und eines iranischen Generals an seiner Seite – rational verhält: Anders als Freund Wladimir Putin in Moskau kann sich Revolutionsführer Khamenei nicht auf die zumindest passive Zustimmung einer Bevölkerungsmehrheit verlassen. Die Folgen eines großen Krieges könnten das Regime in Teheran zumindest an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Khamenei weiß das offensichtlich. Er stellt die Folgen von Nasrallahs Tod als geringfügig da. Wenn die Hisbollah, wie er behauptet, dadurch nur noch stärker wird, muss Teheran ja nicht allzu nachdrücklich reagieren.
Man kann nur hoffen, dass die hier skizzierte israelische Rechnung aufgeht. Auch bei einem Erfolg Israels bliebe aber das Problem, dass es zwar eine ausgefeilte Kriegsplanung gibt, aber kein Konzept für eine Beendigung des Kriegs und die Zeit danach. Die Ankündigung von Verteidigungsminister Joav Gallant, im Libanon sei es Zeit für einen Neubeginn, klingt zwar verheißungsvoll. Aber wie stellt sich Israel das Verhältnis zu seinen Nachbarn vor? Was soll aus den Palästinensern werden? Glaubt man ernsthaft, tief in der jeweiligen Bevölkerung verwurzelte Terrorgruppen rein militärisch ausschalten zu können?
Vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist kein konstruktiver Ansatz zu erwarten. Er ist von Rechtsextremisten abhängig, steter Kampf ist für ihn eine politische Lebensversicherung. Ihre westlichen Verbündeten haben die Israelis mit ihrem – völkerrechtlich gewiss legitimen – Angriff ohnehin vor vollendete Tatsachen gestellt. Umso dringender müssen sich diese Verbündeten gemeinsam mit gemäßigten arabischen Staaten – deren Regierungen Nasrallah keine Träne nachweinen werden – über die Zukunft der Region Gedanken machen und damit auch über Forderungen, die an Netanjahu oder seine Nachfolger zu richten sein werden.