Der Thüringer Landtag streitet um eine Geschäftsordnungsänderung, die das Vorschlagsrecht für den Parlamentsvorsitz auf alle Fraktionen ausweiten soll, um eine AfD-Blockade zu verhindern.
Nach AfD-EklatWorum es bei dem Rechtsstreit im Thüringer Landtag geht
Eklat im Thüringer Landtag: Das Landesverfassungsgericht hatte am Freitag über das Verhalten von Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) zu entscheiden, der verhindern will, dass der neue Erfurter Landtag noch vor der Wahl eines Präsidiums über seine Geschäftsordnung abstimmt - und damit die Regeln über diese Wahl ändert, letztlich mit dem Ziel, einen Präsidenten oder eine Präsidentin aus den Reihen der AfD zu verhindern. Worum geht es in dem Rechtsstreit?
Worum geht es im Thüringer Geschäftsordnungsstreit?
Parlamente regeln ihre Arbeitsweise durch eine Geschäftsordnung. Dazu gehören auch Bestimmungen darüber, wie ein neu gewähltes Parlament sich konstituiert, also seine Arbeit aufnimmt. Grundsätzlich sieht das in Thüringen wie im Bund und in den anderen Bundesländern aus: : Zunächst leitet ein Alterspräsident leitet die erste Sitzung, bei der dann ein Präsidium gewählt wird. Während im Bundestag der dienstälteste Abgeordnete diese Funktion hat, zählt in Thüringen das Lebensalter – was der AfD die Möglichkeit gab, sich dieses Amt durch die Kandidatur des 73-jährigen Treutler zu sichern.
Zur Präsidentenwahl legt die bisherige Geschäftsordnung des Thüringer Landtags in Paragraf 2 fest: „Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor.“ Und: „Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält.“ Wird die Mehrheit verfehlt, ist ein neuer Vorschlag möglich. Wird die Mehrheit verfehlt, ist ein neuer Vorschlag möglich – wobei die Geschäftsordnung nicht klar regelt, wer diese Vorschläge machendarf: Wieder nur die stärkste Fraktion – oder alle? Diese Unbestimmtheit könnte von der AfD als stärkster Fraktion, die mit Treutler auch den Alterspräsidenten stellt, zur Obstruktion genutzt werden: eine Endlosschleife immer neuer AfD-Kandidaturen.
Gibt es denn überhaupt eine gültige Geschäftsordnung?
Die übrigen Fraktionen im Thüringer Landtag wollten diese Situation durch eine Änderung der Geschäftsordnung verhindern: Vorschläge sollen künftig aus der Mitte des Landtags, also von allen Seiten, möglich sein. Die Grünen hatten übrigens schon im alten Landtag, im Dezember 2023, einen Reformvorstoß gemacht – damals zog die CDU nicht mit. Jetzt wollte Alterspräsident Treutler eine Abstimmung über die Geschäftsordnung nicht zulassen.
Eine solche Situation wäre in anderen deutschen Parlamenten nicht denkbar. Im Bundestag, im NRW-Landtag oder auch aktuell im Sächsischen Landtag muss noch vor der Wahl eines Präsidiums überhaupt erst einmal die Geschäftsordnung beschlossen werden. Auch die noch von der früheren Parlamentspräsidentin Birgit Pommer (Linke) entworfene Tagesordnung für die erste Sitzung des neuen Thüringer Landtags sah eine Abstimmung über die Geschäftsordnung vor – darüber glaubt sich AfD-Mann Treutler aber hinwegsetzen zu können.
In Thüringen regelt ein Gesetz nämlich die Fortgeltung der jeweils alten Geschäftsordnung, „bis der Landtag eine neue Geschäftsordnung beschlossen hat“ – und diesen Beschluss will Treutler vor der Wahl eines Präsidiums einfach nicht zulassen. Nach Überzeugung des Leipziger Juraprofessors Fabian Michl ist das Gesetz aber bedeutungslos. Es sei gar nicht möglich, den neuen Landtag an die Geschäftsordnung des alten zu binden. Im „Verfassungsblog“ hat Michl erläutert, warum das so ist: Da bereits mit Geschäftsordnungsvorschriften der Weg zu politischen Entscheidungen geebnet oder auch versperrt werden kann, darf das neugewählte Parlament nicht einmal vorübergehend an die Vorschriften gebunden sein, die sich die Vorgänger gegeben haben. Für den Bundestag ergibt sich das sogar aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 6. März 1952, 2 BvE 1/51). Auch wenn die letzte Geschäftsordnung unverändert übernommen werden sollte – ein förmlicher Beschluss darüber muss her. Abgesehen davon sind auch in Thüringen Geschäftsordnungsanträge der Fraktionschefs sofort zu behandeln.
Warum ist die Person der Landtagspräsidentin zentral?
Die AfD schlägt eine Abgeordnete – Wiebke Muhsal – als Präsidentin vor, die wegen eines als Mandatsträgerin begangenen Betrugs zu Lasten der Landeskasse rechtskräftig verurteilt wurde. Die AfD hat zwar ein Vorschlagsrecht, aber nicht den rechtlichen Anspruch, so einen Posten auch wirklich zu besetzen. Nicht nur Muhsal ist für die anderen Fraktionen inakzeptabel, sondern auch jeder andere AfD-Abgeordnete wäre es. Denn der Landtagspräsident hat eine Schlüsselfunktion: Er fertigt Gesetze aus (und kann damit ihr Inkrafttreten blockieren), er kann den Landtagsdirektor – den Chef der Landtagsverwaltung – ohne Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzen, er kann auch das Land Thüringen im Ausland repräsentieren.