Teilmobilmachung in RusslandWas Putin jetzt plant und wie er es durchsetzt
Moskau – Insgesamt 300000 Reservisten will Russland in die Ukraine schicken – rund doppelt so viele, wie Schätzungen zufolge dort bislang bereits kämpften. Sie sollen den Wendepunkt bringen in dem bereits seit sieben Monaten andauernden Krieg, der aus Kreml-Sicht alles andere als erfolgreich läuft. Durchgesetzt werden soll so unter anderem eine geplante großflächige Annexion ukrainischer Gebiete. Doch ist das realistisch? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was bedeutet die Teilmobilmachung konkret?
Der Erlass zwingt Russen zur Kriegsteilnahme, die bislang – zumindest theoretisch – freiwillig war. Eingezogen werden sollen 300000 Reservisten, und zwar ab sofort. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums sind ehemalige Wehrpflichtige sowie Zeitsoldaten mit Mannschaftsdienstgrad im Alter bis 35 Jahre und Reserveoffiziere der unteren Dienstgrade bis 45 Jahre betroffen. In erster Linie sollen demnach Männer mit Kampferfahrung und einer militärischen Spezialausbildung in den Krieg geschickt werden. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland, hieß es.
Wie soll die Teilmobilmachung durchgesetzt werden?
Russlands Gouverneure wurden direkt angewiesen, die Einberufung von Soldaten in ihren Regionen zu organisieren. Zur Durchsetzung der Mobilmachung hat Putin zudem gerade erst mehrere Gesetze verschärfen lassen. So werden Fahnenflucht und der „freiwillige“ Eintritt in die Kriegsgefangenschaft nun hart bestraft. Außerdem dürfen wehrpflichtige Russen nach Putins Befehl zur Teilmobilmachung ihren Wohnort laut Gesetz nicht mehr verlassen. Aus der Staatsduma hingegen hieß es, innerhalb Russlands könnten die Menschen trotzdem weiterhin ungestört reisen, Auslandsreisen seien nun aber nicht mehr zu empfehlen.
Was bezweckt Putin mit der Einziehung von Reservisten?
Noch immer ist in Moskau offiziell nur die Rede von einer „militärischen Spezial-Operation“ in der Ukraine – und sie hat dem Kreml wohl bisher nicht das erhoffte Ergebnis gebracht.
Vor diesem Hintergrund hofft Putin wohl, mit den nun mobilisierten Reservisten eine Wende auf dem Schlachtfeld herbeiführen zu können. Und er dürfte auch darauf spekulieren, dass seine jüngsten Drohgebärden die Ukraine und deren westliche Unterstützer einschüchtern.
Welche Rolle spielen Annexionen ukrainischer Gebiete?
Noch für diese Woche haben die Besatzer in den östlichen Gebieten Luhansk und Donezk sowie in Cherson und Saporischschja im Süden völkerrechtswidrige Abstimmungen über den Anschluss an Russland angekündigt. Es handelt sich um Scheinreferenden, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Mit den vier Gebieten droht sich Moskau eine Fläche von über 108000 Quadratkilometern einzuverleiben. Das entspricht der Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen.
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Auf ähnliche Weise annektierte Russland bereits 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Wie schon damals ist eine internationale Anerkennung auch diesmal nicht in Sicht. Dennoch würde der Kreml Angriffe auf Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja künftig als Angriffe auf eigenes Staatsgebiet werten. Und Putin droht: „Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.“ Also auch Atomwaffen.
Wie realistisch sind Putins Pläne?
Laut Prognosen internationaler Militärexperten dürfte Russland länger brauchen als erwartet und nur Verbände mit zweifelhafter Kampfkraft aufstellen können. „Die Teilmobilisierung wird sich on the ground erst in einigen Monaten wirklich auswirken“, sagt die Grünen-Politikerin Sara Nanni. Der US-Militärexperte Rob Lee meint auf Twitter, dass auf russischer Seite dann immer mehr Soldaten am Kampf beteiligt seien, die dort nicht sein wollten. Sein Fazit: „Zwischen ukrainischen und russischen Verbänden wird der Unterschied in der Moral und dem Zusammenhalt der Truppe immer größer.“
Was bedeuten die Entwicklungen für die ukrainischen Offensiven?
In Kiew wurde die Ankündigung aus Moskau betont gelassen zur Kenntnis genommen. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: „Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?“ Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits im Vorfeld betont, die Ukraine lasse sich nicht einschüchtern. Zudem dürften in den kommenden Monaten auch auf ukrainischer Seite frische Kräfte eintreffen. So läuft etwa die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Großbritannien und anderen westlichen Staaten. (dpa)