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Missbrauch in der KircheStudie zu sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche

Lesezeit 3 Minuten
Man sieht den Eingangsbereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover.

Die erste umfassende Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und in der Diakonie wird nun in Hannover vorgestellt.

Nach mehrjähriger Forschungsarbeit stellen Wissenschaftler eine Studie über Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bei den Protestanten vor.

Die erste umfassende Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und in der Diakonie wird heute in Hannover vorgestellt. Mit Spannung erwartet werden vor allem Zahlen zur Häufigkeit des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen mit Kirchen-Beschäftigten als Tätern. Dafür stellten die Landeskirchen und die Diakonie dem Forschungsverbund Akten zur Verfügung. Wie vorab bekanntwurde, konnten die Wissenschaftler jedoch nicht die Personalakten aller Pfarrer und Diakone auswerten, sondern in erster Linie Disziplinarakten.

Die Fallzahlen sind nicht direkt vergleichbar mit den Ergebnissen der sogenannten MHG-Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, die 2018 veröffentlicht wurde. Nach Auswertung von fast 40.000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2014 wurden 1670 katholische Priester und Diakone beschuldigt, denen 3677 Kinder und Jugendliche als Betroffene zugeordnet werden konnten. Die Wissenschaftler betonten damals, dass diese Zahl „eine untere Schätzgröße“ sei.

Hätte die evangelische Kirche bereits mehr für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt machen können?

Anders als die MHG-Studie nimmt die Forum-Studie alle Beschäftigten im evangelischen Leben in den Blick, also zum Beispiel auch Heimerzieher, Kirchenmusiker oder ehrenamtliche Jugendleiter. „Wir sprechen über ein Hellfeld und wir sprechen auch über ein großes Dunkelfeld“, sagte ein EKD-Sprecher. Die Fallzahlen würden sich verändern. „Wir erwarten auch, dass sich nach der Veröffentlichung der Studie weitere Betroffene melden.“

Aus Sicht von Kritikern hätte die evangelische Kirche bereits in der Vergangenheit mehr für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt tun können. „Notwendig ist eine von der Kirche unabhängige Ombudsstelle für Betroffene“, sagte Katharina Kracht, die in den 1980er und 1990er Jahren von einem evangelischen Pastor im niedersächsischen Nenndorf bei Hamburg schwer sexuell missbraucht wurde. Wie sich erst spät herausstellte, hatte der 2013 gestorbene Pfarrer sowohl in Nenndorf als auch in seiner vorigen Kirchengemeinde in Wolfsburg weitere Mädchen missbraucht.

Zwischen 5000 und 50.000 Euro können Betroffene beantragen

Detlev Zander erlebte als Kind über Jahre sexualisierte Gewalt in einem Kinderheim der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal in Baden-Württemberg. Er ist Betroffenen-Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der EKD, in dem Betroffene und Kirchenvertreter sitzen. Entscheidend sei, dass die Landeskirchen und die EKD die Empfehlungen der Forum-Studie umsetzen werden, sagte Zander. „Dazu gehört, dass man die Betroffenen anständig entschädigt und sie nicht abspeist.“

Betroffene sexualisierter Gewalt können derzeit einen Antrag auf individuelle freiwillige Leistungen stellen. Diese orientieren sich laut EKD an Schmerzensgeldzahlungen und liegen in der Regel zwischen 5000 und 50.000 Euro. Bis Ende 2022 hatten die Landeskirchen der EKD 858 Anträge auf derartige Anerkennungsleistungen gemeldet.

Die EKD hatte die Forum-Studie 2020 initiiert. Das Forschungsziel lautete, typisch evangelische Strukturen zu analysieren, die Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen. Die Studie wurde über Mittel der EKD und Landeskirchen in Höhe von 3,6 Millionen Euro finanziert. Als Dachorganisation von 20 Landeskirchen vertritt die EKD bundesweit 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen. (dpa)