Am Dienstag empfängt Ministerpräsident Hendrik Wüst den französischen Präsidenten im größten deutschen Bundesland.
Staatsbesuch in NRWEmmanuel Macron und sein „Westfalen-Gen“
In Dortmund beschäftigt man sich am Montagmorgen echt mit anderen prominenten Heimkehrern. Er sei gerade am Borsigplatz, erklärt der Stadtsprecher am Handy. Ortstermin für einen möglicherweise triumphalen Empfang des BVB nach dem Champions-League-Finale von Wembley. Für Nachforschungen zum „Westfalen-Gen“ eines gewissen Emmanuel Macron scheint da nicht die richtige Zeit zu sein.
Erstmals seit Bonner Regierungstagen kommt an diesem Dienstag wieder ein französischer Präsident zum offiziellen Staatsbesuch auch nach Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wird Macron morgens auf dem Rollfeld des Flughafens Münster/Osnabrück in Empfang nehmen.
Anschließend geht es zum Festsaal des historischen Rathauses von Münster, wo Macron für sein europäisches Engagement mit dem Preis des Westfälischen Friedens geehrt wird. Der Bürgerkontakt dürfte sich auf einen kurzen Blick vom Sentenzbogen über den Prinzipalmarkt beschränken. Für Macron ist es trotzdem ein wenig Heimkehr nach Westfalen, denn sein Deutschlandbild wurde auch durch zwei etwas mysteriöse Jugendreisen auskoloriert.
Erinnerung an „triste Städte“
Was lange niemand wusste: Der 1977 geborene Macron nahm in den 90er Jahren zweimal an Schüleraustauschen nach Dortmund teil. Einmal in der Mittel-, einmal in der Oberstufe. Gegenüber seiner Biografin Michaela Wiegel hat der Präsident seine Erinnerung zu einem etwas zweifelhaften Kompliment verdichtet. Dortmund habe ihn an seine Heimatstadt Amiens im Norden Frankreichs erinnert. „Es gibt ein Alter, in dem man Städte mag, die ein wenig trist sind. Es lebt sich sehr gut in dieser Umgebung der Tristesse, wenn man damit groß geworden ist.“
Das vom industriellen Strukturwandel geprägte Amiens und Dortmund bilden eine der ältesten deutsch-französischen Städtepartnerschaften überhaupt. Wo genau der junge Macron aber war und wen er damals getroffen hat, scheint ein Mysterium zu sein. Das hätten schon viele versucht herauszufinden, erklärt Pascale Gauchard von der Auslandsgesellschaft Dortmund und verweist auf die Stadtverwaltung. Dort bemüht man sich über Tage, eine Verbindungslinie der Jesuitenschule „La Providence“ in Amiens zu einer Dortmunder Schule zu rekonstruieren. Mitschüler? Spuren? Fotos? Fehlanzeige.
Macron besuchte „La Providence“ von der sechsten bis zur elften Klasse und lernte dort auch Deutsch. Die Schüleraufenthalte in Deutschland kann oder will er mit dem Abstand von Jahrzehnten offenbar nicht konkretisieren. „Von Dortmund habe ich graue Straßenzüge in Erinnerung, einen großen Platz. Ich war bei einer Familie untergebracht, die am Stadtrand wohnte“, hat Macron im lesenswerten Buch von Michaela Wiegel erzählt.
Nachhaltig Eindruck muss die westfälische Lebensart hinterlassen haben: „Ich werde zum Beispiel das deutsche Abendbrot nie vergessen, diese Tradition, am Abend kein warmes Gericht zu servieren, sondern Brot und Aufschnitt. Und dann diese üppigen Frühstücke!“ Wiegel arbeitet zugleich heraus, dass Macrons Beziehung zu Deutschland stärker über Intellektualität und Hochkultur vertieft wurde als über die Wurstschnitte. Der Präsident, der früh als Wunderkind galt und nebenbei eine zehnjährige Pianisten-Ausbildung absolvierte, kann sich für Hegel, Schiller und Bach begeistern.
Bürgerliche Familiengeschichte
Auch darf man sich seine Herkunft in Amiens nicht als sozialen Brennpunkt vorstellen. Macrons Vater arbeitete als Neurologe am örtlichen Universitätskrankenhaus. Sein Elternhaus steht im bürgerlichen Viertel Henriville. Seine erste Schule gilt als beste der Stadt. Zum traditionsreichen Campus mit Internat schicken noch heute Eltern aus ganz Nordfrankreich ihre Kinder. Selbst Peter Kohl, der jüngere Sohn des deutschen Altkanzlers, besserte hier einst sein Französisch auf.
Zum Abitur wechselte Macron ans Elitegymnasium „Lycée Henri IV“ nach Paris. Der Schulwechsel wurde immer auch in Verbindung gebracht mit der Beziehung zu seiner heutigen Frau Brigitte, die übrigens hervorragend Deutsch spricht und einer Gebäck-Dynastie in Amiens entstammt. Die 24 Jahre ältere Lehrerin unterrichtete den heutigen Präsidenten seinerzeit in der Theater-AG – was in einer Affäre mündete, die für einiges Aufsehen sorgte.
Dass Macron Deutschland besser kennt und versteht als alle Präsidenten der Fünften Republik vor ihm, ist verbrieft. Ob die Dortmund-Erfahrung dabei wirklich prägte oder nur anekdotischen Wert besitzt, ist unklar. Häufiger ist zu lesen, der Präsident habe als Pennäler Zeit am international ausgerichteten Leibniz-Gymnasium verbracht. Der heutige Schulleiter Dennis Draxler kennt das Gerücht und will bei einem pensionierten Kollegen nachfassen. Nach einigen Tagen meldet er: „So schön es wäre, leider finden wir keine belastbare Verbindung zwischen unserer Schule und Herrn Macron.“