Islamisten haben auf Demonstrationen zum Gaza-Konflikt gegen Juden gehetzt und einen Kalifatsstaat gefordert. Muss unser Staat sich das bieten lassen? Fragen an die Kölner CDU-Abgeordnete Serap Güler.
Interview mit Serap Güler zum Versammlungsrecht„Nach diesem Wochenende keine Tabus mehr“
In Berlin und in Essen wurde auf Gaza-Demonstrationen gegen Juden gehetzt, in Essen auch nach einem Kalifatsstaat gerufen. Müssen wir uns das eigentlich bieten lassen?
Das müssen wir uns nicht bieten lassen, und das NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ja auch in aller Deutlichkeit gesagt. Da wird Demokratie verhöhnt. Man versteckt sich hinter den Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Da wurde mehr als nur eine rote Linie überschritten.
Ließ sich das nicht im Vorfeld absehen? Warum werden solche Demonstrationen dann überhaupt genehmigt?
Ich bin selbst sehr verwundert. Nun gehörten die Anmelder zur sogenannten Generation Islam, die zwar unter Beobachtung steht, aber nicht verboten ist. Darüber müssen wir jetzt, in dieser Woche, diskutieren: Welche weiteren Organisationen über das gerade verbotene Netzwerk Samidoun hinaus müssen wir jetzt verbieten? Die Wortführer auf solchen Demonstrationen sind den Nachrichtendiensten bekannt. Wir müssen uns also erstens ihren Aufenthaltsstatus anschauen, zweitens die betreffenden Vereine verbieten und drittens das Versammlungsrecht überprüfen. Es ist ein hohes Gut, aber wir müssen eine Einschränkung prüfen. Wie kann es sein, dass das auf unseren Straßen passiert? Dass auf deutschen Straßen gegen Juden gehetzt wird? Das hat ja in Deutschland nochmals eine andere Dimension als wenn es, schlimm genug, in Frankreich passiert. Wir haben hier eine besondere Verantwortung. Also müssen wir nicht nur übers Versammlungsrecht debattieren, sondern konkrete Schritte prüfen. Da wird die Verantwortung gern hin- und hergeschoben, der Bund nimmt die Länder in die Pflicht, die das Versammlungsrecht ja umsetzen müssen. Aber es ist im Grundgesetz verankert und gehört damit ebenso wie Vereins- und Betätigungsverbote in die Kompetenz des Bundes. Also muss der Bund prüfen, wie das Versammlungsrecht eingeschränkt werden kann, damit sich solche Bilder nicht wiederholen.
Muss dazu die Verfassung geändert werden?
Zur Not müssen wir das tun. Es darf nach diesem Wochenende keine Tabus mehr geben.
Welche Rolle spielen die großen islamischen Verbände? Man hofft ja immer, dass sie ausgleichend wirken, und immerhin hat Ayman Mazyek vom Zentralrat der Muslime Judenhass als Sünde bezeichnet.
Diplomatisch gesagt, ist die Rolle gerade des Zentralrats unglücklich. Da wurde relativiert, da hat man es vermieden, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen. Erst als das Kind in den Brunnen gefallen war, hat Herr Mazyek umgesteuert. Andererseits war das von NRW-Staatskanzleichef Nathanel Liminski initiierte Treffen zwischen der Kölner Synagogengemeinde und Vertretern der vier großen islamischen Verbände zweifellos ein wichtiges Zeichen.
Das war in Köln, sehen sie auch landes- und bundesweit solche positiven Zeichen?
Jedenfalls war die Kölner Geste nicht für alle Verbände ganz einfach. Sie verhalten sich ansonsten passiv, und der größte von ihnen, die Ditib, ist vom türkischen Staat abhängig. Wir müssen uns also Gedanken machen: Wie schaffen wir es, dass die Ditib unabhängig wird? Und was müssen wir dafür tun?
Welche Auswirkungen hat es hierzulande, wenn Präsident Erdogan die Hamas als Befreiungsbewegung bezeichnet oder die Religionsbehörde Diyanet eine scharf antiisraelische Freitagspredigt verbreitet? Die Ditib hat diese Predigt am letzten Freitag ja nicht übernommen.
In der Tat, die Predigt in Deutschland war unbedenklich. Erdogans Verhalten wirkt nicht auf die Gläubigen insgesamt, aber natürlich auf seine politischen Anhänger. Die türkische Community ist aber durchaus in der Lage zu differenzieren und zu sehen, dass es einfach zu weit geht, die Hamas als Befreiungsbewegung zu bezeichnen. Ist die kurdische PKK dann auch eine Befreiungsbewegung? Das sehen die Leute. Umgekehrt wäre es für die türkische Community schon ein wichtiges Signal gewesen, wenn Erdogan die Hamas klar verurteilt hätte.
Was müsste denn passieren, um die Ditib wirklich unabhängig zu machen?
Wer A sagt, muss auch B sagen. Wir sagen immer der Ditib, sie müsse sich von der Türkei lösen. Aber wir sagen nicht, wie sich dann finanzieren soll. Wir können den Islam in Deutschland nicht nach dem Staatskirchenrecht, also als Körperschaft mit Kirchensteuerfinanzierung, organisieren, weil wir keine Strukturen wie in den großen Kirchen haben. Wir müssen vielmehr zumindest an eine staatliche Teilfinanzierung denken. Dann allerdings können wir auch unsere Erwartungen an die Ditib ganz anders formulieren, und es geht ja vor allem um die Ditib als die mit Abstand größte Organisation. Noch ein Punkt: Nach wie vor ist die Deutsche Islamkonferenz eine gute Plattform, um Forderungen an die Verbände zu stellen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser muss das Thema Antisemitismus unter Muslimen als Punkt 1 auf die Tagesordnung setzen – und neben konkreten Forderungen könnte man ja auch Angebote machen, wie man gemeinsam dagegen vorgehen kann.