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Sea-Watch-KapitäninCarola Rackete – Heldin oder Kriminelle?

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Matteo Salvini, Innenminister von Italien, spricht während einer TV-Sendung. Auf der Monitorwand im Hintergrund ist die Kapitänin  eingeblendet.

Rom – An diesem Montag soll Carola Rackete auf Sizilien dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Seit Samstag steht die Kapitänin der Sea-Watch 3 unter Hausarrest auf Lampedusa, weil sie in der Nacht von Freitag auf Samstag unerlaubterweise in den Hafen der italienischen Insel eingelaufen war.

Rackete wurde am Samstagmorgen von Beamten der italienischen Finanzpolizei von Bord der Sea-Watch 3 begleitet und in Gewahrsam genommen. Die Reaktionen auf den Fall Rackete sind gemischt. In einem Video, das Davide Faraone, Parlamentarier des Partito Democratico (PD), auf Twitter veröffentlichte, ist zu hören, wie Schaulustige Rackete bei ihrer Festnahme im Hafen beschimpfen. „Ich hoffe, diese Neger vergewaltigen dich“, rief ein Mann.

Rackete bekam aber auch Zuspruch. Aktivisten, Journalisten und Schriftsteller wie Roberto Saviano („Gomorrha“) erklärten ihre Solidarität mit der Kapitänin. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte Italien wegen der Festnahme. Im Sommerinterview des ZDF stellte er das Vorgehen der Regierung in Rom gegen die Seenotretter in Frage. Es könne ja sein, dass es italienische Rechtsvorschriften gebe, wann ein Schiff einen Hafen anlaufen dürfe, sagte Steinmeier. „Nur: Italien ist nicht irgendein Staat. Italien ist inmitten der Europäischen Union, ist Gründungsstaat der Europäischen Union. Und deshalb dürfen wir von einem Land wie Italien erwarten, dass man mit einem solchen Fall anders umgeht.“

In einem Interview, das die Anwälte Racketes im Namen ihrer Mandantin dem Corriere della Sera gaben, begründete die Kapitänin ihre Entscheidung, trotz des Verbots von Innenminister Matteo Salvini in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Es habe an Bord unter den Migranten bereits „Akte der Selbstverstümmelung“ gegeben. „Ich befürchtete, dass es zu Selbstmorden gekommen wäre“, sagte Rackete. Ihr Ziel sei nur gewesen, „völlig erschöpfte und verzweifelte Personen an Land zu bringen“. Sie habe Angst gehabt. Sie sei sich aber auch der Tatsache bewusst gewesen, dass sie mit dem Manöver ihre Freiheit aufs Spiel setzte.

Patrouillenboot gerammt

Die Sea-Watch 3 war aufgefordert worden, die am 12. Juni vor Libyen an Bord genommenen Migranten wieder in den nordafrikanischen Staat zurück zu bringen. Rackete weigerte sich jedoch und wies auf die katastrophalen humanitären Bedingungen in dem Land hin.

Bei dem Anlegemanöver in der Nacht von Freitag auf Samstag hatte die Sea-Watch 3 offenbar ein Patrouillenboot der italienischen Finanzpolizei gerammt. Salvini bezeichnete dies als „kriegerische Handlung“. Rackete gab diesen Zwischenfall zu und entschuldigte sich für ihren „Fehler“.

Die Staatsanwaltschaft hatte das waghalsige Manöver der Kapitänin zum Anlass für ihre Festnahme genommen und nicht etwa einen Straftatbestand wie „Beihilfe zur illegalen Immigration“. Stattdessen muss sich Rackete nun wegen „Widerstand und Gewalt gegen ein Kriegsschiff“ verantworten, ihr drohen zwischen drei und zehn Jahren Haft.

Promis sammeln

Die Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf haben zu Spenden für Sea Watch und die Kapitänin Carola Rackete aufgerufen. In einem Video zeigten sie sich erschüttert von den Geschehnissen. Böhmermann: „Mit den Ereignissen der letzten Tagen hat diese unmenschliche, kaltblütige und skrupellose Politik einen neuen Tiefpunkt erreicht.“ Beide betonten: „Wer Menschenleben rettet, ist kein Verbrecher.“ Nach 24 Stunden waren am Sonntagabend bereits mehr als 600 000 Euro gespendet worden. (dpa)