Vielerorts wird das Wort Jude als Schimpfwort gebraucht und wer nicht an Allah glaubt, wird teilweise gemobbt. Zwischen Jugendlichen und einem Lehrer wurde es sogar handgreiflich.
Schulen in BerlinAngst vor Intifada im Klassenzimmer – religiöses Mobbing auf dem Vormarsch
Am Ernst-Abbe-Gymnasium wird in diesen Tagen heftig und kontrovers diskutiert. Ein 14-jähriger Schüler war kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel mit einem Palästinensertuch vermummt und einer Palästina-Flagge als Umhang auf dem Schulhof erschienen. Als ihn ein Lehrer darauf hinwies, dass das Tragen politischer Symbole verboten sei, mischte sich umgehend ein 15-jähriger Mitschüler ein. Er soll dem Pädagogen eine Kopfnuss gegeben haben. Der Lehrer wiederum soll dem Schüler einen Faustschlag ins Gesicht verpasst haben.
Seit diesem Vorfall brodelt es an der Oberschule nahe der Sonnenallee im Berliner Bezirk Neukölln. Inzwischen wird der rote Backsteinbau von Wachleuten geschützt, auch Polizisten sind vor Ort.
Ein Einzelfall ist dieser Gewaltausbruch aber offenbar nicht. Lehrerinnen aus anderen Schulen verschiedenster Stadtteile berichten – überwiegend anonym – gegenüber Berliner Medien von judenfeindlichen Ausfällen ihrer Schüler, der vielfachen Verherrlichung islamistischer Terrororganisationen und von klammheimlicher Freude darüber, dass es mal Israel „erwischt“ habe. Sprüche wie „Free Palestine“ und „Yallah Intifada“ seien in Pausen zu hören. An einer Schule in Kreuzberg sollen gerade erst Kinder religiös gemobbt worden sein, weil sie nicht an Allah glauben.
Alles zum Thema Nahostkonflikt
- Nahost-Newsblog Israel wird im Kampf gegen Hisbollah nicht nachlassen
- Nach der US-Wahl 6 Gründe, warum Donald Trump erneut gewählt wurde
- In Berliner Bar Antisemitische Attacke auf Fan von israelischem Fußballverein
- Prestigeträchtige Auszeichnung Friedensnobelpreis für Anti-Atomwaffen-Organisation
- Streit um Keffiyeh Zutritt mit Palästinensertuch an der Uni verwehrt – Uni: „Es gibt kein Verbot“
- TV-Duell Weidel und Wagenknecht zeigen sich erschreckend einfallslos
- Wirbel um Protestcamp in NRW CDU will radikale Maßnahme gegen Greta Thunberg – Polizei rudert nach „Fehler“ zurück
Wort Jude als Schimpfwort
„Dass das Wort Jude als Schimpfwort und auch als Drohung benutzt wird, ist weit verbreitet“, sagt der Berliner Antisemtismusbeauftragte Samuel Salzborn. Immer wieder meldeten Eltern jüdischer Kinder diese von staatlichen Schulen ab und gingen zu jüdischen Schulen. Nach seinen Erfahrungen hätten Antisemitismus und Hass auf Israel bei Berliner Schülern in den letzten zehn bis 15 Jahren deutlich zugenommen. In der Vergangenheit habe es auch immer wieder Gewaltvorfälle in dem Zusammenhang gegeben. Derzeit eskaliere die Situation an den Schulen, aber die Ressentiments gegen Juden und Israel seien auch an anderen Tagen da.
Eine Befragung von Lehrern an 21 Schulen bestätigte kürzlich diese Einschätzung: Judenhass gehört zwar zum Alltag, wird aber zumeist unter den Teppich gekehrt, auch weil viele Pädagogen kein Rezept haben, wie man damit umgeht. In der Studie, angeregt von Mitarbeitern des American Jewish Committee (AJC), berichteten Lehrer von ihrer Angst vor einer Intifada (Begriff für zwei palästinensische Aufstände gegen Israel) im Klassenraum, wenn sie die Themen Israel und Judentum auch nur ansprechen würden. Andere beschreiben Schüler-Atlanten, in denen der gesamte Staat Israel geschwärzt wurde. Da ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Verbrennen israelischer Fahnen. Sprüche wie „Hitler hat leider nicht alle umgebracht“ seien nicht nur in Klassen mit besonders vielen muslimischen Schülern zu hören, sondern auch vom rechtsextremen Nachwuchs. Es gibt zwar keine verlässlichen Zahlen, aber zahlreiche Berichte von Lehrern, wonach Beschimpfungen wie „Du Jude“, „Scheiß-Jude“ und „Jüdischer Kindermörder“ auf Schulhöfen der Hauptstadt zum Pausen-Umgangston gehören – und damit auch Nicht-Juden beleidigt werden.
Nahost-Konflikt wird in die Schulen getragen
„Das Problem ist virulent“, sagt jetzt Salzborn dazu. Antisemitismus müsse in den Schulunterricht als festes Themenfeld verankert werden.
In Berlin habe diese Haltung vor allem mit dem ungelösten Nahost-Konflikt zu tun, meint Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD). Seit Längerem werde dieser Konflikt an einigen Schulen seines Bezirks ausgetragen. Dabei gehe es vor allem um Schüler, die in ihren Familien oft arabische Medien konsumieren. Durch massive Propaganda werden die Palästinenser zumeist als alleinige Opfer und die Israelis als Täter dargestellt. In manchen Familien sehe man das Thema genauso wie bei den Demonstranten, die am vergangenen Sonntag auf der Sonnenallee den Hamas-Terror bejubelt haben, sagte Hikel dem RBB. Es könne nicht sein, dass ein Konflikt, der Tausende Kilometer von Berlin entfernt stattfinde, in der Hauptstadt dafür sorge, dass unter Umständen Lehrer nicht vernünftig unterrichten könnten.
Der sogenannte israelbezogene Antisemitismus ist jedoch eine nicht nur unter muslimischen und türkischstämmigen Jugendlichen, sondern auch eine in der Gesellschaft verbreitete Sichtweise, wie Umfragen immer wieder zeigen. Jüdische Schüler werden häufiger diskriminiert als andere – darin sind sich die für die AJC-Studie befragten Pädagogen einig.
„Das verbale Mobbing gibt es an allen Schulen“, bestätigte kürzlich der Rabbiner Daniel Alter, „dort, wo Schüler muslimischen oder arabisch-türkischen Background haben, aber auch an anderen Schulen. Judenhass haben wir auch in der Kerngesellschaft.“ Alter, lange Zeit Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wurde selbst Opfer eines brutalen Überfalls, der mit einem Jochbeinbruch endete. Seitdem lässt er sich nicht mehr als Jude identifizieren – in der Öffentlichkeit trägt er einen Hut über der Kippa. Alter, der inzwischen Landesrabbiner in Hamburg ist, plädierte stets für eine offene Auseinandersetzung, die Stärkung der Zivilgesellschaft und gegen eine „Kultur des Wegguckens“. Die Debatten an der Neuköllner Schule dürften dem sehr nahe kommen.