Dürfte man auf der Autobahn nur noch maximal 120 km/h fahren, würde zweieinhalb Mal weniger Treibhausgas ausgestoßen, als Experten bislang gedacht hatten. Diese Daten einer Bundesbehörde fachen die politische Diskussion um ein Tempolimit wieder an. Bewegt sich jetzt etwas?
Rundschau-Debatte des TagesIst die Zeit reif für ein Tempolimit?

Kommt ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen?
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Das Umweltbundesamt hat seine Studienergebnisse korrigiert: Weniger Geschwindigkeit auf Autobahnen spart demnach deutlich mehr CO2. Die FDP und ihr Verkehrsminister zeigen sich wenig beeindruckt.
Ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Deutschlands Autobahnen und autobahnähnlich ausgebauten Straßen bringt einer neuen Studie zufolge deutlich mehr CO2-Einsparung als bisher gedacht. Es könne Treibhausgasemissionen in Höhe von 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten verhindern, teilte das Umweltbundesamt (UBA) am Montag mit. Dies widerspricht der Argumentation von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), wonach ein Tempolimit kaum Emissionen einsparen würde (siehe unten).
Genauere Daten und Modelle
Bislang war die Behörde von einer Einsparung von 2,6 Millionen Tonnen CO2 durch ein Tempolimit von 120 km/h ausgegangen. Die neuen Berechnungen basieren der Behörde zufolge auf sogenannten Floating-Car-Daten für das gesamte Autobahnnetz in Deutschland sowie einem bundesweiten Verkehrsmodell. Allein beim PKW-Verkehr auf Autobahnen könnte ein Tempolimit demnach 10,5 Prozent der Emissionen einsparen, beim gesamten Straßenverkehr sind es 4,2 Prozent.
„Die höheren CO2-Einsparungen im Vergleich zu früheren Studien kommen daher, dass der Verbrauch der Fahrzeuge genauer bestimmt wurde“, erklärte das UBA. Der Unterschied liege aber vor allem daran, dass nun auch eine Verhaltensänderung durch das Tempolimit mit einberechnet worden sei. Der Gedanke dahinter: Wenn auf der Autobahn ein Tempolimit gilt, bringt ihre Nutzung nicht mehr die gleiche Zeitersparnis wie vorher. Autofahrer würden also stärker auf Bundesstraßen ausweichen, wo die Emissionen dank des ohnehin schon geltenden Tempolimits geringer sind. Ein kleiner Teil würde außerdem auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.
Zusätzlich Tempo 80 außerorts?
Ein zusätzliches Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde auf Außerortsstraßen würde der Studie zufolge das Einsparpotenzial auf acht Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erhöhen. Durch die Kombination beider Limits hätten 2018 laut UBA die Treibhausgasemissionen der Pkw und Nutzfahrzeuge in Deutschland insgesamt um rund fünf Prozent gesenkt werden können. Bei einer Umsetzung ab 2024 könnten Tempo 120 auf Autobahnen und Tempo 80 außerorts bis 2030 in Summe rund 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, rechneten die Studienautoren vor.
Ein Tempolimit würde nach Ansicht der Bundesbehörde auch die Zahl der Verkehrstoten reduzieren. Wie eine frühere Studie des UBA ergab, könnte es die Zahl der im Straßenverkehr tödlich Verletzten jährlich um etwa die Hälfte senken. Das wären ungefähr 140 Menschenleben. Auch die Zahl der leicht bis schwer Verletzten würde demnach um etwa die Hälfte zurückgehen.
Präsident: Limit spart auch Geld
Die Einsparungen lösten nicht die Klimaherausforderungen im Verkehr, „aber sie sind eben auch keine Kleinigkeit“, betonte UBA-Präsident Dirk Messner. Um die gleiche CO2-Minderung wie durch das Tempolimit zu erreichen, müssten drei Millionen mehr reine Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen mit der durchschnittlich angesetzten Fahrleistung unterwegs sein, erläuterte der UBA-Präsident. Wenn deren Kauf per Umweltbonus gefördert worden wäre, hätte das mehr als 13 Milliarden Euro Kosten beim Staat verursacht.
Messner hob hervor, dass die bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichten, um die verbindlichen Jahresziele für den Verkehr nach dem Klimaschutzgesetz einzuhalten. Die jährlichen Zielverfehlungen summieren sich im Verkehr bis 2030 auf 271 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Die Tempolimits „könnten diese Klimaschutzlücke zwischen dem derzeit erwarteten Emissionsverlauf und den verbindlichen Zielen um rund ein Sechstel schließen“, argumentierte der UBA-Präsident.
Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem es kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gibt. In den anderen EU-Staaten gilt der Regel eine Höchstgeschwindigkeit von 120 oder 130 Kilometer pro Stunde. (afp/EB)
Wissing: „Tempo ist Eigenverantwortung der Bürger“
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt staatliche Maßnahmen für weniger Straßenverkehr zugunsten des Klimaschutzes weiterhin ab. „Das Tempo gehört in die Eigenverantwortung der Bürger, solange andere nicht gefährdet werden. Der Staat sollte sich hier zurückhalten“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Es brauche kein Tempolimit in Deutschland. „Die hohen Energiepreise führen schon jetzt dazu, dass viele Menschen langsamer fahren. Und bei den E-Autos werden die Menschen auch nicht so schnell fahren, weil sie ihren Akku schonen wollen.“ Wissing bekräftigte: „Die Lösung kann nicht sein, dass wir den Straßenverkehr in Deutschland einschränken. Autofahren bedeutet Freiheit, Flexibilität und Privatsphäre, im ländlichen Raum und im Alter außerdem Teilhabe und Selbstbestimmung.“
Fast zwei Drittel der Deutschen sind aktuellen Umfragen zufolge für ein Tempolimit auf Autobahnen. Auch SPD und Grüne hatten sich in der Bundesregierung dafür ausgesprochen, bislang blockiert allerdings die FDP den Vorschlag. Im Koalitionsvertrag ist eine Einführung daher nicht vereinbart. (flh)