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Rundschau-Debatte des TagesTaugen Niederlande als Vorbild für Cannabis-Legalisierung?

Lesezeit 5 Minuten

Seit fast 50 Jahren verkaufen Coffeeshops in den Niederlanden legal weiche Drogen. 

  1. Die Niederlande galten Befürwortern einer Legalisierung von Cannabis lange als Vorbild.
  2. Inzwischen aber hat das Land mit einer Reihe unangenehmer Folgen zu kämpfen.
  3. Sind Kriminalität und der Konsum harter Drogen unerwünschte Nebenwirkungen von allzu großer Toleranz?

Den Haag – Wer in Den Haag lecker essen will, geht in die Prinsestraat. Hier reiht sich Restaurant an Restaurant. Dass auf der kulinarischen Meile ein Coffeeshop nicht fehlen darf, versteht sich in den Niederlanden von selbst. Das „Cremers“ ist einer der Anlaufpunkte für all jene, die noch einem anderen Genuss frönen: dem Rauchen eines Joints. Im „Cremers“ können sich Kiffer mit Cannabis-Produkten eindecken. Voll ist es hier eigentlich immer, manchmal bilden sich auf dem Gehsteig sogar Warteschlangen.

Doch auch die Nachfrage nach anderen Drogen ist im Nachbarland groß. Da wegen der Corona-Pandemie Diskotheken, Bars, Clubs und Kneipen lange Zeit geschlossen waren und im Sommer keine großen Festivals stattfanden, ging die Polizei davon aus, dass die Nachfrage zumindest nach synthetischen Drogen sinken würde. „,Wer tanzt schon allein in seinem Wohnzimmer und wirft sich dabei Ecstasy-Pillen ein?‘, dachten wir“, erinnert sich Drogenexperte Max Daniel.

Harte Drogen auf dem Vormarsch

Das Gegenteil war der Fall. Die Ecstasy-Produktion sei im Corona-Jahr 2020 um rund ein Fünftel gestiegen, sagt Daniel. Allein im vergangenen Jahr hoben die Fahnder 108 Drogenlabore aus. Den Jahresumsatz mit synthetischen Drogen schätzen Beobachter in den Niederlanden auf etwa 18 Milliarden Euro.

Viel Geld für den Fiskus

Eine Legalisierung von Cannabis würde dem deutschen Staat 4,7 Milliarden Euro bringen. Die Summe setze sich aus zusätzlichen Steuereinnahmen, Sozialversicherungsbeiträgen und Einsparungen bei Strafverfolgung und Justiz zusammen, errechnete der Wettbewerbsökonom Justus Haucap in einer vom Deutschen Hanfverband vorgestellten Studie.

Die Studie schlägt vor, den Markt für Cannabis zu regulieren und den Verkauf zu besteuern. Allein die Steuer würde nach Haucaps Berechnungen 1,8 Milliarden Euro bringen. Dazu kämen unter anderem 526 Millionen Euro an Sozialbeiträgen und 280 Millionen Euro an Lohnsteuer durch rund 27000 Arbeitsplätze, die im Fall einer Legalisierung entstehen würden.

Hanfverbands-Geschäftsführer Georg Wurth erklärte, durch das Verbot von Cannabis würden zudem „Milliarden für sinnlose Polizeieinsätze aus dem Fenster geworfen“: „Das Geld wäre bei Aufklärung, Prävention und Hilfe viel effektiver eingesetzt.“ (afp)

Allein in Rotterdam konsumieren die Menschen täglich Hunderte Kilo Kokain. Zudem werden in der Stadt mit dem größten Hafen Europas täglich rund 67000 Joints und 2400 Crystal-Meth-Einheiten geraucht sowie 25000 Speed- oder Ecstacy-Pillen geschluckt – das haben Analysen des Abwassers ergeben. Im Rotterdamer Hafen wurden voriges Jahr 41,6 Tonnen Kokain beschlagnahmt. In diesem Jahr werden es wohl noch mehr.

Toleriert, nicht legalisiert

Seit Mitte der 1970er-Jahre gibt es in den Niederlanden Coffeeshops. Dort sind weiche Drogen wie Cannabis, Marihuana und Haschisch erhältlich. Das Gramm „Wiet“, wie die Hanfprodukte genannt werden, kostet derzeit um die zehn Euro. Einkaufen darf dort nur, wer älter als 18 Jahre ist. Pro Person dürfen es maximal fünf Gramm sein – doch das zu kontrollieren ist in der Praxis fast unmöglich.

Was für die Konsumenten paradiesisch klingt, steht längst für eine schizophrene Praxis. Denn die rund 750 Coffeeshops im Land dürfen den Stoff für den Joint zwar verkaufen. Sie dürfen ihn aber nicht legal erwerben. „Gedoogbeleid“ nennen das die Niederländer, Politik der Toleranz. Und tatsächlich toleriert der Staat den Cannabis-Verkauf in kleinen Mengen. Im juristischen Sinne legalisiert wurde der Drogeneinkauf oder -verkauf aber nie.

Das führte dazu, dass in den Niederlanden eine riesige und inzwischen sehr gewalttätige Drogenmafia entstand. Denn die Coffeeshops müssen ihre Drogen auf dem Schwarzmarkt kaufen – bei Anbietern mit Strukturen des organisierten Verbrechens. Alle politischen Versuche, diese widersinnige Situation zu beenden – sie reichten vom völligen Verbot aller Coffeeshops bis zur vollständigen Legalisierung auch des Anbaus – sind bis heute erfolglos geblieben.

THC-Anteil steigt ständig

Zudem werden auch in den Niederlanden die Warnungen lauter, dass der regelmäßige Konsum von Cannabis süchtig machen und Psychosen hervorrufen kann. Das Trimbos-Institut für Suchtgefahren sieht den Hauptgrund im ständig steigenden, „high“ machenden THC-Gehalt im „Wiet“. Der in den Niederlanden oft in Gewächshäusern illegal produzierte „Nederwiet“ hat in der Regel einen THC-Gehalt zwischen 16 und 18 Prozent. Zum Vergleich: Joints zu Hippie-Zeiten wiesen einen THC-Gehalt zwischen vier und sechs Prozent auf.

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Im Februar 2017 stimmte das niederländische Parlament zwar für einen staatlich kontrollierten Hanf-Anbau. Das Gesetz ist aber noch nicht in Kraft, weil die Zustimmung des Senats aussteht. Dort gibt es heftige Kritik: Indem der Staat Hanf anbaue, der dann von staatlichen Stellen an die Coffeeshops legal verkauft würde, mache sich die Regierung zum Dealer, so die Mahnung.

Mafia dominiert das Geschäft

Zudem stellt sich die Frage: Würde es die Drogenmafia akzeptieren, wenn der Staat ihr das Geschäft zerstört? Vor allem ein marokkanischer Clan fordert die Autoritäten ganz offen heraus. Drogenboss Ridouan Taghi (43) sitzt seit 2019 im Gefängnis. Ihm wird derzeit der Prozess gemacht. Mutmaßlich auf Befehl von Taghi wurden allein in diesem Jahr drei am Prozess als Zeugen, Anwälte und Berater beteiligte Personen liquidiert; unter ihnen der Star-Reporter Peter de Vries, der am 6. Juli in Amsterdam von einem Auftragskiller erschossen wurde.

Für Beobachter ist das Fazit inzwischen klar: Die liberale Drogenpolitik hat die Niederlande zum Narco-Staat gemacht. Durch den hohen THC-Gehalt wird Cannabis immer gefährlicher für die Gesundheit. Und es entstand eine Mafia, die immer mächtiger und brutaler wird.