Berlin – Angesichts deutlich steigender Corona-Zahlen hat die Bundesregierung die Länder eindringlich dazu aufgefordert, die beschlossene „Corona-Notbremse” einzuhalten und die staatlichen Beschränkungen notfalls wieder zu verschärfen.
Der Bund-Länder-Beschluss vom 3. März müsse umgesetzt werden, „nicht nur in seinen erfreulichen Passagen, sondern eben auch in seinen schwierigen”, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dies würde etwa bedeuten, den Einzelhandel und Friseure wieder zu schließen, wenn es mehr als 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen gibt. Doch es gibt Abweichungen von dieser Vereinbarung. Währenddessen stieg die Sieben-Tages-Inzidenz bundesweit zum fünften Mal in Folge - Deutschlands Intensivärzte forderten daher eine schnelle Rückkehr in den Lockdown.
Die Bundesregierung erkenne die Gefährlichkeit der jetzt herrschenden Situation an, und das sollte jeder, sagte Seibert. „Steigende Inzidenzen, steigende Fallzahlen, insbesondere auch in der jüngeren Bevölkerung, kein Rückgang mehr der Belegung der Intensivbetten - das sind ungute Entwicklungen, auf die wir alle zusammen reagieren müssen.” Deshalb stehe die Bundesregierung auch zu dem Beschluss der Notbremse.
Unter anderem zwei Landkreise in Brandenburg hatten angekündigt, trotz einer Sieben-Tages-Inzidenz über 100 keine schärferen Corona-Regeln einzuführen. Auch das rheinland-pfälzische Pirmasens etwa zog die Notbremse am Montag nur mit halber Kraft, obwohl die Inzidenz dort seit mehr als drei Tagen über 100 liegt.
In Mecklenburg Vorpommern sind Verschärfungen der Kontaktregeln oder die Schließung vieler Einzelhandelsgeschäfte ab einem Inzidenzwert von 100 erst vorgesehen, wenn das Bundesland insgesamt diesen Wert an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschreitet.
In Nordrhein-Westfalen überschritten am Montag 14 der 53 Kreise und kreisfreien Städte die Marke von 100, darunter die Millionenstadt Köln. Die Corona-Notbremse hat bislang keine Kommune gezogen. Köln und Duisburg teilten mit, man wolle abwarten, ob der Wert in den nächsten Tagen stabil und signifikant über der Marke bleibe.
In Bayern färbt sich die Landkarte ebenfalls immer roter - laut Dashboard des Robert Koch-Institutes (RKI) lagen am Montag 37 von insgesamt 96 Städten und Kreisen über der kritischen Grenze von 100. Bislang ist nicht bekannt, dass in den betroffenen Landkreisen die Notbremse nicht gezogen wird.
In Sachsen lagen am Montag acht der zehn Landkreise sowie Chemnitz über der 100er-Schwelle - in Hessen waren es acht Städte und Kreise. Der Aspekt der „Notbremse” sei noch nicht abschließend in einer Verordnung geregelt, hieß es vom Land Hessen.
Deutschlandweit stieg die Sieben-Tages-Inzidenz zu Wochenbeginn auf 82,9 (Vortag: 79,1). Auch die Entwicklung der Reproduktionszahl bereitet Sorgen. Der R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Montag bei 1,15 (Vortag: 1,19). Das bedeutet: 100 Infizierte stecken rechnerisch 115 weitere Menschen an. „Entscheidend ist, dass die Ansteckungsrate nicht über den sogenannten R-Wert von etwa 1,2 steigt”, hatte Christian Karagiannidis von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zuletzt gesagt. Sonst werde es kritisch - vor allem mit Blick auf freie Intensivbetten.
Der Intensivmediziner fordert deshalb eine sofortige Rückkehr in den Lockdown. Wichtig sei es, nun die über 50- und über 60-Jährigen schnell zu impfen. Dann würden auch weniger Menschen mit Covid-19 schwer krank.
In der Debatte um mehr Tempo bei Corona-Impfungen warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor falschen Erwartungen an eine Einbeziehung der Hausärzte. Ihre Beratungen dazu mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwochabend müssten maximale Flexibilität bringen, dürften aber keine neuen Enttäuschungen produzieren, sagte Merkel am Montag nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vor dem CDU-Vorstand. Praxisärzte fordern eine schnelle Einbeziehung und kritisieren, dass verfügbarer Impfstoff zuerst weiterhin an die Impfzentren der Länder gehen soll. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern peilen einen breiten Impfstart in Praxen spätestens in der Woche vom 19. April an.
Die Impfkampagne dürfte vor zusätzlichen Schwierigkeiten stehen, weil am Montag Impfungen mit dem Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland ausgesetzt wurden. Grund für die Vorsichtsmaßnahme sind laut Bundesgesundheitsministerium Meldungen über Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung.
Über den Impf-Fahrplan sollen Merkel und die Länderchefs entscheiden. Dafür muss aber auch genug Impfstoff da sein, wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) deutlich gemacht hatte. Der Virchowbund der niedergelassenen Ärzte monierte am Montag, eine Debatte darüber, wer am schnellsten nicht vorhandenen Impfstoff verimpfen könne, sei „an Absurdität nicht zu überbieten”. Solange wegen geringer Mengen in großem Maße priorisiert werden müsse, könne die Entscheidung über eine Impfberechtigung nicht am Tresen in den Hausarztpraxen fallen.
© dpa-infocom, dpa:210315-99-826590/7 (dpa)