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Raumfahrt als „kritische Infrastruktur“Bundeswehr rüstet sich für Konflikte im All

Lesezeit 5 Minuten
Weltraum: Die Erde im Weltall.

Weltraum: Die Erde im Weltall.

Die Bundeswehr sieht den Weltraum als militärischen Operationsraum und bereitet sich darauf vor, Deutschland vor Angriffen aus dem All zu schützen.

Die Tür des Simulators schließt sich leise. Im Halbdunkel des Raums breitet sich eine gespannte Stille aus. Plötzlich fährt ein Ruck durch die Sitze. Langsam hebt die virtuelle Rakete von ihrem Startplatz in der Clausewitz-Kaserne im Hamburger Westen in die Dunkelheit des Alls ab. Die Erde unter ihr wird kleiner, bis Deutschland nur noch ein Fleck auf dem Planeten ist. Die Krümmung der Erde, die strahlend blauen Ozeane und die wirbelnden Wolkenformationen – es ist ein Anblick, der selbst den erfahrenen Soldaten der Führungsakademie der Bundeswehr den Atem raubt. Doch so friedlich es hier oben auch wirken mag: Der Weltraum ist zum militärischen Operationsraum geworden.

Weltraumkommando gegen Gefahren im All

Es klingt wie Science-Fiction, ist aber längst Realität: Bei der Bundeswehr rückt der Weltraum immer mehr in den Fokus. Bereits seit 2021 gibt es bei der Luftwaffe ein Weltraumkommando, das Deutschland vor Gefahren im All schützen soll – nicht zuletzt vor militärischen Angriffen. Für die angehenden Führungskräfte der Bundeswehr gehört das Konfliktfeld Weltraum mittlerweile zur Ausbildung. Zum Abschluss ihrer Studienphase an der Hamburger Führungsakademie wurde mit einem „Space Day“ nachdrücklich auf das Thema aufmerksam gemacht.

Highlight des Weltraum-Tages: Der speziell umgerüstete und begehbare Hightech-Lastwagen „Space Buzz One“, der äußerlich einer liegenden Rakete ähnelt und im Inneren Virtuell-Reality-Technologie im Weltraumdesign beherbergt. Auf speziell beweglichen Sitzen können je neun Personen die 3D-Simulation eines Raketenstarts erleben und innerhalb von 15 Minuten einmal virtuell um die Erde bis zum Mond fliegen.

Ohne die Einsatzunterstützung aus dem Weltall stünden wir auf verlorenem Posten.
Ralf Kuchler, Flottillenadmiral

Entwickelt wurde der „Spaze Buzz One“ vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – eigentlich für Schulklassen. Doch auch bei den angehenden Führungskräften soll er einen sogenannten Overview-Effekt auslösen: das Phänomen, von dem Raumfahrer berichten, wenn sie zum ersten Mal den Planeten Erde aus dem Weltall sehen. Der Effekt wird als Erfahrung beschrieben, die die Perspektive auf unsere Erde und die Menschheit verändert. Grundlegende Merkmale sind ein Gefühl der Ehrfurcht, ein tiefes Verstehen der Verbundenheit allen Lebens – aber auch die Erkenntnis, wie verwundbar unsere Welt ist.

Deutschland und seine Partner in der Zukunft vor Angriffen im und aus dem All zu schützen, gehört zu den Aufgaben der künftigen militärischen Anführer. An der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Nienstedten, der höchsten militärischen Ausbildungseinrichtung der deutschen Streitkräfte, werden sie ausgebildet. An der Akademie befinden sich ständig mehr als 600 Lehrgangsteilnehmer – davon rund 100 ausländische Offiziere aus etwa 50 Ländern. Geführt wird die Akademie seit vergangenem Jahr von Flottillenadmiral Ralf Kuchler. Er erklärte die Wichtigkeit der Dimension Weltraum für die Bundeswehr: „Ohne die Einsatzunterstützung aus dem Weltall stünden wir auf verlorenem Posten. Auch hier müssen wir deshalb unabhängig, müssen wir kriegstüchtig werden.“

Keine Weltraumschlachtschiffe à la „Krieg der Sterne“

Damit ist nicht Aufrüstung mit Weltraumschlachtschiffen à la „Krieg der Sterne“ gemeint, sondern die Sicherung und Bereitstellung von Weltraumtechnik, die auch heute schon essenziell für das moderne Leben auf der Erde ist. Rund 8400 intakte Satelliten kreisen um den Planeten. GPS, Internet, Wetterbeobachtung, Kommunikation und verschiedenste Industrieanwendungen hängen an funktionierenden Satellitendienstleistungen. Und auch die Streitkräfte benötigen das All zur Kommunikation und zur Aufklärung.

Was das bedeutet, kann man etwa im Ukrainekrieg beobachten. Dort setzt Russland auf das sogenannte Jamming – also das aktive Stören oder Blockieren der GPS-Satellitennavigation. Das kann unter anderem dazu führen, dass eine ukrainische Aufklärungsdrohne vom Kurs abgebracht oder gar zum Absturz gebracht wird. Es kann aber auch in der zivilen Luftfahrt für Probleme sorgen: Das GPS-Signal wird von Flugzeugen etwa zur Bestimmung der eigenen Position und zur Navigation verwendet.

Wettrüsten im All bereits in vollem Gange

„Wir gehen jetzt nicht so weit und sagen, die Kriege der Zukunft oder der nahen Zukunft werden im Weltall gewonnen. Aber derjenige, der keinen ungehinderten Zugang zu den Weltraumdiensten hat, hat auf jeden Fall einen entscheidenden Nachteil und ist der Niederlage nahe“, betont Kuchler.

Tatsächlich ist das Wettrüsten im All bereits in vollem Gange. In den USA wurde in den vergangenen Jahren die US Space Force aufgebaut. 2019 war sie vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump als eigene US-Teilstreitkraft ins Leben gerufen worden. Sie ist neben Heer, Marine, Luftwaffe, Marineinfanteriekorps und Küstenwache die sechste eigenständige Teilstreitkraft der USA – nach US-Angaben mit mehr als 18000 Mitarbeitern. Die US Space Force forderte für das Geschäftsjahr 2022 ein Budget von 17,4 Milliarden US-Dollar – knapp zwei Prozent des US-Wehretats. Und auch in Russland und China wurden bereits Tests mit sogenannten „Anti-Satellitenwaffen“ durchgeführt und Satelliten in niedrigeren Umlaufbahnen gezielt außer Gefecht gesetzt.

„Raumfahrt ist heute eine kritische Infrastruktur“, erklärt Walther Pelzer, Mitglied des DLR-Vorstands und zuständig für die Deutsche Raumfahrtagentur mit Sitz in Bonn. Man stünde „vor vielfältigen Herausforderungen von Wettbewerb trotz Marktversagen bis hin zu Machtverteilungsaktivitäten. Dieser Situation können wir in Deutschland nur gemeinsam, gesamtstaatlich und mit unseren internationalen Partnern begegnen“, erklärte Pelzer als Gastredner den rund 250 Teilnehmern des „Space Days“.

In Deutschland gibt es noch keine nationale Sicherheitsstrategie für den Weltraum. Aber an den zuständigen Stellen werde mit Hochdruck daran gearbeitet, versicherten Verantwortliche auf dem „Space Day“. Wenn alles nach Plan läuft, hat auch Deutschland im Herbst eine nationale Weltraum-Sicherheitsstrategie, so die Prognose.