AboAbonnieren

Putsch im NigerWarum Präsident Tinubu nicht als moralische Instanz taugt

Lesezeit 5 Minuten
Der nigerianische Präsident Bola Tinubu glaubt an eine diplomatische Lösung in Niger.

Der nigerianische Präsident Bola Tinubu glaubt an eine diplomatische Lösung in Niger.

Die Ecowas-Staaten zögern plötzlich mit ihrem Einmarsch im Niger. Auch die USA versuchen zu vermitteln. Der Krieg aber droht weiter – angetrieben von Nigerias neuem Präsident Tinubu.

In den sozialen Netzwerken kursiert in Nigeria dieser Tage eine wilde Verschwörungstheorie. Präsident Bola Tinubu sei medizinisch von Frankreich abhängig – schließlich hat er sich dort im Frühjahr nach seiner Wahl 34 Tage wegen einer nicht näher benannten Krankheit behandeln lassen. Und die USA hätten noch Gerichtsakten gegen ihn, schließlich wurde er dort vor 30 Jahren beschuldigt, Erlöse aus dem Heroinhandel gewaschen zu haben – ein Vorgang, der wohl in den meisten Ländern politische Karrieren unwiderruflich ausbremsen würde. Nicht in Nigeria.

In Afrikas bevölkerungsreichstem Land gibt sich Tinubu vielmehr bei der Reaktion auf den Putsch im Niger als starker Mann. Keiner plädierte offensiver für ein militärisches Eingreifen im Nachbarland durch den westafrikanischen Staatenbund Ecowas. Seine Kriegsrhetorik („Es ist Zeit für Action“) steht dabei im Kontrast zu seinem fragilen Erscheinungsbild. In Nigeria glauben dem hageren Greis wenige sein offizielles Alter von 71 Jahren. Und wenige glauben ihm auch, dass ein Einmarsch im Niger eine gute Idee wäre.

Gipfel soll Entscheidung bringen

Das Mandat für ein Eingreifen haben die Ecowas-Staaten Ende Juli einstimmig beschlossen, angefeuert vom ungeduldigen Tinubu, der derzeit den Vorsitz über die Wirtschaftsgemeinschaft hat. Doch am Montag hieß es dann, dass Ecowas zumindest „in diesem Stadium“ nun doch auf eine militärische Intervention verzichten werde. Der Staatenbund kündigte an, man werde am heutigen Donnerstag bei einem Gipfel in Nigerias Hauptstadt Abuja über das weitere Vorgehen beraten.

Tinubu hat sich offenbar überzeugen lassen, auf Zeit zu spielen, was nicht gerade dem Naturell des impulsiven Politikers entspricht. Nicht nur von den vier wegen Putschen suspendierten Mitgliedern Mali, Burkina Faso, Guinea und Niger kam Gegenwind. Sie haben, beflügelt von Hilfsangeboten der russischen Wagner-Söldner, eine Allianz geknüpft – und drohen bei einem Einmarsch im Niger mit gemeinsamer Gegenwehr. Unter anderem gegen Nigeria.

Ohne dessen Truppen würde ein Ecowas-Einsatz nicht auskommen. Zumindest Aufschub gibt es also, doch es droht weiter ein Konflikt unter Beteiligung einer ganzen Reihe strukturschwacher Länder, und das im Epizentrum des globalen Terrorismus. Ein Szenario, das die USA verhindern wollen, die, wie auch Frankreich, über 1000 Soldaten im Niger stationiert haben.

Kritik an Tinubus Einmarsch-Pläne

Bereits am Montag versuchte sich die US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland an einer Vermittlung in der Hauptstadt Niamey – mit mäßigem Erfolg. Auf das Angebot, die Rückkehr zu einer zivilen Regierung zu unterstützen, seien die Generäle nicht eingegangen. Ebenso wenig wie auf ihre Bitte, mit dem gefangen gehaltenen Präsidenten Mohamed Bazoum zu sprechen. Auch der Chef der Militärjunta, Abdourahamane Tiani, empfing sie nicht.

Zuletzt hatte es immer mehr Kritik an Tinubus Plädoyer für einen Einmarsch gegeben. Besonders in der Ecowas-Nachbarschaft wurde gewarnt, etwa durch den Tschad, Algerien und Libyen. Die Afrikanische Union hatte eine Frist gesetzt, die eine Woche länger als die der Ecowas gewählt wurde und erst Ende der Woche abläuft. Ein gesichtswahrender Zeitpuffer für beide Seiten, so scheint es. Vom Tisch ist der Einmarsch damit allerdings keineswegs.

Für Tinubu ist der Vorgang ungewohnt, er lässt sich von Gegenargumenten selten irritieren. Als er im Juli den Ecowas-Vorsitz übernahm, versah er das mit zwei Botschaften: „Nigeria ist zurück“ – das Land beansprucht nicht nur im Westen Afrikas eine Vormachtstellung, sondern sieht sich als Wortführer des Kontinents. Dazu setzte er noch eine Drohung an zukünftige Putschisten: „Wir werden nicht einen Putsch nach dem anderen akzeptieren.“

Damit hat Tinubu das Verhindern des Sturzes der vierten Ecowas-Regierung binnen drei Jahren mit nigerianischem Nationalstolz verknüpft – wohl auch, um die eigene Armee nicht auf den Gedanken zu bringen, dem Vorbild der Generäle im Nachbarland zu folgen. Erst seit 1999 ist Nigeria eine Demokratie. Von den bislang 14 Staatslenkern seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 waren neun Militärherrscher.

Der Pate von Nigeria

Doch im nigerianischen Senat verweigern sie Tinubu die Unterstützung für die Entsendung von Soldaten. Zu wahrscheinlich wäre es aus Sicht vieler Senatoren, dass ein Krieg über die Grenzen schwappen könnte. Zudem fehlen schon jetzt die militärischen Ressourcen, um die Islamisten von Boko Haram und andere bewaffnete Gruppen im eigenen Land im Zaun zu halten. 300.000 Nigerianer haben deshalb über die Jahre Zuflucht im Niger gesucht. Das Amt des Präsidenten garantiert jedoch weitreichende Kompetenzen – und Tinubu ist es zuzutrauen, dass er die Reihen in der Ecowas schließt.

In Nigeria nennen sie ihn den Paten. Den Spitznamen verdiente er sich als Gouverneur von Lagos. Acht Jahre regierte Tinubu dort, jonglierte die korrupten Eliten auch danach im Verborgenen noch so geschickt, dass ihm so mancher beachtlichen Fortschritt in dieser als unregierbar geltenden Metropole attestierte. Irgendwie hat er es zudem hinbekommen, dass Nigerias ungeschriebenes Gesetz gebrochen wurde, dass die Macht zwischen christlichen und muslimischen Präsidenten wechselt.

Wie sein Vorgänger Muhammadu Buhari ist auch Tinubu Muslim. Beide gehören zur Regierungspartei, dem „All Progressives Congress“ (APC) – und haben ein Interesse daran, von ihrer katastrophalen Bilanz abzulenken. Buhari fuhr Afrikas größte Volkswirtschaft mit chaotischer Finanzpolitik und Protektionismus an die Wand. Noch immer beschäftigt auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses vom Februar die Gerichte.

Unmittelbar nach seiner Wahl zum Präsidenten drückte Tinubu immerhin die Streichung der Benzin-Subventionen durch – der Treibstoff war so billig, dass ein beachtlicher Teil davon ins Nachbarland Benin geschmuggelt wurde. Doch das Ende der Subventionen hatte weitreichende Proteste zur Folge. Nicht zuletzt, weil von der versprochenen Umleitung der eingesparten Milliarden in den Bildungs- und Gesundheitssektor noch nicht viel zu spüren ist.