Gegen Puigdemont wird seit einem rechtwidrigen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien im Oktober 2017 ermittelt.
Puigdemonts VersteckspielSeparatisten-Chef taucht in Barcelona auf und entgeht der Verhaftung
Carles Puigdemont war schon immer für Überraschungen gut. Am Donnerstag fügte der katalanische Separatistenführer ein weiteres Kapitel zu seinem Ruf hinzu, ein Meister des Versteckspiels zu sein. Der in Spanien seit Jahren mit Haftbefehl gesuchte Unabhängigkeitspolitiker tauchte am Morgen in der katalanischen Hauptstadt Barcelona auf, hielt vor Tausenden Anhängern und unter den Augen der Polizei eine flammende Rede – und verschwand dann plötzlich wieder in der Menge.
„Ich sehe Carles Puigdemont nicht mehr“, sagte der Reporter des spanischen Fernsehens TVE verwundert. Dort, wo auf der Bühne vor dem Triumpfbogen Arc de Triomf gerade noch der legendäre Separatisten-Chef gestanden hatte, verdeckten nun gelb-rote Fahnen der Unabhängigkeitsbewegung die Sicht. Seine Anhänger hielten zudem Dutzende Papptafeln in die Höhe, auf denen Porträtfotos ihres Idols prangten. Der frühere Präsident der Region Katalonien nutzte die unübersichtliche Lage, um erneut unterzutauchen.
Gegen Puigdemont wird seit einem rechtwidrigen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder für illegale Zwecke ermittelt. Damals entging er mit einer nächtlichen Flucht, angeblich im Kofferraum eines Autos, der Festnahme. Seitdem lebte er in Belgien, das eine Auslieferung verweigerte. Vor Kurzem beschloss Spaniens nationales Parlament zwar eine Amnestie für Puigdemont, um die politische Versöhnung in Katalonien zu erleichtern. Doch der Haftbefehl besteht noch, weil das Oberste Gericht an der Rechtmäßigkeit der Amnestie zweifelt.
Polizei greift nicht ein – wohl aus Angst vor Straßenschlacht
Deswegen hatte die katalanische Regionalpolizei nun den heiklen Auftrag, den 61-Jährigen festzunehmen. Zivilpolizisten befanden sich in der Kundgebung, auf der sich Puigdemont wie in alten Zeiten als Opfer der spanischen „Repression“ darstellte und vom „Recht auf Selbstbestimmung“ Kataloniens schwärmte. Eine Polizeiarmee hielt sich im Hintergrund bereit, da man damit rechnete, dass Puigdemont und seine Anhänger zum nahen katalanischen Parlament marschieren wollten.
Aber warum griffen die Beamten nicht sofort zu? Dem Vernehmen nach befürchteten sie, dass eine Festnahme inmitten der auf mehrere Tausend Menschen geschätzten Sympathisanten-Schar in einer veritablen Straßenschlacht enden könnte. Stunden später tauchten Fotos auf, die zeigen, wie Puigdemont und einige Vertraute nach der Kundgebung in einen weißen Wagen mit dunklen Scheiben steigen. „Zivilfahnder verfolgten zunächst das Auto, das auf mehreren Straßen gegen die erlaubte Fahrtrichtung fuhr. Dann verloren sie es aus den Augen“, berichtete die katalanische Zeitung Vanguardia.
Polizist soll Puigdemont bei erneuter Flucht geholfen haben
Umgehend wurde eine Großfahndung eingeleitet. Doch Puigdemont blieb zunächst spurlos verschwunden. Auf die katalanische Regionalpolizei Mossos dEsquadra wirft diese Panne kein gutes Licht. Zumal am Nachmittag bekannt wurde, dass einer ihrer eigenen Beamten festgenommen wurde, weil er Puigdemont bei der neuerlichen Flucht geholfen haben soll. Medienberichten zufolge soll der Polizist der Halter des Fahrzeugs sein, mit dem der Separatist nach seiner Ansprache geflohen war.
Puigdemont schaffte es mit seinem Spektakel, jenem Politiker die Show zu stehlen, dem eigentlich an diesem Tag die Aufmerksamkeit gelten sollte. Die Rede ist vom künftigen Ministerpräsidenten Kataloniens, dem Sozialdemokraten Salvador Illa, ein Vertrauter des spanischen Premiers Pedro Sánchez. Illa stellte am Donnerstag im katalanischen Regionalparlament sein Regierungsprogramm vor. Er hatte im Mai die Wahl gewonnen und Puigdemont, der in seiner Heimatregion nach den Jahren im Exil wieder zurück an die Macht wollte, eine bittere Niederlage zugefügt.
Die Ernennung Illas zum neuen Ministerpräsidenten hat großen symbolischen Wert: Sie gilt als Beleg dafür, dass Puigdemonts Unabhängigkeitskurs in Katalonien keine Mehrheit mehr hat. Und dass die politische Versöhnung in der gespaltenen Region eine Chance erhält. Umfragen zufolge wünschen nur noch 40 Prozent der Katalanen einen eigenen Staat.