PerspektivenBlick zurück auf 30 Jahre Einheit im Bonner Haus der Geschichte
- Die Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte führt durch ein riesiges Brandenburger Tor aus Plexiglas in ein Wiedervereinigungs-Narrativ.
- Zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen gehen hindurch.
- Die Erfahrungen sind unterschiedlich.
Bonn – „Hattet ihr eigentlich einen Trabi“, fragt Katrin Wotzke ihre Kollegin Julia Steiner. „Klar, meine Eltern hatten einen“, antwortet sie, „ich weiß aber nicht mehr, welche Farbe, nach der Wende kauften sie dann einen VW Jetta“. Wir stehen in der Dauerausstellung des Bonner Hauses der Geschichte, dort, wo die Präsentation auf den letzten 50 Metern des Geschichts-Parcours durch 75 Jahre noch einmal Fahrt aufnimmt.
Große Inszenierung für einen großen Moment: Ein Trabant steht da in einem giftigen Grün zwischen zwei besprühten Mauersegmenten. Im Hintergrund eine große Projektionswand, auf der Filmszenen vom Mauerfall laufen. Der vielleicht emotionalste Augenblick in der Bonner Deutschland-Erzählung. „Man kennt diese Bilder“, sagt Steiner, „und doch kriege ich immer eine Gänsehaut, wenn ich sie sehe.“
Wende-Ikone Trabi, Mauerrest und kollektive Begeisterung
Die Ausstellung führt weiter durch ein riesiges Brandenburger Tor aus Plexiglas in ein Wiedervereinigungs-Narrativ, das etliche Kapitel der politischen Agenda und des Alltagslebens mittels Einzelobjekten oder in Themenvitrinen dokumentiert. Nachdem unser Fotograf Benjamin Westhoff das Bild mit den Wende-Ikonen Trabi, Mauerrest und kollektiver Begeisterung („Wir sind das Volk!“) aufgenommen hat, suchen wir noch ein weiteres Fotomotiv für die Kulturwissenschaftlerin und die Historikerin.
Sie stellen sich vor die Vitrine mit literarischen Stimmen aus der Nachwendezeit – Jana Hensel „Zonenkinder“, Clemens Meyer „Als wir träumten“. Neben dem Thema Fußball und den wichtigsten Ostdeutschen in Sport und Medienwelt deuten sie auf eine Vitrine mit Rotkäppchen-Sekt und dem schönen Slogan „Ost schluckt West“ – 2002 übernahm die ostdeutsche Sektkellerei den Westschampus Mumm. Wotzke und Steiner outen sich lachend als Rotkäppchen-Fans. Ein verbindendes Element bei zwei so unterschiedlichen Biografien.
Der Osten war ziemlich exotisch
Julia Steiner wurde 1987 in Erfurt geboren, ist dort aufgewachsen, also „eine echte Puffbohne, wie man in Thüringen sagt“ (Steiner). In Jena studierte sie Germanistische Literaturwissenschaft, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft. Promoviert wurde sie in Freiburg. In Frankfurt am Main volontierte sie im Kulturamt, Schwerpunkte Literatur und Kulturmanagement. Dann kam sie ans Haus der Geschichte, wo sie als Programmkoordinatorin tätig ist.
Katrin Wotzke, seit 2009 Programmreferentin im Haus der Geschichte, wurde 1980 in Hadamar im Westerwald geboren, wuchs im Hunsrück und in Rheinhessen auf. Nach einem freiwilligen sozialen Jahr in Köln studierte sie ab 2000 Kulturwissenschaften, Soziologie und Kommunikationswissenschaften in Leipzig. „Ich habe damals überlegt, ob ich das überhaupt kann, in den Osten zu gehen, das war damals noch ziemlich exotisch“, erinnert sich Wotzke. Es habe sich aber gut angefühlt.
Keine echte DDR-DNA
Sie ging in den Osten, blieb neun Jahre in Leipzig, arbeitete nach dem Studienabschluss beim Dok-Filmfestival und ging ans Zeitgeschichtliche Forum Leipzig. Das Forum dokumentiert die Geschichte der deutschen Teilung, das Alltagsleben in der DDR, den Wiedervereinigungsprozess und das Zusammenwachsen von Ost und West.
Eine echte DDR-DNA hat die drei Jahre vor der Friedlichen Revolution geborene Steiner nicht: „Ich bin eigentlich nicht anders aufgewachsen als Kinder im Westen“, sagt Steiner, der ihre DDR-Identität gewissermaßen erst im Westen auffiel: „In Freiburg sagte man mir: Du bist meine erste Freundin aus der DDR. Ich war ein Exot.“ Sie sei zwar mit Eltern und Lehrern aufgewachsen, die eine DDR-Biografie haben, aber das wirklich Prägende – Fernsehen, Musik, Bücher – kam aus dem Westen.
Zunehmende Verbindung zur Erfurter Heimat
Und doch spürt Julia Steiner eine zunehmende Verbindung zu ihrer Erfurter Heimat. Warum? Weil ihre Familie und die Freunde, die dort leben, ihr vermitteln, dass, „wie auf den Osten geblickt wird, das nicht das reale Bild darstellt“. Es gebe eine Angst im Osten vor einer neuen Spaltung, vor neuen Vorurteilen.
Mit dem Einzug der AfD in die Parlamente und mit der Pegida-Bewegung habe sich nicht nur die Situation im Osten verändert, sondern auch die Wahrnehmung, das Bild des Ostens. Steiner reagiert sehr sensibel auf diese Entwicklung, liest viel, verfolgt Wahlergebnisse, registriert, was auf der Straße los ist. Obwohl sie rein altersmäßig selbst nicht zum „Netzwerk dritte Generation Ostdeutschland“, sondern vielmehr zu den „Nachwendekindern“ (Autor Johannes Nichelmann) zählt, teilt sie dessen Interesse und verfolgt, was dort publiziert wird.
Gemütlich in der Studien-Blase
Bei dem Netzwerk handelt es sich um zwischen 1975 und 1985 in der DDR geborene, die, oft publizistisch oder in den Medien tätig, zum Beispiel kritisch auf DDR-Klischees blicken. Sie bewerten die Transformationszeit um 1990 aus ihrer Perspektive, der dritten Generation, die die Friedliche Revolution als Kinder oder Jugendliche erlebte und nun die Wiedervereinigungsgeschichte um eigene Kommentare und Sichtweisen erweitert.Da werden unter anderem die erste und zweite Generation Ost nach Stasi, DDR-Alltag und Widerstand befragt.
Als Wotzke 2000 zum Studieren nach Leipzig ging, bekam sie von einer wendekritischen Stimmung nicht viel mit, „was auch mit der Studien-Blase zusammenhängen mag, in der wir alle steckten“. Später, als sie beim Zeitgeschichtlichen Forum arbeitete, erlebte sie auch Widerstand. Das sei die Geschichte des Ostens aus Westperspektive, lautete die Kritik mancher, die in der DDR sozialisiert worden waren.
Große Teile der Enttäuschung hängen mit den 1990er Jahren zusammen
„Dabei ist die Ausstellung faktisch richtig und gut recherchiert“, sagt Wotzke, „aber offenbar haben sich manche darin nicht wiedergefunden. Damals akzeptierte ich die Kritik nicht, verteidigte die Präsentation vielleicht auch aus einer westdeutschen Perspektive heraus. Heute kann ich die Stimmen aus dem Osten besser einordnen, die sagen der Chor sei vielstimmiger.“
Die Dauerausstellung in Leipzig sei im Übrigen 2018 völlig neu überarbeitet worden. Große Teile der Enttäuschung hingen mit den 1990er Jahren zusammen, erläutert Wotzke: die Demoralisierung, der Verlust gewohnter Autoritäten, der Zusammenbruch der Infrastruktur, geschlossene Clubs und Kneipen, nichts los auf dem Land – und eine rechte Jugendkultur, die dort Angebote machte.
Wotzke sieht die historischen Meilensteine
Katrin Wotzke berichtet von unterschiedlichen Erfahrungen, von DDR-Kommilitonen, deren Eltern im Zuge der Wende arbeitslos wurden und nie wieder in Arbeit gekommen seien: „Ich hatte eine grundlegend andere Erfahrung, da ich in einem klassischen westdeutschen Modell aufgewachsen bin, wo der Vater bis zur Rente erwerbstätig war, als Alleinverdiener, und meine Mutter Hausfrau war.“
Wotzke sieht auf der einen Seite die historischen Meilensteine, die Bilder der Jahre um 1989, findet aber noch spannender, was etwa in der Transformationszeit in den Familien passierte. Erst in den letzten Jahren werden diese Geschichten publik, zum Beispiel durch das „Netzwerk dritte Generation Ostdeutschland“.
Steiner kennt niemanden, der die DDR zurückhaben will
Ist Ostalgie ein Thema? Steiner: „Ich kenne niemanden, der die DDR zurückhaben will, vielleicht Bausteine wie Kinderbetreuung und Vollbeschäftigung.“ „Wenn DDR-Produkte wiederaufgelegt werden, ist das lustig, interessiert mich aber nicht sonderlich.“
Wotzke räumt ein, dass es natürlich Aufgabe des Museums sei, Produkte des Alltags im Zuge der historischen Spurensicherung zu bewahren. So hat die Stiftung Haus der Geschichte die exquisite staatliche Sammlung Industrielle Gestaltung übernommen: „Tolles DDR-Design, aber man muss wissen, dass kaum jemand in den Genuss der guten Stücke kam, nur wenige Exemplare waren verfügbar.“
Wie bildet man eine verschwundene Welt ab?
Und dann wird das Gespräch geradezu philosophisch. Katrin Wotzke stellt die Frage „Wie bildet man eine verschwundene Welt ab?“ in den Raum. Das sei eine große Herausforderung für die Ausstellungsmacher, sagt Julia Steiner, die auf das Prinzip des Perspektivwechsels setzt. Menschen aus dem Westen sei oft nicht bewusst, wie wichtig und essenziell das Kollektiv im Alltagsleben der DDR war, in der Arbeitswelt aber auch in der Freizeit. Und sie will nicht akzeptieren, dass im Westen kaum Sensibilität für die besondere Geschichte Ostdeutschlands vorhanden ist.
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Wotzke ergänzt: „Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist es nötig und wichtig, dass sich der Westen für die Geschichte des Ostens interessiert. Wir sind ein Deutschland. Und wir Westdeutsche profitieren davon, dass ganz viele Ostdeutsche, Bürgerrechtler, aber auch normale Menschen sich den Demonstrationen angeschlossen und die Mauer zum Einsturz gebracht haben.“ Ihr Rezept: „Mal an die Ostsee fahren und nicht an die Nordsee, an die Müritz und nicht an den Chiemsee, es gibt so viele tolle Orte und Landschaften im Osten.“