Vor allem Kinder betroffenViele NRW-Städte sind in der Armutsfalle

Armut ist in NRW-Städten ein zunehmendes Problem.
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Düsseldorf – Deutschland ist ein reiches Land – keinem muss es an Nahrung, Kleidung, Obdach und Gesundheitsversorgung mangeln. Doch auch hier gibt es relative Armut – und die ist sehr ungleich verteilt. Armut ist vor allem ein Problem der Großstädte: So betrug der Anteil der Sozialleistungsempfänger an der Bevölkerung deutschlandweit zuletzt 10,1 Prozent.
Hierzu zählen Empfänger von Hartz IV ebenso wie von Sozialhilfe und Grundsicherung. In Städten mit über 100 000 Einwohnern liegt diese Quote deutlich höher – bei 14,0 Prozent. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung hervor.
Gelsenkirchen ist Schlusslicht
Während bundesweit die so definierte Armutsquote von 2007 bis 2016 gesunken ist, ist sie in 37 von 80 untersuchten Großstädten gestiegen. Und zu den Großstädten mit steigender Armut gehören alle 13 Ruhrgebiets-Kommunen mit mehr als 100 000 Einwohnern.
Schlusslicht ist Gelsenkirchen mit einer Armutsquote von 26 Prozent – mehr als jeder vierte Einwohner ist hier auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Vor zehn Jahren war es jeder fünfte. Aber auch in Dortmund und Duisburg ist die Armutsquote auf 20 Prozent gestiegen.
Strukturwandel noch nicht vollständig bewältigt
Das sei mit dem dort noch nicht vollständig bewältigten Strukturwandel zu erklären, sagt Henrik Riedel, einer der Projektleiter der Studie. Das ist noch nett formuliert. Trotz der Milliardenförderung durch Bund und Land konnte der Wegfall an Arbeitsplätzen in Kohle und Stahl vielfach bis heute nicht kompensiert werden.
Die Autobahn A 40 gilt mittlerweile als „Sozialäquator“ im Revier: Nördlich davon sind Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut besonders hoch. Gelsenkirchen etwa hat eine Arbeitslosenquote von 12,5 Prozent. 40 Prozent der Erwerbslosen sind länger als ein Jahr ohne Job und entsprechend schwer zu vermitteln. Damit hält Gelsenkirchen im Bundesvergleich die rote Laterne bei der Arbeitslosigkeit.
Münster weiterhin unter zehn Prozent
In den neuen Ländern haben sich sowohl Arbeitslosen- als auch Armutsquoten besser entwickelt. In den zehn ostdeutschen Großstädten wie Berlin, Rostock oder Leipzig ist die Armutsquote in den vergangenen zehn Jahren gesunken.
In Mönchengladbach und Remscheid herrschen dagegen ruhrgebietsähnliche Verhältnisse: Hier legte die Armutsquote auf von 18 auf 20 beziehungsweise von 12 auf 15 Prozent zu.
Auch diese Städte haben mit ihrem Strukturwandel zu kämpfen. Anderen Teilen von Nordrhein-Westfalen geht es da deutlich besser: In der Beamten- und Studentenstadt Münster etwa liegt die Armutsquote konstant bei neun Prozent.
Das ist nahe an den fünf Prozent, die die reichsten deutschen Großstädte wie Heidelberg und Ingolstadt vorweisen können. Bonn steht mit zwölf Prozent ebenso wie Aachen (13 Prozent) vergleichsweise gut da, obwohl in beiden Städten die Quote leicht gestiegen ist. In Düsseldorf blieb die Armutsquote mit 13 Prozent konstant, ebenso in Köln mit 14 Prozent.
Wahrnehmung in der Bevölkerung
Die Bevölkerung nimmt die steigende Armut durchaus wahr: 46 Prozent der Großstädter sind der Meinung, dass die Armut in ihrer jeweiligen Stadt gestiegen ist. Dies ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts Kantar Emnid im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Deutschlandweit meinen das dagegen nur 34 Prozent. Je größer die Stadt, für desto dringlicher halten die Bewohner das Armutsproblem.
Armutsgefährdung ist nicht nur eine Frage der Region, sondern auch des Alters. Doch anders, als viele meinen, ist dabei nicht Altersarmut das Problem: „Kinder haben ein deutlich höheres Armutsrisiko als ältere Menschen“, schreiben die Autoren der Studie. So liegt die durchschnittliche Armutsquote der über 65-Jährigen in Großstädten nur bei 4,5 Prozent, während es bei den Kindern 22,3 Prozent sind.
Herausforderung für Sozial- und Bildungspolitik
Auf Fürsorge angewiesen sind vor allem Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, in denen nur ein Elternteil arbeitet oder alleinerziehend ist. Laut Mikrozensus leben fast zwei Millionen Kinder unter 15 Jahren in einkommensarmen Haushalten.
Ihnen etwa mit dem Ausbau von Kitas und guter Nachmittagsbetreuung der Schulen bessere Startchancen zu geben, bleibt die große Herausforderung der Sozial- und Bildungspolitik.
Diakonie warnt
Die Diakonie sieht im Auseinanderklaffen von armen und besser gestellten Städten eine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft. „Die Menschen, die in klammen Kommunen leben, fühlen sich abgekoppelt vom wahren Leben und in ihrer Situation nicht wahrgenommen“, sagte der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. „Dieses oft unvermittelte Nebeneinander unterschiedlicher Welten gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zustimmung zur Demokratie.“
Das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse gehöre „dringend ganz nach oben auf die politische Agenda“, forderte Lilie. Lebenschancen und Lebensqualität hingen immer stärker davon ab, wo ein Mensch wohne. In den boomenden Metropolregionen gebe es eine ausreichende soziale Infrastruktur mit vielen kostenfreien Angeboten , sagte Lilie. In finanziell klammen Kommunen lebe es sich hingegen weniger gut.