Zwei Jahrzehnte lang war Georg Gänswein der engste Mitarbeiter und Vertraute von Benedikt XVI. Nun sorgt ein Enthüllungsbuch des Sekretärs für Aufregung im Vatikan.
„Nichts als die Wahrheit“Gänsweins Enthüllungsbuch heftig kritisiert
Seit dem Tod des früheren Papstes Benedikt XVI. führt dessen langjähriger Privatsekretär Georg Gänswein eine Medienoffensive. Er sagt, welchen Umgang mit seinem langjährigen Mentor er erhofft: „Santo subito“, umgehende Heiligsprechung wie bei Johannes Paul II, das sei gut möglich. Er übermittelt die letzten Worte des Sterbenden: „Signore ti amo“, „Herr, ich liebe Dich“, auf Italienisch geflüstert. Also nicht „Jesus, ich liebe Dich“ auf Deutsch, wie es zuvor im Umfeld von Papst Franziskus hieß.
Auf Italienisch wird auch Gänswein selbst sich ausführlich äußern: Schon in dieser Woche erscheint sein Buch „Nient’altro che la verità“ („Nichts als die Wahrheit“). Gänswein will darin laut Verlag „die Wahrheit über die eklatanten Verleumdungen und obskuren Manöver“ derer sagen, die vergeblich versucht hätten, „einen Schatten auf das Lehramt und die Handlungen des deutschen Papstes zu werfen“. Die vorab veröffentlichten Auszüge sorgen im Vatikan bereits für Wirbel, weil sie zum Teil als Angriffe gegen Papst Franziskus gedeutet werden.
Versprochen ist Aufklärung über die Vatileaks-Affäre von 2011, bei der Geheimdokumente über das Geschäftsgebaren der Vatikanbank, über Korruption, Vetternwirtschaft und homosexuelle Seilschaften in der Kurie veröffentlicht wurden. Die Affäre gilt als ein Motiv für den Rücktritt Joseph Ratzingers vom Papstamt. Es wird um die „Geheimnisse des Orlandi-Falls“ gehen, die rätselhafte Entführung der damals 15-jährigen Tochter eines Vatikan-Mitarbeiters im Jahr 1985. Das Opfer ist bis heute verschollen.
Private Notizen sollen vernichtet werden
Gänswein will sich zudem mit dem „Pädophilie-Skandal“ befassen – so lapidar benennt er die Sexualverbrechen katholischer Amtsträger weltweit an Kindern und ihre viel zu späte und viel zu langsame Aufarbeitung. Einige Kostproben der zu erwartenden Enthüllungen hat Gänswein bereits gegeben. Etwa diese: „Mit Schmerz im Herzen“ habe der emeritierte Papst den Erlass seines Nachfolgers gelesen, mit dem dieser die von Benedikt 2007 verfügten Möglichkeiten für die Feier der Messe in der vorkonziliaren Form wieder drastisch einschränkte.
Für Schlagzeilen vor allem in den italienischen Medien sorgte bereits Gänsweins Aussage, er habe von Benedikt XVI. den Auftrag erhalten, dessen private Notizen vollständig zu vernichten – „ohne Ausnahmen und ohne Schlupflöcher“. Außerdem habe er genaue Instruktionen, wem er was übergeben solle, vor allem aus Benedikts Bibliothek, von Buchmanuskripten bis zu Dokumenten vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) und der Korrespondenz. Zudem habe der frühere Papst Anweisungen bezüglich seines materiellen Erbes hinterlassen, für die er Gänswein als Testamentsvollstrecker eingesetzt habe.
Im Zentrum der Macht
Angesichts der hochrangigen Trauergäste, die nach Benedikts Tod kondolierten, konnte Gänswein noch einmal in seine frühere Rolle schlüpfen. Fotos zeigen, wie er sich mit dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und Regierungschefin Giorgia Meloni unterhielt. Ganz wie in den früheren Jahren, als Gänswein noch das Amt des „Präfekten des Päpstlichen Hauses“ ausübte. Damals war der gebürtige Schwarzwälder eine Art vatikanischer Protokollchef. Er geleitete Staatsgäste wie US-Präsident Barack Obama oder Kanzlerin Angela Merkel zum Papst. Das wichtige Amt hatte ihm Benedikt XVI. kurz vor seinem Rücktritt verliehen und ihn zum Erzbischof befördert – wohl wissend, dass er selbst bald nicht mehr Papst sein würde.
Nach der Wahl von Franziskus war Gänswein dann knapp sieben Jahre lang „Diener zweier Päpste“. Er wohnte mit dem früheren Papst in dem kleinen Kloster „Mater Ecclesiae“ in den vatikanischen Gärten, erledigte für ihn die Post und organisierte die zahlreichen Besuche dort. Doch im Hauptberuf war er weiter Präfekt des Päpstlichen Hauses und für Staatsbesuche ebenso zuständig wie für den kleinen päpstlichen „Hofstaat“. Zur Zäsur kam es, als Franziskus ihm im Februar 2020 mitteilte, er solle sich künftig ganz dem emeritierten Papst widmen, dessen Gesundheit damals bereits allmählich nachließ. Vorausgegangen war ein Streit um ein Buch des konservativen Kardinals Robert Sarah zur Verteidigung des Zölibats, an dem Benedikt sich beteiligt hatte. Welche Rolle Gänswein spielte, ist bis heute nicht restlos geklärt.
„Schockiert und sprachlos“
In seinem Buch beklagt sich der Erzbischof nun nachträglich über seine Beurlaubung durch Franziskus. Er sei „schockiert und sprachlos“ gewesen. Benedikt habe damals die Entscheidung mit den ironischen Worten kommentiert: „Ich denke, dass Papst Franziskus mir nicht mehr traut und dass er will, dass Sie mich bewachen.“ Er habe sich dann persönlich an seinen Nachfolger gewandt, um ihn umzustimmen, aber ohne Erfolg. Was wird nun aus dem engsten Vertrauten von Benedikt XVI.? Eine Rückkehr auf den Posten des Haus-Präfekten im Vatikan scheint nach den jetzt veröffentlichten Aussagen ausgeschlossen. Mit 66 Jahren ist Gänswein aber noch zu jung für den erzbischöflichen Ruhestand, denn der tritt in der Regel erst mit 75 Jahren ein. Deshalb spekulierten Vaticanisti schon seit längerem darüber, ob sein nun einziger Dienstherr Papst Franziskus künftig noch anderes für ihn in petto hat.
Vor den Enthüllungen hielten Experten etwa die Entsendung Gänsweins als Apostolischer Nuntius für denkbar – vorzugsweise auf einen Posten in Europa oder Amerika. Erfahrungen auf dem diplomatischen Parkett hat der polyglotte Kirchenjurist in seiner aktiven Zeit als Präfekt des Päpstlichen Hauses reichlich gesammelt. Möglich schien auch eine Berufung als Kirchenrechtler an eine der Päpstlichen Universitäten in Rom. Zunächst aber will der „George Clooney des Vatikan“ ja als Buchautor die Wahrheit verkünden. „Nichts als die Wahrheit“. (mit kna)