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Neuer Chef des CDU-SozialflügelsSind Sie der Anti-Merz, Herr Radtke?

Lesezeit 4 Minuten
14.09.2024, Thüringen, Weimar: Dennis Radtke spricht auf der Tagung. Die 40. Bundestagung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) im congress centrum weimarhalle in Weimar. Foto: Jacob Schröter/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Dennis Radtke hat NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann als Chef des CDU-Sozialflügels abgelöst. Er wurde am Wochenende in Weimar gewählt.

Dennis Radtke ist neuer Chef des CDU-Sozialflügels. Im Interview beklagt er den Ton in der Migrationsdebatte, spricht über seine Schwierigkeiten mit der Person Sahra Wagenknecht – und fordert von seiner Partei bessere Antworten auf drängende soziale Fragen.

Herr Radtke, Sie sind mal als „Anti-Merz“ beschrieben worden, weil Sie Positionen und die Person Ihres Parteivorsitzenden bisweilen deutlich kritisieren. Wird das Ihr Rollenverständnis als neuer Chef des CDU-Sozialflügels?

Nein, in diese Schublade passe ich nicht. Ich stehe nicht morgens mit dem Gedanken auf, wie ich Friedrich Merz auf die Palme bringen kann. Ich streite vielmehr für Positionen, die manchmal nicht jedem gefallen, aber die gerade die Breite und Stärke der letzten verbliebenen Volkspartei CDU ausmachen. Ich bin mir mit Friedrich Merz völlig einig, dass wir unterschiedliche Typen brauchen und auch die soziale Wurzel unserer Partei in ihrer langen Historie immer viel Kraft gegeben hat.

Welche programmatische Leerstelle in der CDU wollen Sie mit dem Sozialflügel schließen?

Die Bundestagswahl 2021 hat gezeigt, dass unsere Niederlage mehr war als Laschets Lachen und Söders Co-Kommentierung. Auf viele soziale Fragen, die Millionen Menschen umtreiben wie Mindestlohn und eine bezahlbare Wohnung, hatten wir keine zufriedenstellende Antwort. Das darf sich nicht wiederholen.

Eine gerechte Lohnuntergrenze, damit Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können, muss Kernbestandteil unseres Bundestagswahlprogramms werden.

Ihr neues Grundsatzprogramm bleibt da aber auch vage. Wie stellen Sie sich einen Mindestlohn vor, der nicht politisch diktiert ist?

Eine gerechte Lohnuntergrenze, damit Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können, muss Kernbestandteil unseres Bundestagswahlprogramms werden. Die aus Arbeitgebern und Gewerkschaften paritätisch besetzte Mindestlohn-Kommission war zwar der richtige Versuch, um die Festlegung zu entpolitisieren. Wenn das aber nicht funktioniert, wie wir leider sehen, brauchen wir eine verbindliche Berechnungsformel für den Mindestlohn.

Sie gehören zu denjenigen in der CDU, die Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ablehnen. Was heißt das für den Unvereinbarkeitsbeschluss Ihrer Partei, der bislang nur AfD und Linkspartei umfasst?

Bei der AfD gibt es nichts zu überdenken. Eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, in Teilen rechtsextremistisch ist und Faschisten wie Herrn Höcke in ihren Reihen hat, kann niemals Partner der Union sein. Bei der Linken stellt sich die Frage, welche politische Relevanz diese Partei eigentlich noch hat außerhalb von Thüringen. Der Unvereinbarkeitsbeschluss führt aktuell dazu, dass man nicht mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow reden darf, obwohl der im Kern ein ehemaliger westdeutscher Gewerkschaftsfunktionär ist. Mit Frau Wagenknecht und ihrer dubios finanzierten, stalinistischen Kaderpartei hingegen sollen wir Regierungen bilden. Das versteht doch kein Mensch und gehört für mich beim nächsten CDU-Bundesparteitag ergebnisoffen diskutiert.

Wie sollen Ihre Parteifreunde in Sachsen und Thüringen dann Landesregierungen bilden?

Ich bin weder Besserwisser noch Besserwessi. Ich weiß, wie schwer es die Freunde in Thüringen haben, einen Ministerpräsidenten Höcke zu verhindern. Man muss dafür sicher auch mit dem BSW reden. Es gibt aber schon noch einen Unterschied, sich im Landtag als Minderheitsregierung vom BSW tolerieren zu lassen oder ob man gleich formale Bündnisse eingeht. Das wäre mit meinem Verständnis von Christdemokratie nicht vereinbar.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zwei schwarz-grüne Landesregierungen, die extrem erfolgreich arbeiten und in der Bevölkerung hohe Anerkennung erfahren.

Wie ernst nehmen Sie den Ausschluss von Schwarz-Grün im Bund durch CSU-Chef Markus Söder?

Generell halte ich es für Quatsch, Konstellationen in der demokratischen Mitte ein Jahr vor der Bundestagswahl auszuschließen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zwei schwarz-grüne Landesregierungen, die extrem erfolgreich arbeiten und in der Bevölkerung hohe Anerkennung erfahren. In NRW hat Hendrik Wüst es sogar geschafft, nach dem Anschlag von Solingen mit den Grünen ein umfassendes Sicherheitspaket zu schnüren – und zwar in einem ruhigen Ton. Da wird regiert, ohne immer noch mal drei Liter Benzin ins ohnehin schon lodernde gesellschaftliche Feuer zu kippen.

Wie finden Sie als gelernter Europäer den Sound von CDU und CSU in der gegenwärtigen Migrationsdebatte?

Insgesamt müssen alle Parteien in der demokratischen Mitte aufpassen, dass sie beim Thema Flucht und Migration nicht überdrehen. Wir sollten bei allen offenkundigen Problemen nicht leichtfertig den Eindruck erwecken, als wäre in Deutschland alles außer Kontrolle geraten. Die gemachten Vorschläge müssen auch rechtssicher umsetzbar sein, sonst erzeugen wir Erwartungen, die überhaupt nicht zu erfüllen sind. Das alles fördert nur den Vertrauensverlust in Politik und staatliche Institutionen.

Ist Friedrich Merz als Kanzlerkandidat gesetzt?

Ich nehme mit einer gewissen Sorge die jüngsten Signale aus München zur Kenntnis und erinnere mich daran, dass auch 2021 die K-Frage „ohne Groll“ geklärt werden sollte. Für mich ist klar, dass ein CDU-Vorsitzender eine fantastische Startposition und immer auch den Anspruch hat, Bundeskanzler werden zu können. Dass ein CSU-Vorsitzender das potenziell auch kann, ist ebenso logisch. Genauso klar ist, dass der Ministerpräsident aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit tollen bundesweiten Zustimmungswerten auch das Zeug dazu hat. Da muss man jetzt einen Modus Vivendi finden, wie wir die aussichtsreichste Person herauspicken, von der wir überzeugt sind, dass sich die meisten in CDU und CSU hinter ihr versammeln. Das ist ja keine große Ego-Show, sondern die Voraussetzung, um Herrn Scholz abzulösen.

Wen hätten Sie denn gern?

Wir sind nicht bei „Wünsch Dir was“, und ich bin nicht die Losfee. Am Ende geht es um das Gesamtpaket, mit dem wir in den Wahlkampf ziehen.