Nato-BlockadeWas der türkische Präsident Erdogan wirklich bezweckt
- Finnland und Schweden streben in das Bündnis, doch der türkische Präsident stellt sich quer.
- Die Gründe, die er anführt, halten Beobachter für vorgeschoben.
- Eine Rolle spielt offenbar ein Waffengeschäft.
Istanbul – Der finnische Präsident Sauli Niinistö wundert sich über seinen türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan. Noch vor wenigen Wochen habe Erdogan ihm telefonisch die Unterstützung der Türkei für eine Nato-Bewerbung Finnlands versprochen, sagt Niinistö. „Das hat sich jetzt geändert.“ Niinistö und andere westliche Politiker fragen sich, welches Ziel Erdogan mit seinem Einspruch gegen die Nato-Beitrittsbewerbungen von Finnland und Schweden verfolgt. Weitgehend einig sind sie sich, dass die Türkei wohl am Ende kein Veto einlegen wird, sondern sich ihre Zustimmung abkaufen lassen will.
Es wäre nicht das erste Mal. Im Jahr 2009 blockierte Erdogan, damals noch Ministerpräsident, vorübergehend die Ernennung des dänischen Politikers Anders Fogh Rasmussen zum Nato-Generalsekretär, bevor er sich dem Druck der USA beugte. Vor zwei Jahren stemmte sich die Türkei gegen einen Nato-Verteidigungsplan für Osteuropa, um die anderen Mitglieder der Allianz zu zwingen, die nordsyrischen Kurdengruppen YPG und PYD als Terrororganisationen anzuerkennen. Der Versuch scheiterte.
Dauerzwist um Kurdenfrage
Auch diesmal werde sich der türkische Präsident am Ende nicht querstellen, treibe den Preis für ein Einlenken aber hoch, sagt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Im Deutschlandfunk sprach Asselborn gestern von einer „Basar-Mentalität“ des 68-jährigen türkischen Staatschefs. Während Erdogans Berater betonen, die Türkei halte die Tür für Finnland und Schweden offen, bleibt er selbst zumindest öffentlich bei einer harten Linie. Finnland und Schweden könnten sich die Entsendung von Verhandlungsdelegationen nach Ankara sparen, sagte er am Montagabend.
Beitritt rückt näher
Das finnische Parlament hat mit überwältigender Mehrheit für einen Nato-Beitritt des Landes gestimmt. 188 der 200 Abgeordneten sprachen sich am Dienstag in Helsinki für den Beitritt zu dem Militärbündnis aus, nur acht votierten dagegen. Finnland beendet damit eine jahrzehntelange Tradition der Bündnisfreiheit. In einer historischen Kehrtwende hatte zuvor bereits Schweden den Aufnahmeantrag bei der Nato beschlossen.
US-Präsident Joe Biden will Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö angesichts des möglichen Nato-Beitritts am Donnerstag im Weißen Haus empfangen.
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hat dagegen eine Abkehr seines Landes von der Neutralität abgelehnt. „Für Österreich stellt sich diese Frage nicht“, sagte der konservative Politiker. Finnland und Schweden hätten „eine andere Geschichte“. Zugleich betonte der 49-Jährige, Österreich sei „vollumfänglich solidarisch“ mit der Ukraine. (dpa/afp)
Offiziell betreffen Erdogans Vorbehalte die angeblich laxe Haltung der Skandinavier gegenüber Aktivitäten der kurdischen Terrororganisation PKK und anderer antitürkischer Gruppen in ihren Ländern. Zudem liefern Finnland und Schweden seit 2019 aus Protest gegen türkische Militärinterventionen in Syrien keine Waffen mehr an Ankara. Er könne nicht dem Nato-Beitritt von Ländern zustimmen, die Sanktionen gegen die Türkei verhängt hätten, sagte Erdogan.
Innenpolitisch in der Defensive
Doch das ist nicht der Kern des Streits. Türkische Beschwerden gegen die europäische Haltung zur PKK gibt es seit Jahrzehnten. Wie Niinistös Bericht über sein kürzliches Telefonat mit Erdogan zeigt, war diese Kritik bisher kein großes Hindernis für eine gute Zusammenarbeit. Jedem sei klar, dass Erdogan mit seiner Veto-Drohung etwas für sich herausholen wolle, sagte der Politologe Soli Özel von der Istanbuler Kadir-Has-Universität der Nachrichtenplattform T24. Die Türkei-Expertin Asli Aydintasbas von der Denkfabrik ECFR schrieb, Erdogan wolle „umworben, überzeugt und letztendlich für seine Mitarbeit belohnt werden“.
Damit will der Präsident den Wählern in der Türkei imponieren. Ein Jahr vor der nächsten Parlaments- und Präsidentenwahl steckt Erdogan vor allem wegen der Wirtschaftskrise mit 70 Prozent Inflation in der Defensive. Nach einer neuen Umfrage liegt das Bündnis aus Erdogans Partei AKP und der nationalistischen MHP deutlich hinter einer Allianz aus Oppositionsparteien. Ein außenpolitischer Streit, bei dem die Türkei ihre Bedeutung als Veto-Macht in der Nato herausstreichen kann, kommt da gerade recht. MHP-Chef Devlet Bahceli forderte gestern, Finnland und Schweden sollten nicht in die Nato aufgenommen, sondern ins „Wartezimmer“ geschickt werden.
Zugeständnisse der USA wichtig
Besonders wichtig für Erdogans innenpolitische Profilierung wären Zugeständnisse der westlichen Führungsmacht USA. Die Beziehungen zwischen Ankara und Washington sind seit Jahren gestört, und US-Präsident Joe Biden hält Erdogan auf Distanz. Auch im Ukraine-Konflikt, in dem Erdogan vermittelt, gibt es keinen direkten Draht zwischen dem türkischen Staatschef und Biden. Fast anderthalb Jahre nach Bidens Amtsantritt wartet Erdogan immer noch auf eine Einladung ins Weiße Haus.
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Deshalb gewinnt ein USA-Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu diese Woche an Bedeutung. Cavusoglu will mit seinem Amtskollegen Antony Blinken unter anderem über die Lieferung amerikanischer F-16-Kampfflugzeuge an die Türkei sprechen, über die seit Monaten verhandelt wird. Die moderneren F-35-Jets wollen die USA nicht an die Türkei liefern, weil Ankara ein russisches Flugabwehrsystem gekauft hat. Für das F-16-Geschäft zeichnet sich im US-Kongress nach Medienberichten dagegen Zustimmung ab. Blinken sagte nach einem Treffen mit Cavusoglu beim Nato-Außenministertreffen in Berlin am Sonntag, er sei „sehr zuversichtlich“, dass eine Lösung im Nato-Streit gefunden werde.