Die Aktivistin Narges Mohammed erhält den Friedensnobelpreis – die Auszeichnung auch gilt dabei auch der Protestbewegung im Iran.
Porträt der NobelpreisträgerinEine Ohrfeige für das iranische Regime
Narges Mohammadi wird ihren Friedensnobelpreis wohl nicht persönlich entgegennehmen können: Die iranische Aktivistin sitzt – wieder einmal – im Gefängnis. Die 51-jährige kämpft seit Jahrzehnten für Frauen- und Menschenrechte in der Islamischen Republik und zahlt dafür einen hohen Preis. Seit sie vor einem Vierteljahrhundert zum ersten Mal festgenommen wurde, war sie nur noch selten in Freiheit. Mit der Auszeichnung ehrt das Nobelpreis-Komitee nicht nur Mohammadi selbst, sondern die gesamte iranische Protestbewegung. Zugleich ist der zweite Friedensnobelpreis für eine iranische Aktivistin eine Ohrfeige für das Regime. Entsprechend pikiert reagiert die Führung in Teheran.
13 Verhaftungen über die Jahre
Mohammadi ist Vizepräsidentin des „Zentrums der Menschenrechtsverteidiger“, einer Organisation unter Leitung von Shirin Ebadi, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. Ebadi zog vor 15 Jahren ins britische Exil, Mohammadi blieb im Iran. Die Justiz bestrafte ihren Einsatz für Frauenrechte und ihr Engagement gegen die Todesstrafe über die Jahre mit 13 Verhaftungen und der Verurteilung zu insgesamt 31 Jahren Haft; derzeit sitzt sie im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran eine zwölfjährige Strafe ab.
Doch brechen konnte das Regime Narges Mohammadi nie. Der Nobelpreis mache sie noch entschlossener, erklärte sie laut der „New York Times“ in einer ersten Reaktion auf die Nachricht. Demokratie, Freiheit und Gleichheit blieben ihre Ziele. Deshalb wolle sie weiterkämpfen – „bis zur Befreiung der Frauen“.
Selbst im Gefängnis setze Mohammadi ihre Arbeit fort, sagt Daniela Sepehri, eine deutsch-iranische Aktivistin. „Obwohl sie keinen Besuch empfangen darf, schafft sie es immer wieder, Briefe aus dem Gefängnis zu schmuggeln und der ganzen Welt zu offenbaren, wie Frauen systematisch vergewaltigt werden“, sagte Sepehri unserer Redaktion. Anfang des Jahres schlug Mohammadi aus ihrer Zelle heraus Alarm wegen des schlechten Gesundheitszustandes der inhaftierten Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi.
Mohammadi ist während ihrer Gefängnisstrafen in den vergangenen Jahren selbst erkrankt, wird aber trotzdem immer wieder eingesperrt. Ihre beiden Kinder hat sie nach Angaben von Sepehri seit Jahren nicht mehr sehen können.
Das Nobelpreis-Komitee will den Preis ausdrücklich auch als Auszeichnung für die Protestbewegung verstanden wissen, die nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in der Gewalt der Religionspolizei 2022 gegen das Regime demonstrierte. Die Komitee-Chefin Berit Reiss-Andersen stellte den Slogan „Frau-Leben-Freiheit“ in persischer Sprache am Freitag an den Anfang ihrer Mitteilung über die Preisvergabe. Das Komitee rief den Iran auf, Mohammadi freizulassen.
Mit ihrer Forderung nach mehr Rechten für Frauen trifft Mohammadi eine empfindliche Stelle des Regimes. Die Islamische Republik benachteiligt Frauen systematisch, etwa bei Scheidungen, dem Sorgerecht für Kinder oder Erbschaften. Die Kopftuchpflicht bedeutet, dass Frauen nur Karriere machen können, wenn sie sich dem Verhüllungsgebot der Mullahs unterwerfen.
Dieser Zwang war auch der Funke für die Unruhen des vergangenen Jahres. Seit Ausbruch der Proteste gehen viele Iranerinnen ohne Kopftuch auf die Straße und widersetzen sich so offen den Vorschriften. Das Regime reagiert mit einem neuen Gesetz, das bis zu zehn Jahre Haft für Frauen ohne Kopftuch vorsieht.
Schub für Demokratiebewegung
Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte der Denkfabrik CMEG, nennt den Preis „ein starkes Signal an die iranischen Frauen und Mädchen, die an vorderster Front des Kampfes gegen das Regime stehen, und daher auch an die gesamte Demokratiebewegung“. Wichtig sei der Zeitpunkt, sagte Fathollah-Nejad unserer Redaktion ein Jahr nach Beginn der Proteste, da die Demokratiebewegung „eine fehlende Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft verzeichnet, die wiederum dem Regime ein Gefühl der Sicherheit, wenn nicht gar Straflosigkeit vermittelt hat“. Der Nobelpreis habe der Bewegung neue „internationale Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit verschafft“.
Iranische Regimevertreter kritisierten das Nobel-Komitee. Die Nachrichtenagentur Fars, die der Revolutionsgarde nahesteht, kommentierte, Mohammadi habe den Nobelpreis für ihre Machenschaften gegen die „nationale Sicherheit“ des Iran erhalten. Regierungsberater Seyed Mohammed Marandi schrieb auf Twitter, Mohammadi verdanke ihren Preis den Versuchen des Westens, das iranische Regime zu stürzen. Doch auch mit dieser Auszeichnung werde das nicht gelingen.