AboAbonnieren

Zum Tod der QueenDie Königin der Tupperdosen – ein Nachruf

Lesezeit 6 Minuten
Schwarzweiss Queen PA 080922

Queen Elizabeth II.

London – Wo beginnen? Dieser Nachruf auf Königin Elizabeth II. wurde, wie üblich bei betagten und bedeutenden Persönlichkeiten, schon zu ihren Lebzeiten geschrieben. Nur war es nahezu unmöglich, sich das Unaussprechliche vorzustellen.

Zu beispiellos schien der Fall: Die Queen, Zeitzeugin eines Jahrhunderts und die am längsten amtierende Monarchin der Welt, war doch immer da. Begleitete wie ein Familienmitglied das Leben von so gut wie jedem Briten, überstand ein halbes Dutzend Päpste und sah 15 Premierminister kommen und gehen – von Winston Churchill bis zur heutigen Regierungschefin Liz Truss. Auf eine völlig irrationale Weise gab es nie die Option, dass Königin Elizabeth II. sterben könnte. Gestern ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben.

Queen Elizabeth II. – Aushängeschild der britischen Nation

Die ewige Monarchin war mit ihren farbenfrohen Kostümen das Aushängeschild der Nation. Zwar ohne offensichtliche Macht in der Tagespolitik, aber – oder genau deshalb – mit größter Bedeutung. Sie bildete den britischen Staatskern. In Deutschland begründete sich die Popularität des Königshauses vor allem in der Lust am Klatsch, in der Exotik und der Folklore. Derweil trat die Monarchin für die Insel durchaus auch als politische Akteurin auf und sorgte für diplomatische Erfolge, wenn sie Regierungschefs und wichtigen Persönlichkeiten die Tür zu ihren Palast-Gemächern öffnete oder ihnen einen Besuch abstattete.

Queen Elizabeth 060922

Queen Elizabeth II. bei der Ernennung von Premierministerin Liz Truss am Dienstag.

Sie stand als Staatsoberhaupt nicht nur dem Vereinigten Königreich vor, sondern auch 15 weiteren Ländern des Commonwealth, darunter Australien, Neuseeland und Kanada. Und wurde in sieben Jahrzehnten zum institutionellen Gedächtnis Großbritanniens. Die Welt konnte sich verändern, die Queen winkte.

Bodenständig, aber nur wenig emotional im Öffentlichen

Emotionales war ihr jedoch fremd. Nur wenige Male rang sie in der Öffentlichkeit mit den Tränen. Als sie im April vergangenen Jahres allein und in tiefer Trauer Abschied von ihrem Ehemann, Prinz Philip, nahm, sagte sie im Anschluss an die Abschiedszeremonie, es herrsche jetzt eine Leere um sie. Ihre wichtigste Stütze, fast 74 Ehejahre an ihrer Seite, war plötzlich nicht mehr da. Sie litt unter dem Verlust – und ging nach einer zweiwöchigen Trauerzeit dennoch wieder an die Arbeit. „Lass es uns angehen“, so lautete das Motto in der ältesten Generation der Windsors.

imago0097353719h

1940: Die künftige Königin mit Prinzessin Margaret

Gleichwohl überstand sie die schlimmsten Skandale und verlieh der Monarchie auch eine für die heutige Zeit gefühlte Relevanz. Königin Elizabeth II. schwebte über allem, im Wunschdenken zahlreicher Briten und Palastfans auf der ganzen Welt auch über der Zeit. 2015 überholte sie Queen Victoria mit der längsten Regentschaft. Während aber ihre Ururgroßmutter das goldene Zeitalter Britanniens geprägt hat, ist unter der Herrschaft Elizabeths II. das Empire zerfallen. Kritiker behaupten, dass nicht viel bleiben wird von Elizabeths Ära. Außer dem Commonwealth, das sie mitaufgebaut und zusammengehalten hat. Ihm galt ihre Priorität. „Elizabeth II. hat es geschafft, die schlechten Erfahrungen und all die Verbrechen, die im Empire stattgefunden haben, in etwas Positives zu verwandeln – aus einer negativen Kolonialgeschichte ist so etwas Gutes entstanden“, sagte die royale Historikerin Karina Urbach einmal. Doch ob sie wie Victoria nach ihrem Tod ein neues Zeitalter prägen wird wird bezweifelt. „Sie spielt nicht in derselben Liga wie Elizabeth I. oder Victoria, schon allein, weil sie keine vergleichbare politische Macht hat“, befand Urbach.

Ein Leben voller großer Geschichte

Elizabeth Alexandra Mary Windsor, so ihr voller Name, hat in fast sieben Jahrzehnten große Umwälzungen erfahren, die Suez-Krise miterlebt und den Kalten Krieg, den wirtschaftlichen Kollaps in Großbritannien, die technischen Neuerungen, den blutigen Unabhängigkeitskampf der nordirischen Untergrundorganisation IRA und erst kürzlich das Brexit-Votum.

Am 6. Februar 1952 wurde sie nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters König George VI. über Nacht zur Königin. Weil sie gerade abgeschnitten von der Zivilisation in Afrika auf einer Safari weilte, erfuhr Lilibet, wie sie als Mädchen genannt wurde, als eine der letzten Menschen von ihrer plötzlichen Regentschaft. Sie war zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt.

Queen Elizabeth 141021

Queen Elizabeth II. war bekannt für ihre farbenfrohen Kleidungsstücke und Hüte.

Am 2. Juni 1953 fand Elizabeths Krönung in der Westminster Abbey statt, sie wurde live im Fernsehen übertragen – ein Novum. Und seitdem geriet ihr das höfische Korsett zumindest in der Außendarstellung nie zu eng. Geprägt vom Sparzwang der Kriegs- und Nachkriegszeit, pflegte Ihre Majestät stets das Image als bodenständige und bescheidene Frau. Auf dem royalen Frühstückstisch etwa standen Tupperdosen mit Cornflakes und Haferflocken, Sachen wegzuwerfen blieb ihr verhasst. Am liebsten präsentierte sie sich in Gummistiefeln in der Natur, umgeben von Tieren. „Sie mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen – und zwar in dieser Reihenfolge“, schrieb einmal Biograf Graham Turner. Jeden Morgen ging sie, wenn sie denn zu Hause im Buckingham Palace weilte, nach dem Aufstehen ihre Korrespondenz durch, beantwortete Mitteilungen, wobei nur die per Post geschickten Briefe auf eine persönliche Antwort der Queen hoffen durften.

Ihre Hobbys waren vor allem Pferde und Hunde

Häufig aber hatte sie Termine, weihte Bahnstrecken ein oder besuchte Schulen und Krankenhäuser. Pausen gönnte sie sich nur wenige. Im Privaten kümmerte sie sich um ihre geliebten Corgis und Pferde. Ihr wurde ein guter Humor nachgesagt, aber wer weiß das schon so genau? Nie hat sie in all den Jahrzehnten ein Interview gegeben.

Doch war die Monarchie nicht immer so beliebt wie heute. In den 90er-Jahren sorgte die jüngere Generation, vor allem drei ihrer vier Kinder Charles, Anne, Andrew und Edward, für Skandale, die sich keine Seifenoper hätte besser ausdenken können. Als wäre es nicht genug, brannte Schloss Windsor zu Teilen nieder. Die Bevölkerung rebellierte dagegen, mit ihren Steuergeldern für die Instandsetzung zur Kasse gebeten zu werden. Die pragmatische Elizabeth II. fand die passende Antwort und bezahlte fortan Steuern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Doch ihr persönlicher Tiefpunkt sollte erst noch folgen, als 1997 ihre Ex-Schwiegertochter Diana bei einem Unfall starb. Damals tauchte die Regentin tagelang ab, während das erzürnte Volk in seiner Trauer „mehr Mitgefühl“ von seinem Staatsoberhaupt forderte. Die Monarchie geriet für einen Moment ins Wanken. Erst nachdem die Königin in ein Staatsbegräbnis für die ungeliebte Ex-Schwiegertochter einwilligte und sich vor Dianas Sarg verbeugte, zeigten sich die Briten versöhnlich. Mittlerweile hatten die Menschen Elizabeth II. alle Fehltritte verziehen. Auch die jüngsten Skandale um ihren angeblichen Lieblingssohn Prinz Andrew oder die Angriffe von Prinz Harry und Herzogin Meghan prallten an der Queen ab.

Was nun? Die Zeiten scheinen mit den Jahren schneller geworden zu sein, die Momente flüchtiger. Königin Elizabeth II. war sich in ihrer Unmodernheit stets treu geblieben und strahlte eben deshalb jene Kontinuität aus, nach der sich so viele Menschen sehnten. Deren Ewigkeit ist nun zu Ende gegangen.