Parteitag in LeipzigAnnegret Kramp-Karrenbauer stellt die Machtfrage
Leipzig – Friedrich Merz sitzt rechts außen. Ganz am Rand der Parteitagshalle in Leipzig hat der Delegierte aus dem Sauerland seinen Platz, zweitletzte Reihe, dritter von rechts. In der ersten Reihe, vorn auf der Bühne, sitzen andere. Frauen.
Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer.
Der Mann, der sich aus dem Machtkampf raushält
Merz gehört der Gruppe des größten CDU-Landesverbandes der Partei an. 295 der 1001 Delegierten kann Nordrhein-Westfalen zu einem CDU-Parteitag schicken.
Eine echte Hausmacht. Nur, die führt nicht Merz, sondern NRW- Ministerpräsident Armin Laschet. Der Mann, der sich aus dem Machtkampf zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer um die Kanzlerkandidatur heraushält. Noch jedenfalls.
Von seiner Rede wird abhängen, ob die Tür zur Kanzlerkandidatur für ihn offen bleibt
Man muss eine Weile suchen, bis man Merz entdeckt. Der frühere Unionsfraktionsvorsitzende hat die Arme vor der Brust verschränkt, vor ihm liegen die Parteitagsunterlagen, das Antragsbuch, die Leitanträge, ein Zettel mit ein paar Notizen, ein edler Schreibstift.
Es ist noch ein bisschen Zeit bis zu seinem Auftritt. Von seiner Rede wird abhängen, ob die Tür zur Kanzlerkandidatur für ihn offen bleibt oder jetzt zuschlägt.
Zuerst sprechen die drei Frauen
Von der Leyen macht es kurz, Merkel noch kürzer. Sie verzichtet darauf, exakt an dem Tag, an dem sie vor 14 Jahren erstmals zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, ihre Habenseite aufzublättern. Sie sagt nur, dass sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können, dass es vier Legislaturperioden als Kanzlerin werden. Sie dankt der CDU, dass sie „mich trägt als Bundeskanzlerin“.
Ende Dezember ist Merkel länger als Konrad Adenauer im Amt. Dann wird nur noch Helmut Kohl Deutschland länger regiert haben als die Naturwissenschaftlerin aus der DDR. Mögen Teile der Partei auch noch so kritisch mit Merkel sein, zur Begrüßung erheben sich die Delegierten und klatschen so lange, bis sie wieder verlegen wird und ein Zeichen macht, dass der Applaus jetzt ruhig enden dürfe.
Ihre Rede wird an dem Applaus gemessen
Auf die Länge des Beifalls kommt es für Merkel nicht an. Wohl aber für Kramp-Karrenbauer. Ihre Rede wird genau daran gemessen. Weil sie einen Konkurrenten hat. Friedrich Merz.
Nicht erst seit der für die CDU verlustreichen Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober wird gestichelt und gemeckert. JU-Chef Tilman Kuban hat in einer Vorstandssitzung sogar indirekt Kramp-Karrenbauer als Parteivorsitzende infrage gestellt; die Kanzlerkandidatur sollte seiner Ansicht nach per Urwahl bestimmt werden.
Die CDU-Chefin legt gut los. Was sei nicht alles vor dem Parteitag geunkt worden: „Die Revolution findet statt, der Aufruhr.“ Ohne Kuban zu nennen, spricht sie an, dass die „Führungsfrage gestellt wurde“. Ohne den Vorsitzenden der CDU-Fraktion in Baden-Württemberg, Wolfgang Reinhart, zu erwähnen, zitiert sie ihn mit seinem Vorwurf, die CDU sei inhaltlich insolvent.
AKK warnt vor falscher Wahlkampfstrategie
Und ohne auf Merz und seine scharfe Kritik an der Bundesregierung („grottenschlecht“) einzugehen, warnt sie vor einer falschen Wahlkampfstrategie: Alles schlecht reden, was in Merkels 14 Jahren Kanzlerschaft passiert sei, und dann den Wählern empfehlen, die CDU wieder zu wählen. Das werde schwer aufgehen. Sie ruft: „Wir lassen uns nicht in den Ruin hineinschreiben.“ Da hat sie die Delegierten hinter sich.
Besonders viel Applaus bekommt sie für solche Sätze: „Ich habe die Nase voll davon, dass wir immer die Langsamsten in Europa sind.“ Oder: „Ärmel hochkrempeln, mutig sein. Weg mit der Bürokratie, wo wir sie nicht brauchen.“
Richtig mitreißen kann die Vorsitzende den Saal nicht
Oder, wenn sie die CDU von der SPD abgrenzt und ruft: „Wir wollen Wohlstand für alle und nicht Wohlfahrt für alle.“ Richtig mitreißen kann sie den Saal aber nicht.
Kramp-Karrenbauer spricht alle CDU-relevanten Themen an: Pflege, Familie, Sicherheit. Sie lobt auch die CDU-Bundesminister, die ehrenamtlich engagierten Bürger, die Polizisten, die Soldaten. Aber es ist keine emotionale Rede. Der Funke springt nicht richtig über auf die Delegierten. Nach einer Stunde und 27 Minuten kommt sie zum Ende. Aber dann mit Paukenschlag.
Gemurmel erfüllt den Raum
Es sei kein leichtes Jahr gewesen, räumt sie ein. „Es ist nicht so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe, wie Ihr es Euch vorgestellt habt.“ Und dann, als viele Delegierte schon unaufmerksam sind, im Saal umhergehen und Gemurmel den Raum erfüllt, stellt die Vertrauensfrage.
Wenn die Partei nicht bereit sei, sagt die Saarländerin, ihren Kurs für eine starke Mitte mitzugehen, solle sie das direkt auf dem Parteitag klären. „Dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute beenden. Hier und jetzt und heute.“
Delegierte sind bei der Machtfrage erschrocken
So richtig erscheint nicht allen klar, was die Vorsitzende da gesagt hat und was das bedeuten würde. Mehrere Delegierte sagen später, mit „es“, das hier und jetzt beendet werden solle, hätten sie das Theater, das Gezerre um die Parteiführung verstanden. Aber nicht, dass sie damit ihren Rücktritt noch am selben Tag angeboten habe.
Anderen hingegen ist blitzschnell klar: Jetzt stellt die Chefin die Machtfrage. Sie sind erschrocken. Das machten Führungspersonen nur, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stünden, aus einer schwachen Position heraus, heißt es.
Die 57-Jährige will klar Schiff machen
Kramp-Karrenbauers Schlusssatz ist aber, wenn die CDU ihren Weg doch mitgehen wolle, solle sie „hier und jetzt die Ärmel hochkrempeln und anfangen.“ Die 57-Jährige will klar Schiff machen. Entweder oder. Ihre Widersacher sollen springen oder schweigen. Sieben Minuten applaudieren die Delegierten im Stehen. Für eine Rede, die sie ansonsten wenig mitgerissen hat.
Es wird still im Saal, als Merz auf die Bühne geht. Kramp-Karrenbauer habe eine kämpferische, eine mutige Rede gehalten, sagt er. Er ist gut drauf, wirkt selbstbewusst und selbstsicherer als vor einem Jahr, als er knapp gegen Kramp-Karrenbauer verlor.
Kritik an der Loyalität der Sozialdemokraten
Er habe für seiner Kritik an der Bundesregierung viel Zustimmung bekommen, „aber auch manches an Kritik“. Dass es umgekehrt war, ficht ihn nicht an. Er behauptet, „die Sozialdemokraten sind strukturell illoyal und wir sind loyal zu unseren Vorsitzenden und unserer Bundesregierung“. Da müssen manche Delegierte zucken. Die CDU hat jüngst eher das Gegenteil vermittelt.
Merz lobt sich für seine Idee beim CDU-Parteitag 2003, dass ein Steuerkonzept auf einen Bierdeckel passen müsse, und erklärt an diesem Beispiel, warum es so wichtig sei, komplizierte Sachverhalte einfach zu erklären. Die junge Umweltaktivistin Greta Thunberg aus Schweden nennt er eine „beeindruckende Person“.
Die Delegierten jubeln
Aber er ärgert sich darüber, dass Thunberg den Eliten der Welt vorgeworfen hat, dass sie ihr ihre Jugend gestohlen habe. „Dann muss man ihr sagen: Nein. Ihr habt in der Generation die beste Jugend gehabt, die es jemals überhaupt gegeben hat.“ Die Delegierten jubeln. Aber wenn das so bleiben solle, „müssen wir heute viel ändern, damit es morgen so bleibt“.
Und so wie Kramp-Karrenbauer die Pauke geschlagen hat, bläst Merz in die Trompete: „Nein, nicht dieser Parteitag wird die endgültigen Entscheidungen treffen, sondern in einem Jahr nach einem weiteren Prozess des Nachdenkens, des Entscheidens, des Vorbereitens auf diesen Parteitag dann 2020, der diese entscheidende Antworten geben muss.“ Er macht klar: Die Debatte, das Theater, das Gezerre um die Führungsfrage sind nicht beendet.
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Merz sagt: „Wir sind am Anfang dieses Prozesses und ganz gewiss nicht am Ende. Wir müssen diesen Prozess mit glaubwürdigen Personen verbinden. Wir müssen uns in dieser Breite der Partei aufstellen.“ Er zählt sich dazu. Kramp-Karrenbauer hat die Vertrauensfrage gestellt. Die Machtfrage bleibt offen.