Der Lauschangriff auf die Bundeswehr drängt Kanzler Scholz in die Ecke. War das die einzige Sicherheitslücke?
KommentarWie sich Deutschland mit dem Luftwaffen-Leak lächerlich macht
Einer der größten Nato-Staaten macht sich systematisch lächerlich. Zum Mithören durch den russischen Geheimdienst konferiert der deutsche Luftwaffenchef Ingo Gerhartz mit seinen Experten über westliche Marschflugkörper und die Präsenz von Nato-Alliierten in der Ukraine. Kurz bevor Kreml-Propagandistin Margarita Simonjan das per Lauschangriff erfasste militärische Mikrodrama öffentlich machte, hatte bereits der Bundeskanzler die Briten und Franzosen mit seinen Äußerungen über ihre Rolle bei der Zielsteuerung von Lenkwaffen heftig irritiert.
Olaf Scholz traut dem ukrainischen Militär nicht über den Weg, wie seine Ausführungen über einen möglichen ukrainischen Angriff mit dem deutschen Marschflugkörper Taurus auf Moskau zeigen. Deshalb wird er die Zielsteuerung auch nicht, wie von Gerhartz und seinen Leuten vorgeschlagen, den Ukrainern überlassen. Aus Sicht vieler Nato-Partner dürften es aber inzwischen eher die Deutschen sein, denen wegen ihres fahrlässigen Umgangs mit Daten nicht zu trauen ist. Auch wenn den Russen die Präsenz westlicher Berater in der Ukraine - in Uniform oder auch nicht - natürlich längst bekannt war: Man möchte sich nicht ausdenken, was die Bundeswehrspitze sonst noch alles über Webex besprochen hat.
Was die objektiven Gefahren für die gemeinsame Sicherheit angeht, wiegt die Spionageaffäre um den früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek somit weit schwerer als das Luftwaffen-Leak, bei dem es ja eher um politisch schwierige als um wirklich geheime Inhalte ging. Aber das Datenloch passt ins Bild und ist so unsinnig wie die ganze Taurus-Groteske. Der Taurus, da hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ja recht, ist kein „Gamechanger“, wenngleich ähnliche Flugkörper des gleichen Herstellers – nämlich Storm Shadow und Scalp – maßgeblich zum strategischen Erfolg der Ukraine gegen die russische Schwarzmeerflotte und damit zum Freikämpfen des Seewegs nach Odessa beigetragen haben. Es ist Scholz allein, der den Taurus zum Gamechanger erklärt, nämlich zu einer Waffe, deren Lieferung an die Ukraine Deutschland zum Kriegsbeteiligten machen könnte.
Geht es eine Nummer kleiner? Sind die Briten jetzt Kriegsbeteiligte oder die Finnen, die den Ukrainern ja explizit erlauben, mit den von ihnen gelieferten Waffen auch auf russischem Territorium aktiv zu werden? So weit muss die Bundesregierung sich nicht aus dem Fenster lehnen, sollte aber umgehend mit Briten und Franzosen einen gemeinsamen Kurs in punkto Marschflugkörper abstecken, denn ohne deutsche Hilfe kann die Ukraine nicht mehr mit diesen wichtigen Waffen versorgt werden. Vielleicht können die Briten tatsächlich Aufgaben übernehmen, die der Kanzler der Bundeswehr nicht auferlegen will. Oder lassen wir unsere verteidigungspolitische Agenda jetzt von Margarita Simonjan schreiben?