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Israelische VorwürfeEin Hamas-naher Journalist als Geiselwächter?

Lesezeit 3 Minuten
Abdallah Aljamal

So berichtet das Hamas-Blatt „Palestine Chronicle“ über Aljamals Tod.

Menschenrechtler werfen Israel die Tötung von Zivilisten vor - die israelische Armee hat eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Nach der Geiselbefreiung im Gazastreifen verdichten sich die Informationen über die Nutzung privater Wohnungen als Geiselgefängnis.

Es war eine furchtbare Geschichte, die Ramy Abdu, Vorsitzender der Genfer Menschenrechtsorganisation Euro-Med Monitor, zu berichten hatte. Über eine Leiter hätten israelische Soldaten die Wohnung der Familie Aljamal in der Flüchtlingssiedlung Nuseirat gestürmt und drei Angehörige getötet: zunächst Fatima, die 36-jährige Ehefrau des Journalisten Abdallah Aljamal, dann den gleichaltrigen Mann selbst und dessen Vater Ahmed (74).

Soweit, so schlimm. Die israelische Armee hat allerdings eine ganz andere Geschichte zu erzählen: „Wir können bestätigen, dass Abdallah Aljamal Mitarbeiter der Terrororganisation Hams war und die Geiseln Almog Meir Jan, Andrey Kozlov und Shlomi Ziv im Heim seiner Familie in Nuseirat gefangen hielt.“ Demnach habe die israelische Armee Aljamal und seine beiden Angehörigen getötet, um die Geiseln heil aus dem Hamas-Versteck herauszuholen. Verwirrung entstand allerdings dadurch, dass die Armee zunächst die Geisel Noa Argamani als Aljamals Gefangene erwähnt hatte. Die junge Frau hatte zwar nach ihrer Befreiung von ihrer Bewachung durch eine palästinensische Familie berichtet, das waren aber offensichtlich nicht die Aljamals. Vielmehr wurde sie in einem anderen, 200 Meter entfernten Gebäude festgehalten.

Zivile Gebäude als Geiselgefängnis

Die Hamas, aber auch die Organisation EuroMed Monitor, bestreiten Aljamals Verwicklung in das Geiseldrama entschieden. „Bekannter Journalist im Gazastreifen ermordet“, titelte das Hamas-Blatt „Palestine Chronicle“, für das Aljamal regelmäßig geschrieben hatte. Und es zitiert den EuroMed-Mitarbeiter Muhammad Shehada mit folgender Darstellung: Insgesamt habe die israelische Armee sieben Häuser gestürmt, es sei aber völlig unklar, wo die Geiseln untergebracht gewesen seien. Nach Darstellung der israelischen Armee selbst seien die Befreiten im dritten Stockwerk eines Hauses gefunden worden, die Familie Aljamal aber habe im ersten Stock gelebt. Was allerdings nicht die Möglichkeit ausschließt, dass die Aljamals Geiseln im gleichen Haus bewacht haben.

Eins wird jedenfalls auch aus Shehadas Darstellung klar: Die Hamas hat zweifellos zivile Wohngebäude als Geiselgefängnis genutzt. Über so ein Vorgehen hatten auch schon Anfang des Jahres freigekommene israelische Geiseln berichtet, und auch die Aussagen von Noa Argamani bestätigen das. Unabhängig von ihr hatte die im November freigelassene Geisel Ada Sagi berichtet, die Hamas bezahle palästinensische Familien mit 70 Schekel – umgerechnet 17,40 Euro – pro Tag für die Gefangenhaltung der entführten Israelis. Der TV-Sender Al-Dschasira beeilte sich zu versichern, Aljamal habe lediglich einmal 2019 einen Kommentar verfasst, sonst aber nie für das Medium gearbeitet. Dem widerspricht ein von der israelischen Armee verbreiteter Auszug aus der Al-Dschasira-Webpräsenz, der Aljamal als Mitarbeiter listet – allerdings ist das Material offenkundig älteren Datums.

Nach Hamas-Angaben hat es bei der Geiselbefreiung 274 Tote gegeben, ursprünglich war von 55, dann von gut 200 die Rede. Wie viele davon, wenn die Zahl denn stimmt, waren Hamas-Kämpfer oder Zivilisten, die im Auftrat der Terrororganisation Geiseln bewachten? Für die Hamas-Behauptung, bei der Aktion seien auch drei Geiseln gestorben, gibt es keinerlei Beleg.

Ein differenziertes Fazit hat Kommentator Barak Heyman in der liberalen israelischen Zeitung „Haaretz“ gezogen: Nur eine herzlose Person könne angesichts der Befreiung der vier Geiseln nicht vor Freude weinen. Aber: Auch nur eine herzlose Person könne sich die Fortsetzung des Krieges wünschen.