Die Auflösung der Sittenpolizei, die den Kopftuchzwang durchsetzte, war eine zentrale Forderung der iranischen Protestbewegung. Jetzt gibt das Mullah-Regime nach. Warum das bei Vertretern der Protestbewegung auf Skepsis stößt.
Iran löst Sittenpolizei aufWirklich ein Zeichen der Hoffnung?
Das iranische Regime hat zum ersten Mal seit Ausbruch der landesweiten Proteste im September die Bereitschaft angekündigt, eine Hauptforderung der Demonstranten zu erfüllen. Die Generalstaatsanwaltschaft gab am Wochenende die Auflösung der Religionspolizei bekannt, die den Kopftuchzwang für Frauen durchsetzen soll.
Verhaftungen gehen weiter
Präsident Ebrahim Raisi zeigte sich ebenfalls bereit zu Reformen. Die Verhaftung von Regierungsgegnern ging jedoch weiter. Aktivisten sehen die Reformversprechen deshalb nicht als ernsthaftes Signal der Veränderung, sondern als Versuch des Regimes, der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Im Iran müssen Frauen seit 1983 in der Öffentlichkeit ihr Haar bedecken. Die 2006 gegründete Religionspolizei soll darauf achten, dass die Frauen sich daran halten. Der Hardliner Raisi hatte die Sittenwächter nach seiner Wahl ins Präsidentenamt 2021 aufgerufen, bei der Umsetzung der Vorschrift hart durchzugreifen.
Im September nahmen Religionspolizisten in Teheran die 22-jährige Mahsa Amini fest, weil ihr Kopftuch angeblich nicht den Vorschriften entsprach. Wenige Tage später starb sie in der Gewalt der Religionswächter. Das Schicksal der jungen Frau löste die Proteste aus, die seitdem die Islamische Republik erschüttern.
Millionen Iranerinnen und Iraner fordern nicht nur ein Ende des Kopftuchzwangs, sondern den Sturz des Regimes. Raisi und sein Chef, Revolutionsführer Ali Khamenei, werfen dem westlichen Ausland vor, die Demonstranten anzustacheln. Polizei und regierungstreue Milizen setzen Schlagstöcke, Tränengas und scharfe Munition ein, um die Proteste niederzuschlagen; die Revolutionsgarde schickte schwer bewaffnete Einheiten in die kurdische Heimatregion von Amini. Nach Zählung von Menschenrechtlern sind bisher mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen.
Ab heute neue Protestwelle
Die Proteste gehen trotzdem weiter und könnten sogar noch eskalieren. Verschiedene Gruppen der Protestbewegung haben ab diesem Montag zu einer dreitägigen Welle von Aktionen gegen die Regierung aufgerufen: Demonstranten sollen Verwaltungsgebäude besetzen, Überwachungskameras zerstören und landesweit Kundgebungen organisieren, auch an den Hochschulen. Am Mittwoch, dem iranischen Tag der Studenten, wird Raisi zu einem Besuch an der Universität Teheran erwartet.
Der iranische Generalstaatsanwalt Mohammad Dschafar Montaseri hatte am Samstag überraschend verkündet, die Religionspolizei sei aufgelöst worden. Außerdem werde in Parlament und Justiz über den Kopftuchzwang beraten; in ein bis zwei Wochen werde feststehen, ob die Kopftuch-Gesetze geändert werden.
Raise will über „Methoden“ sprechen
Raisi erklärte, die Anwendung von Verfassungsvorschriften könne sich ändern. „Je nach Situation“ könne über die „Methoden“ des Staates bei der Umsetzung der Verfassung gesprochen werden, sagte der Präsident nach einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. Noch im Juli hatte Raisi die Forderung nach einem Ende des Kopftuchzwangs als Angriff auf das „kulturelle Rückgrat“ der Islamischen Republik zurückgewiesen.
Bei Vertretern der Protestbewegung trafen die Reformankündigungen des Regimes auf Skepsis. Die Religionspolizei untersteht nicht Montaseris Justiz, sondern Revolutionsführer Khamenei – und der äußerte sich nicht. Erst vorige Woche hatte Khamenei seine harte Linie im Umgang mit den Demonstrationen bekräftigt und Kompromisse abgelehnt. Zudem rief Montaseri auch zu Vorschlägen auf, wie das Kopftuchgebot in Zukunft durchgesetzt werden kann.
Das Regime wolle seine Gegner lediglich „betrügen und beruhigen“, schrieb die Aktivistin Atena Daemi auf Twitter. Der Oppositionssender Iran International kommentierte, die iranische Regierung wolle offenbar nicht den Kopftuchzwang abschaffen, sondern lediglich die Straßenpatrouillen der Religionspolizei.
Doch selbst wenn konkrete Reformen ausbleiben, sind die Andeutungen von Kompromissbereitschaft ein Zeichen der Schwäche des Regimes, das die Proteste nicht in den Griff bekommt. Oppositionsmedien melden, inzwischen würden Risse im Regierungslager sichtbar. Mehr als 100 Soldaten seien wegen Teilnahme an Demonstrationen festgenommen worden. Polizisten und Milizionäre seien vom Dauereinsatz gegen die Demonstranten erschöpft.
Möglicherweise will Raisi mit einer Diskussion über das Kopftuch Zeit gewinnen, während Justiz und Polizei weiter mit Gewalt gegen die Proteste vorgehen. Nach einer Zählung von Amnesty International droht mindestens 28 Aktivisten wegen Unterstützung der Demonstrationen die Todesstrafe; darunter ist der bekannte Rapper Tumadsch Salehi. Die Schauspielerin Mitra Hadschar wurde wegen ihrer Parteinahme für die Protestbewegung vorübergehend festgenommen.