Interview mit Eva Högl„Die Bundeswehr braucht mehr Geld, damit sie handeln kann“
- Seit Jahrzehnten gilt die Truppe als schlecht ausgerüstet und unterfinanziert.
- Jetzt, wo der Fokus wieder mehr auf Landesverteidigung und Bündnisaufgaben liegt, könnte sich das rächen, sagt die Wehrbeauftragte.
- Ein Interview mit der Wehrbeauftragen der Regierung, Eva Högl (SPD)
Die Ukraine-Krise zeigt, dass es manchmal schnell gehen muss mit der Mobilisierung von Truppen. Die Bundeswehr ist aber weit entfernt von der „Kaltstart-Fähigkeit“, was die Wehrbeauftragte der Regierung, Eva Högl (SPD), sehr besorgt. Was muss passieren, damit sich das ändert?
In der Ukraine-Krise mehren sich die Hinweise auf eine Kriegsgefahr in Europa. Wie bewerten Sie die Lage?
Es handelt sich zweifellos um eine sehr ernste Lage, und ich bin sehr besorgt. Ich kann mich nicht erinnern – auch nicht in Zeiten des Kalten Krieges in den 1980er-Jahren –, dass ich eine so unmittelbare Bedrohung jemals gespürt habe. Ich bin dem wiedergewählten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier sehr dankbar, dass er deutliche Worte dafür gefunden hat, dass wir an der Seite der Ukraine stehen. Es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt, sondern nur eine diplomatische.
Strukturreform auf Eis
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) legt das Vorhaben einer großen Strukturreform der Bundeswehr auf Eis. „Ich gehe sehr pragmatisch an Fragestellungen heran und habe nicht vor, die nächste große Strukturreform auf den Weg zu bringen“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Viele meine Vorgängerinnen und Vorgänger haben dieses hehre Ziel verfolgt. Und wenn ich mich bei meinen Truppenbesuchen so umhöre, ist das leider nicht sonderlich erfolgreich umgesetzt worden.“
Lambrechts Vorgängerin im Amt, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), hatte im vorigen Jahr eine Reform der Bundeswehr und ihrer Führungsstäbe angekündigt, um die Einsatzbereitschaft der Armee deutlich zu erhöhen. Dazu sollte etwa ein nationales Führungskommando gegründet werden. Für die Einsätze im Ausland gibt es bereits das Einsatzführungskommando in Potsdam. (dpa)
Was bedeutet die Ukraine-Krise konkret für die Bundeswehr?
Die Bundeswehr ist jetzt schon präsent zur Unterstützung der osteuropäischen Mitgliedstaaten, zum Beispiel in Litauen, wo gerade 350 Soldatinnen und Soldaten die dort bereits vorhandenen Kräfte noch mal verstärken.
Ist die Bundeswehr überhaupt für die Landes- und Bündnisverteidigung gerüstet? Viele in der Truppe sagen ja, die Streitkräfte sind marode…
Es ist in der Tat so, dass in den letzten Jahren der Fokus der Bundeswehr auf den Auslandseinsätzen lag – insbesondere fast 20 Jahre lang in Afghanistan. Erst jetzt fokussiert sich die Truppe wieder stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Es muss noch viel getan werden, aber wir sind mit der Bundeswehr schon auf einem guten Weg.
Dass die Bundeswehr in die Ukraine geschickt würde, ist aber nicht denkbar, oder?
Nein. Die Ukraine ist kein Nato-Staat, insofern entspricht das nicht dem Auftrag. Wir setzen weiter darauf, dass die diplomatischen Bemühungen eine kriegerische Auseinandersetzung verhindern.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, hat jüngst gesagt, die Truppe sei von der Kaltstart-Fähigkeit, also der schnellen Mobilisierung, die es für eine glaubhafte Abschreckung braucht, weit entfernt. Das ist erschreckend, oder?
Das ist eine Erkenntnis des Generalinspekteurs, die uns beunruhigt. Bei den Auslandseinsätzen gab es ja immer eine monatelange Planung – aber die Ukraine-Krise zeigt, dass es manchmal auch sehr schnell gehen muss. Das sehen wir jetzt bei der Verlagerung der Kräfte nach Litauen oder Rumänien. Die Kaltstart-Fähigkeit ist ganz entscheidend, und deshalb muss es auch bei den Verhandlungen um den Bundeshaushalt darum gehen. Die Bundeswehr braucht mehr Geld, damit sie schnell, flexibel und wirksam handeln kann.
An welche Summe denken Sie da?
Wir haben jetzt einen mit rund 50 Milliarden gut ausgestatteten Verteidigungshaushalt, der reicht aber nicht, sondern muss deutlich anwachsen. Die Aufgaben der Bundeswehr werden nach dem Ende des Afghanistan-Einsatzes ja nicht weniger, sondern mehr. Die Truppe braucht neues Gerät und eine gute Ausrüstung. Da gibt es noch eine Menge zu tun.
Der Bundeswehrverband fordert ein Sofortprogramm mit einem Sondervermögen…
Das ist grundsätzlich ein guter Vorschlag. Es gibt auch die Idee, ein Verteidigungsplanungsgesetz zu verabschieden, um besonders große Investitionsvorhaben oder kostenintensive Maßnahmen finanzieren zu können. Das sind alles gute Überlegungen.
Im Ukraine-Konflikt will Deutschland 5000 Militärhelme nach Kiew liefern. Was halten Sie davon?
Das ist ein Beschluss der Regierungskoalition. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat der Bitte der Ukraine entsprochen und versichert, dass die Helme für die Ukraine vorhanden sind. Ich weiß, dass die Truppe über zu wenig Helme vor allem bei den Fallschirmspringern klagt. Als Wehrbeauftragte möchte ich, dass alle unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgerüstet sein, das geht vom Helm über Kälte- und Nässeschutz bis hin zu Funkgeräten und dem großen Gerät.
Ihre SPD-Parteigenossin Lambrecht steht derzeit heftig in der Kritik. Es heißt, dass sie für das Amt nicht geeignet sei. Was sagen Sie dazu?
Christine Lambrecht ist eine sehr erfahrene Politikerin. Sie wird das Verteidigungsministerium hervorragend führen, die richtigen Entscheidungen zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten treffen und für eine gute Sicherheits- und Verteidigungspolitik sorgen.
Die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme liegt offiziell laut Verteidigungsministerium bei 77 Prozent – das reicht aber nicht, oder?
Das ist ein kleiner Anstieg. Mir ist es sehr wichtig, auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, dass da nicht etwas schön geredet wird, sondern dass die Einsatzbereitschaft schonungslos dargelegt wird. Ich war zum Beispiel in Mali und habe festgestellt, dass nur die Hälfte aller Transportpanzer Fuchs, die dort vor Ort sind, einsatzbereit sind. Da muss ich sagen: Wir haben noch eine lange Strecke vor uns. Die Einsatzbereitschaft der Truppe ist das A und O.