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Interview

Verena Schäffer im Interview
NRW-Regierung plant landeseigenes Antidiskriminierungsgesetz

Lesezeit 5 Minuten
Fraktionsvorsitzende der Grünenfraktion im Landtag Verena Schäffer. (Archivbild)

Fraktionsvorsitzende der Grünenfraktion im Landtag Verena Schäffer. (Archivbild)

Die Grünen in NRW treiben ein Antidiskriminierungsgesetz voran, um den rechtlichen Schutz für Opfer von Diskriminierung in schulischen und staatlichen Einrichtungen zu erhöhen.

Die NRW-Regierung bringt ein landeseigenes Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg. Wer an Schulen, an Hochschulen und in Landesbehörden angefeindet wird, soll künftig klagen können. Vorangetrieben haben das vor allem die Grünen.

Frau Schäffer, Sie waren 2010 die jüngste Abgeordnete hier im nordrhein-westfälischen Landtag. Lässt sich Ihre Politisierung noch mit der von heutigen Jugendlichen vergleichen?

Ich bin so richtig intensiv mit Politik erst mit 16 Jahren in Berührung gekommen, als Freunde damals Demonstrationen gegen den Irak-Krieg organisiert haben. Dieses Gemeinschaftserlebnis auf der Straße, das Gefühl, etwas bewegen zu können, und die Auseinandersetzung mit relevanten Fragen – all das macht etwas mit Heranwachsenden. Das hat sich nach meinem Eindruck bis heute nicht verändert.

Moment, früher tickte die Jugend links, heute eher rechts. Mittlerweile sind Jugendliche geprägt durch die chinesische Onlineplattform TikTok, auf der vor allem die AfD erfolgreich ist…

Das stimmt so nicht. Jugendliche setzen sich für Klimaschutz und Menschenrechte ein. Aber TikTok ist in der Tat ein Problem für die demokratische Gesellschaft, weil der Algorithmus Polarisierung belohnt. Hass und Verschwörungsmythen gehen viral, Differenzierung und Fakten funktionieren in den sozialen Netzwerken deutlich schlechter. Deshalb müssen wir als demokratische Parteien und auch die politische Bildung im Netz präsenter werden. Wir dürfen den digitalen Raum nicht den Nazis überlassen. Mich besorgt, dass Studien einen deutlichen Anstieg von rechtsextremen Einstellungen insgesamt in der Gesellschaft und auch unter jungen Leuten nachweisen. Anderseits sehe ich auch Mut machende Signale.

Welche?

Die zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zeigen, dass die Mitte der Gesellschaft über Parteigrenzen hinweg in Sorge ist um unsere Demokratie. Auch viele junge Menschen demonstrieren mit und bekennen sich überall im Land zu Vielfalt und Menschenrechten. Diese Demokratiebewegung mitzuerleben, macht Mut.

Dennoch wird die aktuelle Demonstrationswelle irgendwann wieder abebben. Was machen Sie dann?

Wir Grüne verstehen die Demonstrationen als Auftrag, uns noch entschiedener gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzusetzen. Wenn wir über Rechtsextremismus reden, denken wir zurecht an die rechtsterroristischen Taten von Kassel, Halle und Hanau oder an die NSU-Morde. Darüber darf aber auch der Alltagsrassismus nicht aus dem Blick geraten.

Was meinen Sie konkret?

Viele Menschen werden tagtäglich wegen ihres Aussehens, ihres Namens, ihrer Herkunft oder ihrer Religion in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen angefeindet. Wir werden den Rechtsextremismus nur bekämpfen können, wenn wir den Kern des Problems bekämpfen. Und der heißt Rassismus.

Sie können üble Gesinnung schlecht gesetzlich verbieten…

Das stimmt. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen menschenfeindlichen Einstellungen ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Der Staat ist aber durch das Grundgesetz dazu verpflichtet, Menschenrechte für alle zu gewährleisten. Deshalb wollen wir als schwarz-grüne Koalition die Rechte der Betroffenen stärken. Sie sollen sich besser gegen Diskriminierung wehren können. Wir haben uns deshalb schon im Koalitionsvertrag auf ein landeseigenes Antidiskriminierungsgesetz verständigt.

Es gibt doch ein Bundesgesetz. Warum wollen Sie in NRW draufsatteln?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes deckt leider nicht die Bereiche mit Landeszuständigkeit vollständig ab. Das betrifft zum Beispiel die Schulen und Hochschulen, die Justiz und die Polizei. Wir wollen diese Schutzlücken schließen, damit Betroffene sich juristisch wehren können.

Wollen Sie Lehrer etwa haftbar machen, wenn ein Kind auf den Schulhof diskriminiert wird?

Nein, Entschädigungsansprüche richten sich immer gegen die Institution, nicht gegen die Landesbediensteten. Keine Lehrkraft und keine Beschäftigten in der Justiz oder bei der Polizei müssen fürchten, verklagt zu werden. Es geht auch um eine Signalwirkung des Gesetzes. Staatliche Institutionen sollen sich mit dem Thema beschäftigen müssen.

Berlin hatte vor einigen Jahren als erstes Bundesland ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz beschlossen und erhebliche Debatten ausgelöst.

In Berlin zeigt sich, dass es zu keiner Klageflut gekommen ist. Wenn Kinder auf dem Schulhof aufgrund ihres Migrationshintergrundes oder einer Behinderung diskriminiert und drangsaliert werden oder weil sie jüdisch sind, dann hat die Schule einen Schutzauftrag. Kommt sie dem nicht ausreichend nach, müssen Eltern dagegen vorgehen können.

Was ist mit der Auszeichnung „Schule ohne Rassismus“?

Schule ohne Rassismus ist eine super Initiative. Ich bin selbst Patin einer solchen Schule. Aber die Wahrheit hinter einem solchen Türschild ist: Es gibt keine Schule ohne Rassismus. Denn Rassismus und auch Antisemitismus durchziehen unsere Gesellschaft. Nicht immer geht es nur um das Verhalten unter Kindern. In einer Studie wird von einem Fall berichtet, dass ein Lehrer ausgerechnet dem einzigen jüdischen Kind in der Klasse das Referat über den Holocaust aufgibt. Die allermeisten Lehrkräfte setzen sich aber täglich für die Vermittlung einer demokratischen Haltung ein.

An Hochschulen dagegen scheint Antisemitismus eher ein Phänomen linksalternativer Kreise zu sein. Sind Sie da genauso wachsam?

Selbstverständlich. Das Landesantidiskriminierungsgesetz soll alle Fälle von Diskriminierung abdecken und gilt auch für Antisemitismus. Darunter fällt natürlich der linke Antisemitismus an Hochschulen, dessen offene Artikulation uns nach dem Angriff der Hamas auf Israel große Sorgen bereitet.


Bundesgesetz deckt nicht alle Bereiche ab

Regelungen zu Fragen von Diskriminierung sind in Deutschland seit 2006 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) des Bundes festgelegt. Es setzt Vorgaben verschiedener EU-Richtlinien in nationales Recht um. Insbesondere die Grünen sehen jedoch auf Landesebene Umsetzungslücken vor allem im Bildungsbereich. Für Diskriminierungsopfer sei es weiterhin schwierig, sich gegen Ausgrenzung und Abwertung zu wehren oder Schadenersatz einzuklagen. Möglicherweise wird das neue Antidiskriminierungsgesetz des Landes NRW als Entwurf noch in diesem Jahr das Kabinett und den Landtag erreichen.

Der Ruf nach schärferen Maßnahmen gegen Diskriminierung insbesondere im Schul- und Hochschulalltag war zuletzt im Zusammenhang mit dem eskalierten Nahost-Konflikt lauter ge- worden. Berichte über offenen Antisemitismus, der nicht konsequent geahndet werde, häuften sich in den vergangenen Monaten. (tobi)


Demos gegen rechts

Auch an diesem Wochenende haben in Nordrhein-Westfalen wieder Tausende Menschen für Demokratie und Toleranz demonstriert. In Essen zogen laut Polizei 3000 Schülerinnen und Schüler durch die Innenstadt – unter dem Motto „Schule bleibt bunt“. In der Landeshauptstadt hatte das Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ zu einer Kundgebung „gegen extreme Rechte und Rassismus“ aufgerufen. Nach Angaben der Polizei kamen rund 1000 Teilnehmer in den Zoopark. Auch in Recklinghausen wurde demonstriert. Dort versammelten sich rund 500 Menschen zu einer Demo des Bündnisses „Es reicht“. (dpa)


Soziale Medien

Grüne und SPD fordern eine härtere Gangart gegen TikTok und andere Soziale Netzwerke. „In den Sozialen Medien wird ein Frontalangriff auf unsere Demokratie orchestriert. Das müssen wir klar benennen und rechtsstaatlich effektiv bekämpfen“, sagte der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, dem „Spiegel“. Der SPD-Vorstand betonte in einem Beschluss, dass die Partei den Protest gegen Hass und Lügen der Rechtsextremisten von der Straße ins Netz tragen müsse. Demnach will die SPD Soziale Netzwerke als Tatort stärker ins Visier nehmen. Straftaten aus diesem Spektrum würden viel zu oft nicht geahndet. (kna)