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Interview mit transsexueller Soldatin„Wo steht in Stein gemeißelt, dass die Bundeswehr Dienstgrade nicht gendert?“

Lesezeit 5 Minuten
„Das männliche Image der Bundeswehr wurde bislang nicht aufgebrochen“: Anastasia Biefang fordert mehr Einsatz für Werte ein.

„Das männliche Image der Bundeswehr wurde bislang nicht aufgebrochen“: Anastasia Biefang fordert mehr Einsatz für Werte ein.

Anastasia Biefang ist die erste offen transsexuelle Kommandeurin der Bundeswehr. Doch ein Outing wie ihres ist keine Selbstverständlichkeit – obwohl die Truppe ein Arbeitgeber für alle sein will. Ihrer Meinung nach muss noch viel passieren, bis dieses Ziel erreicht ist.

Frau Oberstleutnant Biefang, was stört Sie persönlich am meisten, wenn es um die Öffnung der Bundeswehr für alle geht?

Mich stört ganz generell, dass jede Bewegung gegen Diskriminierung bei der Bundeswehr immer von außen kam. Dass Frauen uneingeschränkt in allen Bereichen der Bundeswehr dienen dürfen, wurde von einer Frau vor einem EU-Gericht erstritten. Der Abschaffung der langjährigen offiziellen Praxis der Diskriminierung homosexueller Soldaten ging ein politischer Beschluss voraus. Aber es war nie die militärische Führung, die von sich aus mal ein Problem angegangen ist und mit den gesellschaftlichen Entwicklungen zumindest Schritt hielt.

Sie selbst haben sich erst 2015 mit 40 Jahren geoutet. Warum so spät?

Ich wusste einfach 20 Jahre lang nicht, wie die Bundeswehr mit mir umgehen wird. Und bis zum Schluss haben mir einige Kameraden gesagt, dass das Outing für die Karriere nicht gut ist. Vorbilder gab es für mich nicht. Vielfalt und die Anerkennung von queeren Lebensweisen waren bis dato kein oder kaum ein Thema im Dienst. Die in Teilen stark ausgeprägte queer- und frauenfeindliche Kultur in der Bundeswehr haben ihren Teil zu meinem späten Outing sicherlich beigetragen. Sie müssen sich folgendes vorstellen: Bei unserem Verein QueerBw erhalten wir noch immer Anfragen von jungen Menschen, ob sie zur Bundeswehr dürfen, obwohl sie schwul sind.

Als stellvertretende Vorsitzende des Vereins QueerBw fordern Sie eine Kultur der Wertschätzung in der Bundeswehr. Wo sehen Sie die denn nicht gegeben?

Das offenbaren manchmal schon vermeintliche Kleinigkeiten. 2017 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es auch ein drittes Geschlecht „divers“ gibt. Die Bundeswehr hat es erst Ende 2022 geschafft, die entsprechenden notwendigen Änderungen anzugehen. Das heißt zum Beispiel, im Personalwirtschaftssystem konnte weiterhin nur männlich oder weiblich als Geschlecht angegeben werden. Ich stelle mir dann einen armen Bundeswehr-Personaler vor, der bis dahin zu einem entsprechenden Rekruten sagen musste: „Im System gibt es Sie leider nicht. Entscheiden Sie sich jetzt bitte mal für männlich oder weiblich.“

Und das ist ein Indiz für mangelnde Wertschätzung in der gesamten Bundeswehr?

Wertschätzung beginnt bei jedem Einzelnen. Ich erwarte von einer Institution wie der Bundeswehr einfach, dass sie sich besonders stark anstrengt, wenn es um die Öffnung für alle geht. Die Bundeswehr ist immer noch männlich dominiert.

Hat die Bundeswehr nicht derzeit ganz andere Sorgen?

Das höre ich immer wieder. Schön, dass queere Menschen oder Frauen eine Sorge sind. Uns nützt kein Panzer, wenn niemand da ist, der diesen bedient. Nur weil jetzt auf materieller Seite der Nachholbedarf endlich erkannt wurde, dürfen die Anstrengungen für Gleichberechtigung und Vielfalt nicht nachlassen. Wir als Soldat:innen verteidigen doch die Werte unserer Gesellschaft. Nur wer diese auch im Dienst leben und erfahren kann, wird bereit sein, dafür auch das eigene Leben zu geben.

Soll mehr Wertschätzung dann auch mehr queere Menschen zur Bundeswehr locken, um gegen den herrschenden Personalmangel etwas zu tun?

Es ist nicht so, dass eine „Diversity-Strategie“ den Personalmangel beseitigen soll. Es geht nicht darum, queere Menschen anzuwerben, nur um queere Menschen zu haben. Die Bundeswehr hat den Anspruch, die Werte unseres Grundgesetzes nach innen und außen zu vertreten und sie wirbt damit, sich zu öffnen. Das ganze Thema Gleichberechtigung klingt ja manchmal wie eine Anstrengung. Aber das Kümmern um die Menschen kann und darf niemals eine Last sein.

Diversität lässt sich nicht befehlen.

Aber die Bundeswehr kann die Leitlinie geben und durch gute Führung vorleben. Und dabei deutlich machen, welche Vorteile die Vielfalt für die Bundeswehr hat. Es geht dabei ja nicht nur um Frauen oder queere Menschen, sondern auch um ältere Menschen, Menschen anderer Religionen und ethnischer und kultureller Hintergründe. Da reicht es dann auch nicht, einmal im Jahr die Regenbogenflagge zu hissen. Das ist ein schönes Symbol, aber nur das ist zu wenig. Wir müssen daran arbeiten, dass dieses Symbol auch einen Wert hat. Nur die bloße Abwesenheit von Diskriminierung ist noch keine Wertschätzung.

Müssten für mehr Wertschätzung dann nicht auch die Dienstgrade gegendert werden? Soldatinnen tragen noch immer den Titel „Hauptmann“.

Zumindest braucht es eine vernünftige Diskussion, warum ich als Oberstleutnant im Ministerium einer Regierungsdirektorin gegenüber sitze. Das zu hinterfragen, schadet ja nicht. Wo steht in Stein gemeißelt, dass die Bundeswehr die Dienstgrade nicht gendert? Die Antwort: „Das war doch schon immer so“, ist mir zu wenig.

Der Frauenanteil ist immer noch sehr gering und hinkt den selbst gesteckten Zielen hinterher. Warum kommen nicht mehr Frauen und queere Personen zur Truppe?

Das weiß ich nicht, ich kenne nur die Aussagen, die immer schnell gemacht werden. Frauen kriegen Kinder, queere Personen sind eher im linken Spektrum unterwegs und so weiter. Das sind erstmal nur Aussagen, für die mir teilweise die Belege fehlen. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, ob es nicht vielleicht doch strukturelle Benachteiligungen gibt. Die Bundeswehr hat ein männliches Image und das wurde bislang nicht aufgebrochen.

Sollte die Bundeswehr auf 50 Prozent Frauenanteil hinarbeiten?

Meinetwegen muss der Frauenanteil nicht bei 50 Prozent liegen. 70 Prozent Frauenanteil sind auch toll. Wir sind dann bestimmt weiterhin verteidigungsfähig.