Die Entwicklungsministerin dringt darauf, trotz des Putsches im Niger einen Krieg in der Sahelzone zu vermeiden. Zugleich verteidigt die SPD-Politikerin den feministischen Ansatz der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik.
Interview mit Svenja Schulze„Die Region im Sahel ist ein Epizentrum des Terrorismus“
Mauretanien und Nigeria stehen auf Svenja Schulzes Reiseliste für die kommenden Tage. Im Interview mit unserer Redaktion bekräftigt die Entwicklungsministerin, dass Deutschland an seiner Entwicklungshilfe für die Sahel-Region festhalten wolle. Es handele sich um ein „Epizentrum des Terrorismus“.
Frau Schulze, droht in der Sahelzone ein Krieg?
Zunächst einmal finde ich die Signale sehr wichtig und begrüße es, dass die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und auch die Afrikanische Union nach einer friedlichen Lösung suchen. Der aktuelle Beschluss aus der vergangenen Woche, mit Niger im Gespräch zu bleiben, ist schon deshalb wichtig, weil es sich dort um einen eher ungewöhnlichen Putsch handelt. Es ist zum Beispiel noch niemand ums Leben gekommen. Das erleichtert die Suche nach diplomatischen Auswegen, die definitiv möglich sind.
Womit es aber dabei bleibt, dass in der ärmsten Region der Welt die Option eines Krieges im Raum steht, den die USA, Frankreich und Deutschland unterstützen würden.
Wir haben im Niger bereits Preissprünge bei einigen Lebensmitteln von 50 Prozent und mehr, dazu kommen die Schwierigkeiten mit der Stromversorgung aufgrund des Lieferstopps durch Nigeria. Die Sanktionen treffen die Menschen sehr hart. Deshalb setze ich darauf, dass die, die geputscht haben, auch ihrerseits ein Interesse an einer friedlichen Einigung haben.
Nigers Nachbarland Nigeria hat als führende regionale Macht nicht einmal die Sicherheit im eigenen Staatsgebiet im Griff. Wie soll es diese jenseits der Grenze herstellen, wo die Putschisten durchaus Rückhalt in der Bevölkerung genießen?
Aus meiner Sicht als Entwicklungsministerin ist es sehr wichtig, die Ursachen für die Instabilität im Sahel und auch in den angrenzenden Ländern anzugehen. Die Region ist ein Epizentrum des Terrorismus. Viele junge Menschen sehen ihn als ihre Perspektive. Es muss uns gelingen, der Bevölkerung mit Jobs, zum Beispiel auch durch eine Stärkung der Landwirtschaft, Alternativen zu bieten. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, sich im Sahel weiter zu engagieren – und das werden wir auch tun.
Deutschland ist dort seit Jahrzehnten engagiert. Doch die Instabilität wächst. Zugleich gewinnt der Islam an Einfluss und mit ihm eine noch stärkere Ablehnung westlicher Einmischung. Afghanistan, Mali, Burkina Faso, Sudan, jetzt Niger: Man hat nicht den Eindruck, dass deutsche Hilfe besonders gefragt ist.
In vielen Ländern genießt die Entwicklungszusammenarbeit mit uns einen ausgezeichneten Ruf. Wir können auch in Krisensituationen unsere Hilfen so lenken, dass sie den Menschen dort zugutekommen, ohne die Regierung direkt zu unterstützen.
In Burkina Faso und dem Niger ist sie ausgesetzt. Auch die Weltbank hat die Zahlungen eingestellt.
Weil das Geld ansonsten an die Putschisten ginge und nicht den Menschen zugutekäme. Aber die internationale Unterstützung, die direkt dabei helfen soll, die Not der Menschen zu lindern, läuft erst mal weiter.
Sind andere Geldgeber womöglich attraktiver, die ihre Hilfe nicht an Bedingungen knüpfen, die örtlichen Traditionen widersprechen?
Sie spielen auf die feministischen Grundsätze unserer Außen- und Entwicklungspolitik an?
Ja.
Auch China und Russland verbinden ihre Hilfe durchaus mit Forderungen, nur eben mit anderen. Überdies ist es – ganz unfeministisch betrachtet – wichtig, Entwicklungspolitik gerade für Frauen zu machen. Denn die gesamte Gesellschaft profitiert. Gesellschaften werden sich nicht weiterentwickeln, wenn Frauen – also die Hälfte der Bevölkerung – nicht angemessen eingebunden und repräsentiert sind. Das treibe ich voran. Das verlangen auch unsere Werte, das stimmt. Aber nebenbei bemerkt, Frauenrechte sind keine westliche Erfindung. Es gibt eine lange Tradition von Frauenrechtsorganisationen und Kämpferinnen für Frauenrechte auch in Afrika. Sie werden in Europa oft nicht wahrgenommen, aber es gibt sie.
Hat Russland Einfluss im Niger genommen?
Danach sieht es eher nicht aus, zumindest ist es in keiner Weise vergleichbar mit der Situation in Mali.
Ist der Niger für Frankreich und Deutschland auch aus energiepolitischen Gründen besonders wichtig? Frankreich bezieht Uran aus dem Norden des Landes. Deutschland sähe es gerne, wenn über eine Pipeline durch die Sahara Gas in Richtung Europa geliefert wird.
Beides spielt in meinen Gesprächen über die gegenwärtige Krise und darüber, wie man reagiert, keine Rolle. In der Sahel-Allianz war dies in keinem Wortbeitrag auch nur einmal Thema. Wenn Sie unterstellen, dass Deutschland sich im Niger primär aus wirtschaftlichen Gründen engagiert, kann ich das absolut nicht bestätigen.
Aber vielleicht aus strategischen Gründen? Oder täuscht der Eindruck, dass die Bundesregierung dem jetzigen Putsch eine größere Bedeutung beimisst als anderen Umstürzen?
Ist das wirklich so? Gerade der Putsch in Mali hat doch sehr viel Aufmerksamkeit erfahren.
Aber niemand wollte ihn rückabwickeln so wie jetzt im Niger.
Wenn eine demokratische Regierung gestürzt wird, halte ich es für eine sehr verständliche und angemessene Reaktion, wenn andere Demokratien, und zumal welche aus derselben Region, nicht bereit sind, dies einfach hinzunehmen. Nach dem letzten Putsch in der Elfenbeinküste ist es beispielsweise gelungen, zu demokratischen Strukturen zurückzukehren. Der Protest gegen den Putsch im Niger darf nicht bedeuten, einen Krieg auszurufen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich anders anzunähern, etwa dass es bald zu ordnungsgemäßen Neuwahlen kommt oder dass der legitime Präsident Bazoum nicht zu Schaden kommt. Wir unterstützen dies und machen unseren Einfluss als Sahel-Allianz geltend. Vielleicht hat auch mancher einen falschen Eindruck. Wir sind die großen Geber in der Region, nicht Russland oder China. Die meiste Unterstützung kommt aus demokratischen Ländern und Organisationen. Darauf darf durchaus einmal hingewiesen werden.
„Hochverrat“: Nigers Militärjunta klagt festgesetzten Präsidenten an
Die neuen Machthaber im Niger wollen den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum wegen Hochverrats anklagen. Das teilte ein Sprecher der seit einem Putsch vor fast drei Wochen regierenden Junta im Rundfunk mit. Gemeinsam mit Bazoum müssten sich auch weitere seiner „Komplizen“ vor Gericht verantworten. Hochverrat kann im Niger mit dem Tod bestraft werden. Laut Amnesty International kommt es seit Jahrzehnten jedoch nicht mehr zu Hinrichtungen. Am Sonntag hatte sich die Junta im Niger noch offen für Verhandlungen mit der westafrikanischen Staatengruppe Ecowas gezeigt. Ecowas hatte die Freilassung des festgesetzten Präsidenten gefordert.
Seit dem Putsch wird Bazoum mit seiner Frau und seinem Sohn in der Präsidentenresidenz festgehalten. Gegenüber verschiedenen Medien hatte er erklärt, er werde als „Geisel“ gefangen gehalten. Der Niger war bislang einer der letzten demokratischen Partner der USA und europäischer Staaten in der Sahelzone am südlichen Rand der Sahara. Der Putsch hat die Region in eine politische Krise gestürzt. Bei einem Sondergipfel am Donnerstag hatte die Ecowas beschlossen, eine militärische Bereitschaftstruppe zu aktivieren, um die verfassungsmäßige Ordnung nach dem Staatsstreich im Niger wiederherzustellen. (dpa/afp)