Verspätungen, Ausfälle, teurere Tickets - Bahnfahren bleibt auch in 2025 ein Herausforderung. Ob bald ein Licht am Ende des Tunnels auftaucht, weiß Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn.
Interview mit Pro Bahn-Chef2025 bleibt für Bahnkunden eine Herausforderung
Herr Neuß, Sie sind seit 2016 Bundesvorsitzender von Pro Bahn. Schauen wir auf NRW: Ist der Nahverkehr in diesen acht Jahren schlechter geworden?
Ja, er hat sich zum Schlechteren verändert. Früher konnte man sich eher auf die Züge verlassen, sie kamen seltener zu spät. Die Zugausfälle im Nahverkehr durch Personalmangel, aber auch durch technische Probleme wie Weichenstörungen haben deutlich zugenommen.
Woran liegts?
Der Bahnverkehr fährt schon lange auf Verschleiß. Das ist wie beim Auto: Eine Zeit lang kommt es ohne Inspektionen aus, aber irgendwann bleibt es liegen. Nun wird an vielen Stellen wieder in die Schiene investiert.
Wann wird es denn mal besser?
Im Fernverkehr wird man Verbesserungen spüren, wenn die großen Korridorsanierungen abgeschlossen werden, und das soll 2027 der Fall sein. Ab den 2030er-Jahren kann man mit Verbesserungen auch im Nahverkehr rechnen.
Was erwartet die Fahrgäste 2025?
Es wird nicht deutlich besser werden. Auf vielen Strecken wird weiter gebaut, zum Beispiel zwischen Emmerich und Oberhausen. Es wird in ganz Deutschland und überall in NRW durch die notwendige Sanierung des Schienennetzes große Behinderungen geben, auch auf den Hauptstrecken durchs Ruhrgebiet. Im Rheinland sagen wir: Es muss erst mal schlecht werden, wenn es gut werden soll. Dazu werden ungeplante Baustellen kommen, zum Beispiel wegen defekten Weichen oder Stellwerksproblemen. In NRW sollen künftig weniger Nahverkehrszüge fahren, damit die, die noch verkehren, verlässlicher werden.
Eine gute Idee?
Ich bin da skeptisch. Auf den Regionalexpress-Linien RE4, RE6 und RE7 werden die Entlastungszüge in der Hauptverkehrszeit entfallen. Das bedeutet, dass die verbleibenden Züge noch voller sein werden. Der RE11 fährt wegen des Personalmangels bei National Express weiter nur sporadisch durchs Ruhrgebiet, was eigentlich nicht zumutbar ist. Das alles macht nur Sinn, wenn das verbleibende Angebot wirklich stabiler wird.
Glauben Sie, dass die Rekrutierungsmaßnahmen für neue Lokführer bald wirken?
Wir sollten 2025 noch nicht mit einer Entspannung des Personalmangels rechnen. Irgendwann wird es wohl besser, aber erstens hat die Bahn gerade nicht den besten Ruf als Arbeitgeber und zweitens legen Berufstätige heute mehr Wert auf die Work-Life-Balance. Das ist mit Schicht- und Wochenenddiensten schwer zu vereinbaren. Viele regen sich darüber auf, wenn Gewerkschaften die Bahn bestreiken und auf bessere Arbeitsbedingungen fürs Bahnpersonal dringen.
Wir sehen aber tatsächlich, dass sich zu wenige für den Arbeitgeber Bahn interessieren. Die Verkehrsunternehmen müssen den Beruf Lokführer über die Bezahlung, mehr Freizeit, mehr Teilzeit attraktiver machen. Migranten, die sich für diesen Job interessieren, müssen mit Sprachkursen fit gemacht werden. Zu viele Einsteiger brechen die Ausbildung ab oder fallen durch die Prüfungen. Lokführer galt früher als typischer „Jungen-Traumberuf“, aber das ist eine überholte Perspektive. Es sollten auch Frauen gezielt umworben werben. In einigen Städten werden Studierende zu Straßenbahnfahrern ausgebildet. Warum nicht auch zu Lokführern?
Das Deutschlandticket wird 2025 teurer, und der NRW-Tarif steigt um sechs Prozent. Ist das okay, solange das Angebot nicht stimmt?
Preiserhöhungen sind wegen der vielen Mängel schwer zu vermitteln. Andererseits müssen Lohnerhöhungen, teure Energie und Ausbau finanziert werden. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder geben Bund und Länder mehr Geld als bisher für die Schiene, oder die Ticketpreise steigen. Die Alternative wären ausgedünnte Takte und die Einstellung von Zuglinien, und das träfe die Menschen auf dem Land härter als die in der Stadt. In Österreich wurde übrigens der umgekehrte Weg beschritten wie beim Deutschlandticket: Das 365-Euro-Ticket dort wurde erst nach einer umfassenden Modernisierung des Nahverkehrs eingeführt. Das hat allerdings 20 Jahre gedauert.
Immer mehr Zugbegleiter tragen Körperkameras (Bodycams). Finden Sie das gut?
Das Benehmen mancher Fahrgäste ist so schlecht, dass man Verständnis für den Wunsch des Personals, Bodycams zu tragen, haben muss. Die Gewaltbereitschaft in der ganzen Gesellschaft nimmt zu, und das spürt auch das Zugpersonal. Eine der Gründe für den Personalmangel bei der Bahn ist, dass Menschen sich nicht von Fahrgästen beschimpfen lassen wollen.
In NRW sollen Städte die Möglichkeit bekommen, eine kommunale Nahverkehrsabgabe einzuführen, um zum Beispiel Menschen, die den Nahverkehr nicht nutzen, an den Kosten zu beteiligen, zum Beispiel Autofahrer. Ist das aus Ihrer Sicht in Ordnung?
Da darf es keine Denkverbote geben. Was spricht zum Beispiel dagegen, große Firmen in Ballungsgebieten, die ihren Beschäftigten kein Jobticket anbieten und daher viele Pendlerverkehre erzeugen, über eine Abgabe zur Kasse zu bitten? Man könnte solche Unternehmen von der Abgabe befreien, wenn sie ein Jobticket zur Verfügung stellen. Allerdings muss dann auch das Angebot stimmen. Man darf Menschen nicht mit Repressalien in eine Bahn zwingen, die dann gar nicht fährt.
Wie gut sind die Bahn-App und das Portal Zuginfo NRW?
Das sind sehr hilfreiche Instrumente, aber sie können noch besser werden. Zum Beispiel werden Gleiswechsel in der App oft zu spät angezeigt, denn diese Informationen müssen oft noch manuell eingepflegt werden. Auch bei Großstörungen, zum Beispiel bei einem Stellwerksausfall, fließen die Informationen immer noch zu langsam. Die Städte im Ruhrgebiet haben sich beim Land NRW darüber beschwert, dass es ihre Pläne für den Ausbau von Nahverkehrsverbindungen nicht finanziell unterstützt.
Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) beruft sich auf die Rechtslage: Das Land dürfe keine kommunalen Verkehre finanzieren. Ist das akzeptabel?
Es gibt die nötige gesetzliche Grundlage nicht, da hat Minister Krischer Recht. Aber wenn es diese Gesetze nicht gibt, muss man sie schaffen. Überhaupt gehören viele Regelungen auf den Prüfstand.
Zum Beispiel?
Dass Bundes- und Landeshaushalte nur für ein Jahr gelten. Für den Bahnverkehr ist das fatal, weil es nie Planungssicherheit gibt. In der Schweiz wird die Finanzierung der Bahn für zwölf Jahre geplant, in Österreich für sechs Jahre. Das gibt Sicherheit.