AboAbonnieren

Interview

Gespräch mit forsa-Chef
Wie verhindert man das Erstarken des Rechtspopulismus, Herr Güllner?

Lesezeit 6 Minuten
01.02.2024, Nordrhein-Westfalen, Köln: «Menschenrechte statt rechte Menschen» ist bei einer Demonstration gegen die AfD und Rechtsextremismus auf einem Schild zu lesen.

Viele Menschen, hier in Köln, setzen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus.

Demoskop Manfred Güllner, Gründer des forsa-Instituts, spricht im Rundschau-Interview über die Demos gegen Rechtsextremismus und warnt vor einer Zersplitterung der Parteienlandschaft.

Warum ist gerade jetzt ein Moment, in dem so viele Menschen gegen den Rechtsextremismus auf die Straße gehen?

Nach den Berichten über die „Remigrationskonferenz“ der Rechtsradikalen ist vielen bewusst geworden, wie rechtsextrem die AfD im Kern eigentlich ist. Das hat eine große Zahl von Menschen dazu bewegt, durch ihre Teilnahme an den Protesten klar zu zeigen, dass man sich abgrenzen will von dieser Partei.

Sind sich denn AfD-Wähler bewusst, dass sie ihr Kreuz bei einer zumindest teils rechtsextremen Partei machen? Oder dass es Widersprüche zwischen den Interessen der AfD-Wähler und den Positionen der Partei gibt, zum Beispiel bei der Sozialpolitik?

Hier muss man unterscheiden zwischen zwei Gruppen der aktuellen AfD-Anhänger. Rund die Hälfte gehört zu dem schon immer vorhandenen Potenzial, das anfällig ist für ein geschlossen rechtsradikales Weltbild. Diese Gruppe von AfD-Wählern lässt sich überhaupt nicht beirren. Die wählen die AfD ja gerade wegen ihrer rechtsradikalen Einstellungen. Sie teilen völlig die Positionen der Partei und auch die der klar identifizierten Rechtsextremen wie Björn Höcke.

Dort, wo es gelungen ist, dass die demokratischen Parteien ihre Wähler zur Wahl gebracht haben, ist der AfD-Kandidat gescheitert.
Manfred Güllner

Die anderen, die seit letztem Juli zur AfD gewandert sind, sind nicht „in der Wolle gefärbte“ Rechtsradikale. Und die denken jetzt sensibler über den Charakter der AfD nach und revidieren zum Teil ihre Entscheidung für die Partei. Und diejenigen, die aus Wut über die Ampelregierung daran dachten, die AfD zu wählen, überdenken das und werden vielleicht auch zu anderen Parteien wandern. Deswegen verliert die AfD an Zustimmung.

In der neuesten forsa-Umfrage sind ihre Werte vom Höchststand Ende Dezember letzten Jahres um sechs Punkte auf 17 Prozent zurückgegangen. Parallel zum Rückgang der AfD-Werte gibt es einen entsprechenden Zuwachs bei den vielen anderen kleinen Parteien. Aber der harte Kern der AfD-Wähler lässt von den Berichten über das Potsdamer Treffen und die Proteste gegen rechts nicht beeindrucken.

Stichwort Kleinparteien: Das Bündnis Sarah Wagenknecht und die Werteunion sind neu auf den Plan getreten – könnten sie der AfD das Wasser abgraben?

Bei der Werteunion glaube ich nicht, dass Leute, die zur AfD gewandert sind, dort wieder weggehen, um die Werteunion zu wählen. Warum soll ich eine Partei wählen, die doch AfD-ähnliche Positionen vertritt und sich auch am äußersten rechten Rand ansiedelt? Nichtsdestotrotz könnte die Werteunion der CDU ein paar minimale Anteile wegnehmen, was natürlich bei Regierungsbildungen schon Auswirkungen haben könnte. Aber ein großes Wählerpotenzial sehe ich für die Werteunion nicht. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht sieht das anders aus, doch auch dahin wandern zurzeit nur wenige AfD-Anhänger ab. Das BSW bekommt die meisten Anhänger im Augenblick von der Linkspartei, aus dem Lager der Nichtwähler und auch einige von der SPD. Damit gibt das BSW der Linken praktisch den Todesstoß.

Man sollte nicht unreflektiert Weimar an die Wand malen. Aber man darf nicht außer Acht lassen, dass wir auf dem Weg zu ähnlich negativen Entwicklungen sind.
Manfred Güllner

Das BSW vertritt ja auch migrationskritische Positionen. Aber meinen Sie, da würden die AfD-Sympathisanten doch lieber sozusagen das Original wählen?

Das kann man sagen. Dem BSW dürfte es nicht gelingen, wegen der Migrationspolitik Anhänger von der AfD zu gewinnen. Das BSW fällt bundesweit in der aktuellen forsa-Umfrage bundesweit wieder unter die Fünf-Prozent Marke. Ich halte Zahlen wie 17 Prozent in Thüringen und acht Prozent bundesweit, die von fragwürdigen Instituten publiziert werden, für weit überhöht. Im Osten ist Wagenknecht allerdings deutlich stärker und hat durchaus Chancen. Dort ist das BSW eine Art DDR-Nostalgiepartei für die über 60-jährigen Rentner und hat vielleicht sogar Chancen, Wähler von der AfD zu gewinnen. Aber da ist im Augenblick die Datenbasis noch zu schwach, um exakte Angaben zu machen.

Laut einer forsa-Umfrage hat die AfD Ende 2023 mehr Zuspruch von den Wahlberechtigten erhalten als seinerzeit die NSDAP bei der Reichstagswahl 1930. Welche Aussagekraft haben solche historischen Vergleiche überhaupt?

Man muss sehen, dass die Weimarer Republik auch durch die Zersplitterung des Parteiensystems, was die NSDAP ausgenutzt hat, zugrunde gegangen ist. Sicherlich kann man nicht eins zu eins die heutige Gesellschaft mit der der Weimarer Republik vergleichen. Aber wir sollten bedenken: Bei den Wahlen Ende der 1930er Jahre hat noch niemand an Vernichtungslager oder den Holocaust gedacht und an das, was die Nazis wirklich an Verbrechen begangen haben.

Wenn man sich aber die Zersplitterung des Parteiensystems von 1930 anschaut und das vergleicht mit der heutigen Zersplitterung durch die Neugründung von vielen kleinen Parteien, dann ist es schon gerechtfertigt, sich der durch solche Entwicklungen drohenden Gefahren bewusst zu werden. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus hat man ja vielfache Vorkehrungen getroffen, um eine solche Zersplitterung zu verhindern – vor allem durch ein vorbildliches Wahlrecht mit einer klaren Sperrklausel. Doch die wurde mit fadenscheinigen Begründungen für die Europawahl und alle Kommunalwahlen abgeschafft.

Und an diesem bewährten Wahlsystem wird jetzt in unverantwortlicher Weise herumexperimentiert – mit allen negativen Folgen. Man sollte nicht unreflektiert Weimar an die Wand malen. Aber man darf nicht außer Acht lassen, dass wir auf dem Weg zu ähnlich negativen Entwicklungen sind.

Derselben Umfrage zufolge würde sich gut ein Viertel der Wahlberechtigten nicht an der nächsten Bundestagswahl beteiligen oder ist unentschlossen, wen sie wählen. Wie schaffen es die demokratischen Parteien, sie, die ja vielleicht nicht mit der AfD sympathisieren, zum Gang an die Wahlurne zu bewegen?

Bei Bundestagswahlen ist da wahrscheinlich nicht mehr allzu viel zu holen, aber schon bei Landtags- und Kommunalwahlen, wo es ja sehr viel mehr Nichtwähler gibt als bei einer Bundestagswahl. Denken Sie etwa an NRW, wo bei der letzten Landtagswahl 2022 fast 45 Prozent nicht gewählt haben. Und im Osten war die Zahl der Nichtwähler bei allen Landtagswahlen deutlich größer als die Zahl der AfD-Wähler. Da zeigt sich in der Tat, dass sich Unmut über die aktuelle Politik auch durch Wahlenthaltung äußert. Das sind Wahlberechtigte, die trotz ihrer Wut nicht zur AfD wandern, sondern die einfach zu Hause bleiben.

Da muss man den etablierten demokratischen Parteien auch im Osten den Vorwurf machen, dass sie sich nicht darum kümmern und nicht dafür sorgen, dass aus diesen sporadischen Nichtwählern wieder Wähler werden. Dort, wo es gelungen ist, dass die demokratischen Parteien ihre Wähler zur Wahl gebracht haben, ist der AfD-Kandidat gescheitert. Diese Beispiele auf kommunaler Ebene zeigen, wie man auch bei den anstehenden Landtagswahlen ein Anwachsen der AfD im Osten verhindern könnte.

Sollten die demokratischen Parteien dann auf Landesebene einen gemeinsamen Kandidaten unterstützen, sozusagen einen Burgfrieden schließen, um den Sieg des AfD-Kandidaten zu verhindern?

Zumindest dann, wenn es um die Ministerpräsidentenwahl geht. Bis zum Wahltermin muss natürlich jeder um seine eigenen Stimmen kämpfen. Aber es muss ein klarer Konsens da sein in der Abgrenzung zur AfD. Und das hat ja auch Erfolg. Wir haben das bei den letzten Wahlen gesehen, beispielsweise in Sachsen-Anhalt 2021, wo in einigen Umfragen ja die AfD ja gleichauf mit der CDU gesehen wurde. Herr Haseloff hat durch einen harten Abgrenzungskurs die CDU auf über 37 Prozent gebracht.

Wir haben das in Sachsen 2019 gesehen, wo Herr Kretschmer sich klar abgegrenzt hat und die CDU mehr Stimmen bekam als bei der vorausgegangenen Bundestagswahl. Die klare Abgrenzung der demokratischen Parteien ist die Voraussetzung dafür, dass die AfD nicht so stark wird wie es im Augenblick aussieht.