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Interview mit Chefin des Marburger Bundes„Masken können im Frühsommer wegfallen“

Lesezeit 4 Minuten
Susanne Johna

Susanne Johna 

  1. Susanne Johna, Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, gehört seit Beginn der Pandemie zu den Warnern.
  2. Doch jetzt sieht auch die 56-Jährige die Zeit für Lockerungen gekommen, allerdings nur Schritt für Schritt, wie sie im Interview mit Tobias Schmidt sagt.

Frau Dr. Johna, die Corona-Zahlen sinken, auch der Expertenrat hält Lockerungen für möglich. Kann die Eindämmung womöglich schon Ende März weitgehend enden, wie es die Bundesregierung plant?

In der jüngsten Stellungnahme des Expertenrats steht ein ganz zentraler Satz: „Ein zu frühes Öffnen birgt die Gefahr eines erneuten Anstieges der Krankheitslast.“ Das sehen wir ganz genauso. Es kann nur schrittweise gehen und mit Augenmaß. Ich glaube, wenn wir so vorgehen und nicht überstürzt handeln, vermeiden wir böse Überraschungen. Wir dürfen ja nicht vergessen, es gibt leider immer noch 16 Millionen ungeimpfte Erwachsene. Darunter sind auch 2,8 Millionen über 60-Jährige ohne zweifachen Basis-Impfschutz. Wenn sich diese Menschen vermehrt infizieren – und das werden sie bei Aufhebung aller Schutzmaßnahmen – wird es in dieser Gruppe auch deutlich mehr Erkrankungen geben. Deshalb müssen wir der Impfkampagne wieder mehr Schub geben. Auch bei den Auffrischungsimpfungen ist noch sehr viel Luft nach oben.

Also begrüßen Sie den Lockerungsplan aus dem Kanzleramt, über den heute verhandelt wird?

Brysch: Lockerungen nur bei Testpflicht verantwortbar

Patientenschützer fordern dringende Nachbesserungen am Beschlusspapier für den heutigen Corona-Gipfel: „Deutschland kann sofort lockern, wenn das Test-Regime stimmt. Doch genau das fehlt“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Noch viel zu viele Menschen leiden und sterben in der ambulanten und stationären Altenpflege und in den Krankenhäusern“, beklagte Brysch. Grund sei, dass auch Geimpfte und selbst Geboosterte das Virus an die Alten und Pflegebedürftigen weitergäben. „Tägliches Testen ohne Ausnahme vom Impfstatus hilft das zu verhindern“, begründete der Patientenschützer seine Forderung. „Aber in dem Öffnungspapier steht kein Wort zu einem verbindlichen Test-Konzept für die Alten- und Krankenpflege.“ Bei den aktuell weiter hohen Inzidenzen sei das aber notwendig, um Leben zu retten. „Immer noch haben Bund und Länder es nicht begriffen“, zeigte sich Brysch erbost über die Beschlussvorlage. (tob)

In der Beschlussvorlage zu der Ministerpräsidentenkonferenz wird ein gestuftes Vorgehen in Aussicht gestellt. Das ist der richtige Ansatz. Ich halte es für sinnvoll, im Abstand von etwa einer Woche neue Lockerungsschritte umzusetzen. Die 2G-Regel im Einzelhandel ist entbehrlich, wenn stattdessen bis auf weiteres die FFP2-Masken-Pflicht beibehalten wird. Sie sollte als Letztes wegfallen, weil sich die FFP2-Masken in der Pandemie als besonders hilfreich erwiesen haben. Solange wir eine derart hohe Infektionsaktivität haben wie jetzt, sind FFP2-Schutzmasken gerade in Innenräumen absolut unentbehrlich.

Wann können wir unsere Masken weglegen? Im Raum steht eine Aufhebung der Pflicht schon zu Ostern.

Wahrscheinlich wird man sie im Frühsommer nicht mehr brauchen, in Teilbereichen des Gesundheitswesens werden sie aber wohl zum Alltag gehören. Wir haben ja gesehen, wie wirkungsvoll das Tragen von Schutzmasken ist, um gerade vulnerable Personengruppen vor Ansteckung zu schützen. Wenn es im Herbst wieder zu vermehrten Infektionen kommt, womit wir rechnen sollten, werden Masken in Innenräumen erneut gebraucht werden, um sich selbst zu schützen und das Infektionsgeschehen einzudämmen.

Schützen die Masken auch vor anderen Infektionskrankheiten?

Ja! Wir haben jetzt im dritten Jahr in Folge keine relevante Influenza-Aktivität. Es ist noch nicht abzusehen, ob sich das grundlegend ändert, wenn die Masken teilweise wegfallen. Wir sollten aber darauf vorbereitet sein, dass die Influenza in der nächsten Saison wieder mehr Probleme macht. Auch hier kann man nur wieder an die Bevölkerung appellieren, die Grippeschutz-Impfung wahrzunehmen, das gilt insbesondere für ältere Menschen.

Ein enormer Anteil der Bevölkerung ist geimpft oder genesen. Müssen wir uns trotzdem auf eine neue und bedrohliche Welle im Herbst einstellen?

Wie groß die Welle im Herbst sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Das hängt ja auch ganz entscheidend davon ab, wie viele Menschen bis dahin geimpft sind. Es gibt noch nicht das Maß an Immunität in der Bevölkerung, das uns vor etwaigen Überlastungen schützen kann. Da hinken wir in Deutschland anderen Ländern in Europa, beispielsweise Dänemark, immer noch hinterher.