AboAbonnieren

InterviewKinderärzte-Chef fordert: Smartphones erst für Kinder ab 12

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 09.04.2012, Berlin: ARCHIV - ILLUSTRATION - Ein Junge spielt in seinem Kinderzimmer auf einem Smartphone ein Computerspiel, aufgenommen am 10.04.2012 in Berlin. Viele Kinder spielen gerne Spiele auf Smartphones.



Für dein ganz persönliches Hörbuch drückst du den Aufnahmeknopf beim Handy. Dann kannst du von einem gemeinsamen Erlebnis erzählen oder eine Geschichte vorlesen. (zu dpa: «Geschenke in letzter Minute») Foto: Jens Kalaene/dpa - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder +++ dpa-Nachrichten für Kinder +++

Computerspiele auf dem Handy sollten erst für Kinder ab 12 Jahren erlaubt sein, so Kinderärzte-Chef Fischbach. Foto: Jens Kalaene/dpa

Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen nehmen zu. Kinderärzte-Chef Dr. Thomas Fischbach über Internet-Konsum, Cannabis-Legalisierung und die Fehler von Karl Lauterbach.

Herr Dr. Fischbach, was haben Sie gegen die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Cannabis-Legalisierung?

Unsere Sorge ist, dass Karl Lauterbach die Risiken unterschätzt. Wir haben grundsätzlich nichts dagegen, Cannabis aus der Schmuddelecke zu holen. Jugendliche, die konsumieren, sollten ohnehin nicht bestraft werden, sondern ihnen sollte mit geeigneten Frühinterventionsprogrammen geholfen werden, das ist schon ein richtiger Ansatz. Aber wir sehen den Jugendschutz in Gefahr, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz.

Warum?

Weil viele drängende Fragen unbeantwortet sind. Wie soll verhindert werden, dass Minderjährige an den Stoff kommen, den sich Erwachsene legal im Anbau-Club abholen? Das funktioniert auch beim Alkohol nicht. Wenn dann in einem zweiten Schritt auch noch die kommerziellen Geschäfte kommen, müssen wir befürchten, dass viele über 18-Jährige ihre Drogen an Jugendliche verkaufen, um so ihre Sucht zu finanzieren. Dass der Jugendschutz zentrales Element des Gesetzes sei, erscheint uns angesichts eines deutlich ausgeweiteten Marktes und der Normalisierung von Cannabiskonsum in aller Öffentlichkeit wie eine Alibi-Aussage. Der Gefahr, dass junge Menschen, deren Gehirne noch nicht ausgereift sind, durch Cannabis-Konsum Gesundheitsschäden erleiden, wird nicht hinreichend begegnet.

Der Minister hat seine Hausaufgaben nicht gemacht?

Herr Lauterbach muss konkret beantworten, wie er die jungen Menschen schützen will. Das steht noch aus. Das Ministerium räumt selbst ein, dass Jugendliche durch die Legalisierung meinen könnten, dass der Konsum ungefährlich ist. Dem will man durch Hinweise auf der Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung begegnen und vielleicht eine Kampagne starten. Das ist zu wenig.

Es gibt immer weniger Planken, an denen sich Heranwachsende festhalten können.

Auch ohne Cannabis-Legalisierung hat die Zahl der Jugendlichen – vor allem der Mädchen – mit Depressionen und Essstörungen stark zugenommen. Laut Statistischem Bundesamt sind zehn Prozent psychisch krank. Haben Sie Erklärungen?

Vorab: Diese sehr bedenkliche und inakzeptable Entwicklung hat schon vor Corona begonnen, das lag nicht alles an der Lockdown-Politik. Die Probleme treten oft mit Beginn der Pubertät auf, in der sich die Persönlichkeit festigt, die Hirnentwicklung einen Sprung macht. Das ist ein labiles Alter, in dem die Gefahr, aus der eigenen Mitte abzurutschen, höher ist. Man kann die Zunahme der Auffälligkeiten und Erkrankungen auch auf gesellschaftliche Veränderungen zurückführen, die den Jugendlichen nicht guttun. Es gibt kein breit akzeptiertes Wertegerüst mehr und damit immer weniger Planken, an denen sich Heranwachsende festhalten können.

Sind soziale Netzwerke wie Tiktok und Co. schädlich?

Ja natürlich, das ist längst erwiesen. Auf Tiktok, Instagram oder Youtube wird teils ein Schlankheitswahn zelebriert, nach dem die Teenager streben sollen, und wer nicht mitmacht, ist raus. Da tummeln sich sogenannte Influencer, die zahllose ungefestigte junge Menschen negativ beeinflussen. Früher war sicher nicht alles besser. Aber die Lebensbedingungen für Heranwachsende sind viel komplizierter geworden, und viele macht das psychisch krank, das sehen wir in unseren Praxen ganz deutlich.

Eltern sollten ihre Kinder nicht unter die Glasglocke stecken.

Was können Eltern tun?

Die Kinder nicht in die Glasglocke stecken und von allem fernhalten, aber dem Medien- und Internetkonsum klare Grenzen setzen. Wenn ich beobachte, dass schon Kleinkinder Tablets in die Hand bekommen und ohne ihre Spiele und Comicserien nicht essen wollen, stehen mir die Haare zu Berge. Ein Smartphone schon für Neunjährige ist definitiv zu früh! Da ist die Gefahr der Verführung zu groß, allen technischen Kontrollmöglichkeiten zum Trotz. Vor einem Alter von zwölf Jahren sollten Kinder kein internetfähiges Handy haben. Auch mit Tastenhandys kann man jederzeit erreichbar sein. Die Eltern dürfen sich nicht aus Bequemlichkeit davor drücken, Grenzen zu setzen. Ein wenig Standhaftigkeit sind Eltern ihren Kindern schuldig. Die reale Welt wird für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen immer wichtiger bleiben als die virtuelle.

Ist auch die Politik gefragt?

Kinder mit Eltern in schwierigen Lebenslagen haben es selbst schwerer, zu starken Erwachsenen heranzureifen. Wer zu viele eigene Probleme hat, kann sich oft nicht ausreichend kümmern. Die Politik stößt da an Grenzen. Aber sie kann dafür sorgen, dass keine Familie in einem so reichen Land wie Deutschland in echte materielle Armut abrutscht. So viel sollte uns unser Nachwuchs wert sein. Das Gezerre um die Kindergrundsicherung ist für mich daher verstörend. Das Anliegen von Familienministerin Lisa Paus für eine echte Kindergrundsicherung muss nach der Sommerpause umgesetzt werden. Wenn wir nicht mehr für unsere Kinder tun, fällt uns das als Gesellschaft bald heftig auf die Füße.