Jörg Dittrich kritisiert die Koalitionsverhandlungen scharf. Er fordert dringend Reformen für das Handwerk und bessere Wirtschaftsbedingungen.
Handwerkspräsident Dittrich„Dieser narkotisierende Reformstau muss endlich aufgelöst werden“

örg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH)
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Jörg Dittrich kämpft in Berlin für die Interessen der 500.000 Handwerksbetriebe in Deutschland. Die ersten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD haben den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) in Teilen „entsetzt“, wie er im Interview mit Rena Lehmann erklärt. Haben die Koalitionäre den Ernst der Lage in der Wirtschaft nicht begriffen?
Herr Dittrich, wie begeistert sind Sie von den bisherigen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD?
Eine derart angespannte und gereizte Stimmung habe ich in meinen 35 Berufsjahren noch nicht erlebt. Die Handwerker erwarten, dass sich jetzt wirklich etwas verändert. Dieser narkotisierende Reformstau muss endlich aufgelöst werden. Als Wirtschaftsverband treten wir jetzt so fordernd auf, weil wir mit der Ampel-Koalition schlechte Erfahrungen gemacht haben. Viel zu lange wurde dort nicht anerkannt, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtert, dass sie ein „Weiter so“ nicht zulässt. Doch genau danach sieht es jetzt bei Union und SPD aus: Statt Reformen anzugehen, ist nicht einmal ein Bemühen zu erkennen, über ernsthafte Schritte zu wettbewerbsfähigeren Steuern und Sozialabgaben zu sprechen. Das sind aber die Knackpunkte.
Sie haben wieder einen Brandbrief geschrieben, auch die Ministerpräsidenten kontaktiert. Warum dieser Alarmismus?
Was mich beunruhigt: Die SPD hat ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis eingefahren. Trotzdem ist sie jetzt wieder dabei, nur die alten Rezepte zu verordnen. Ist nicht angekommen, dass die schon bislang nicht gewirkt haben? Wenn das Handwerk und die Wirtschaft jetzt auf nötige Veränderungen am Arbeitsmarkt und bei den Sozialsystemen drängen, dann nicht, um Sozial- oder Arbeitnehmerrechte abzuschaffen.
Sondern?
Ganz im Gegenteil: Wir treten hier so vehement für Reformen ein, weil wir sie erhalten wollen. Erst kürzlich hat Hubertus Heil in einem Interview gemeint, es müssten die Vermittlungshürden abgebaut werden, dann gelinge es, Menschen in Arbeit zu bringen. Ich frage: Wohin will er denn mehr Menschen in Arbeit vermitteln, wenn die Wirtschaft zehntausende Arbeitsplätze abbaut? Wir müssen doch zuerst mal dafür sorgen, dass die Betriebe gesund bleiben. Nur gesunde Betriebe schaffen und erhalten Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Die SPD will Steuersenkungen für die breite Mitte finanzieren, indem obere Einkommen stärker belastet werden. Klingt erstmal fair, oder?
Die SPD ignoriert dabei einmal mehr, dass eine höhere Einkommensteuer das Handwerk massiv treffen würde. Die Mehrheit der Handwerksbetriebe ist als Personengesellschaft organisiert, für die ist die Einkommensteuer auch die Unternehmenssteuer. Steuergrundlage ist eben nicht nur der Lohn für den Betriebsinhaber, sondern das gesamte „Betriebseinkommen“. Doch daraus sind auch die Investitionen zu stemmen, Rücklagen zu bilden und die Löhne für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu zahlen. Wer an dieser Steuerschraube dreht, gefährdet die Existenz vieler Betriebe. Ich bin entsetzt über diesen Vorschlag aus der SPD.
Nun stehen immerhin schon 500 Milliarden Euro für Infrastruktur im Fenster. Knallten da nicht die Sektkorken in den Handwerksbetrieben? Die Auftragsbücher dürften damit doch auf Jahre gefüllt sein…
Die Investitionen für Verteidigung und Infrastruktur werden zweifellos Auswirkungen auf das Handwerk haben. Das Handwerk baut überall mit, es wird davon profitieren – allerdings in der Breite nur dann, wenn sich die Bedingungen für die Betriebe gleichzeitig verbessern. Viele Geschäftsmodelle im Handwerk stehen durch zu hohe Kosten, Steuern, Abgaben und zu viel Bürokratie massiv unter Druck. Es droht, dass sie sich nicht mehr rechnen. Geld allein führt nicht automatisch zu deutlich mehr privaten Investitionen, dafür muss das Umfeld stimmen. Zudem müssen wir in der Lage sein, diese immensen Schulden irgendwann zurückzuzahlen. Wenn Deutschland weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt, wird das Megaschuldenpakt nur ein Strohfeuer entfachen. Der starke Mittelstand ist unser Alleinsstellungsmerkmal in der Welt. Ihn müssen wir schützen. Wettbewerbsfähigkeit kann man nicht herbeisubventionieren.
Handwerksleistungen sind bereits spürbar teurer geworden. Ist da nach oben noch Luft oder gibt es eine Grenze?
Ein Friseurbesuch oder die Reparatur einer Heizung darf kein Luxusgut sein. Aber genau das passiert gerade. Wir beobachten schon jetzt, dass Menschen seltener zum Friseur gehen oder auf andere handwerkliche Dienstleistungen verzichten. Das ist nicht nur ein Wohlstandsverlust, sondern auch ein kultureller Verlust.
Was schlagen Sie konkret vor, um Bürokratie abzubauen?
Das Wichtigste wäre, die Entschlossenheit der neuen Koalition zu spüren, das Thema ernsthaft anzugehen. Friedrich Merz mit seiner Koalition muss klare Ziele setzen, beispielsweise einen verbindlichen Prozentsatz an überflüssiger Bürokratie, der in den nächsten vier Jahren abgebaut werden soll. Auf die 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur hat man sich ja sehr schnell einigen können. Warum macht man nicht so weiter und sorgt ähnlich ambitioniert für wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern? Sich lediglich vorzunehmen, diese erst 2029 und dann auch nur um einen Prozentpunkt zu senken, das reicht nicht, da kann man es auch gleich lassen. Wir setzen klare Ziele bei der Verteidigung und beim CO2-Ausstoß, warum nicht auch bei der Wettbewerbsfähigkeit und beim Bürokratieabbau?
Ziele lassen sich leicht hineinschreiben, der Knackpunkt sind doch die Reformen, die es braucht, um sie einzuhalten…
Die neue Regierung muss sich aber auf messbare Ziele einigen. Ein erster und besonders für das lohnintensive Handwerk ganz wichtiger Schritt wäre, die Sozialabgaben, die derzeit bei rund 42 Prozent liegen, wieder auf 40 Prozent zu senken. Mit dieser Haltelinie haben wir zwischen 2010 bis 2020 wirtschaftlich sehr erfolgreiche Jahre gehabt. Ebenso entschlossen wie bei der Reform der Schuldenbremse muss geschaut werden, mit welchen Reformen die Sozialsysteme effizienter werden können und finanzierbar bleiben.
Was halten Sie von der Idee, einen Feiertag zu streichen?
Wir werden vermutlich nicht darum herumkommen, uns auf eine Liste der Grausamkeiten zu verständigen. Ohne Zumutungen kommen wir nicht aus der Talsohle. Welche das sind, hat die Politik zu entscheiden. Einen Feiertag zu streichen, brächte ein paar Milliarden, würde aber vor allem das Signal senden: Wir nehmen die Herausforderungen gemeinsam an und packen es jetzt alle zusammen an. Die neuen Realitäten erfordern einen fröhlichen Fleiß, um das Erworbene zu erhalten.