Fünf Jahre nach dem Anschlag von Hanau wird wieder an die Tat erinnert; diesmal im Licht der Bundestagswahl vier Tage später.
Fünf Jahre nach AnschlagHanau erinnert – und ringt um Aufarbeitung
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Auch in Köln wird der Opfer des Hanauer Anschlags gedacht, wie hier 2021 in Rodenkirchen. (Archiv)
Copyright: Thilo Schmülgen
Zum fünften Mal jährt sich am 19. Februar der rassistische Anschlag von Hanau. Die Angehörigen und Freunde der Ermordeten, ihre Unterstützer und die Stadt Hanau gedenken rund um das Datum bei einer Vielzahl von Veranstaltungen der Opfer. Vereint werden sie vom Bestreben, die Erinnerung an die Getöteten wachzuhalten. Zur offiziellen Gedenkveranstaltung am Mittwoch wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Hanau kommen.
„Sie dürfen niemals in Vergessenheit geraten und der Tag darf niemals in Vergessenheit geraten“, betont der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Die Tat sei eine Mahnung, gemeinsam für Demokratie und Zusammenhalt einzustehen und sich entschieden gegen Rassismus, Extremismus, Hass und Hetze zu positionieren.
Hanaus Oberbürgermeister: „Nächstenliebe, Respekt und Toleranz“
„Die jüngsten Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg stecken auch mir in den Knochen“, sagt der OB. Die Diskussion vor der Bundestagswahl zeige, dass die gesellschaftliche Situation in den vergangenen fünf Jahren schwieriger geworden sei. Die Polarisierung nehme europaweit zu. „Wir müssen uns als Gesellschaft am Grundgesetz orientieren, also würdevoll miteinander umgehen. Nächstenliebe, Respekt und Toleranz sind Leitplanken, wir dürfen Menschen nicht auf den Leim gehen, die uns gegeneinander aufbringen wollen.“
In Hanau hatte am 19. Februar 2020 ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.
Tausend Menschen demonstrierten schon am Samstag
Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Jahrestag sei nicht mehr so stark wie in den ersten Jahren nach der Tat, sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative 19. Februar, in der sich Angehörige und Betroffene des Anschlags sowie Unterstützer zusammengeschlossen haben. Doch nach wie vor beteiligten sich in vielen deutschen Städten Gruppen, Institutionen oder einzelne Menschen an dem Gedenken unter dem Motto „Say Their Names“. Das habe sich verfestigt.
Anders als im vergangenen Jahr hatte die Initiative diesmal nicht bundesweit zu einer Großdemonstration nach Hanau eingeladen. Das liege auch daran, dass im Oktober, als die Planungen anliefen, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für den bevorstehenden Jahrestag nicht so groß gewesen sei, sagt die Sprecherin. Dass der Jahrestag wenige Tage vor einer vorgezogenen Bundestagswahl liegen wird und das Thema Migration mittlerweile die politische Auseinandersetzung beherrscht, war damals nicht abzusehen.
Gedenkveranstaltung auch am Kölner Heumarkt
Inzwischen fühlt sich Duman an das vergangene Jahr erinnert, als im Januar nach Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter deutschlandweit Hunderttausende auf die Straße gingen. In Hanau kanalisierten sich diese Proteste am 17. Februar 2024 bei der Kundgebung zum vierten Tag des Anschlags, an der mehrere Tausend Menschen der Opfer gedachten und gegen Rassismus und Rechtsextremismus demonstrierten.
Am Jahrestag (Mittwoch, 19. Februar) gibt es auch in Köln eine Gedenkveranstaltung samt Demonstrationszug. Mehrere zivilgesellschaftliche Bündnisse haben dazu aufgerufen. Die Veranstaltung soll um 18 Uhr am Heumarkt beginnen, bevor über den Neumarkt und den Friesenplatz zum Rudolfplatz gezogen werden soll.
Am vergangenen Samstag nahmen nach Polizeiangaben bereits rund 1.000 Menschen an einer von einem städtischen Jugendbündnis organisierten Demonstration durch die Hanauer Innenstadt teil, bei der sie an die Opfer erinnerten und zum Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufriefen. Die Veranstalter schätzten die Zahl sogar auf etwa 1.500 Teilnehmer.
Bundespräsident Steinmeier am Mittwoch in Hanau
Nach dem Protestzug versammelten sich Hinterbliebene, Freunde und Unterstützer zu einem Gedenkabend im Veranstaltungszentrum Congress Park Hanau. Die Veranstaltung war laut Duman als „selbstbestimmtes Gedenken“ von der Initiative organisiert worden und setzt sich damit von der offiziellen Gedenkfeier am Mittwoch ab. Mehrere Rednerinnen und Redner erneuerten die Kritik an Politik, Polizei und Justiz, denen sie mangelnden Aufklärungswillen und fehlende Konsequenzen für damals verantwortliche Politiker und Beamte vorwarfen.
Am selben Ort findet am Mittwoch (12.00 Uhr) die offizielle Gedenkveranstaltung des Landes Hessen und der Stadt Hanau statt, zu der der Bundespräsident kommt. Geplant sind auch Reden von Hinterbliebenen.
Die Hinterbliebenen und ihre Unterstützer hadern auch fünf Jahre nach der Tat weiter mit dem nach ihrer Ansicht mangelnden Aufklärungswillen staatlicher Einrichtungen und dem Ausbleiben von Konsequenzen für Politiker wie dem früheren Innenminister Peter Beuth (CDU) und führende Polizisten. „Das ist enttäuschend und zum Verzweifeln“, kritisiert Duman. Dabei hätten die Angehörigen und ihre Unterstützer vieles zur Tatnacht und zum Versagen staatlicher Stellen ans Tageslicht gebracht.
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Ein Graffiti mit den Portraits der Ermordeten am Mauenheimer Gürtel in Köln 2020. (Archiv)
Copyright: Michael Bause
Der Versuch zweier Hinterbliebenenfamilien, mit Strafanzeigen die Ermittlungen rund um die Tat wieder ins Rollen zu bringen, scheiterte kurz vor dem fünften Jahrestag der Tat. Die Staatsanwaltschaft Hanau lehnte dies in beiden Fällen ab.
Bei der einen Strafanzeige sah die Behörde im Januar bei einer abermaligen Prüfung kein „strafrechtlich relevantes Fehlverhalten“ führender Polizeibeamter und stellte die Ermittlungen ein. Dabei ging es vor allem um den Vorwurf der Nichterreichbarkeit des polizeilichen Notrufs in der Tatnacht. Bei der Prüfung der anderen Anzeige kam die Behörde laut Mitteilung vom Freitag zu dem Schluss, dass bei den vorgebrachten Vorwürfen kein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliege beziehungsweise keine neuen Tatsachen bekanntgeworden seien.
Standort für ein Mahnmal in Hanau gefunden
Getroffen wurde noch eine andere Entscheidung: Nach langem Hin und Her einigte sich die Stadt Hanau mit der großen Mehrheit der Hinterbliebenenfamilien auf den Standort eines Mahnmals für die Anschlagsopfer. Es wird am geplanten Haus für Demokratie und Vielfalt errichtet, das zwischen den beiden Tatorten liegt und bis 2026 fertiggestellt sein soll. Die Hinterbliebenen hatten sich lange für den Marktplatz als Standort eingesetzt.
Die Stadt hatte diesen Vorschlag wegen der historischen Verbindung des Platzes zu den Brüdern Grimm und seiner Nutzung durch Wochen- und weitere Märkte als ungeeignet abgelehnt und sich für den jetzt gefundenen Ort ausgesprochen. Rechtzeitig vor dem fünften Jahrestag machte die Stadtverordnetenversammlung vor wenigen Tagen den Weg dafür frei.
Ein „Mahnmal gegen unseren Willen“
„Unser politischer und mein persönlicher Fokus liegen darauf, wie wir die Stadtgesellschaft zusammenhalten können“, sagte OB Kaminsky. Die Stadt habe durch die verstärkte Förderung von Jugendarbeit, die Planung des Hauses für Demokratie und Vielfalt eine zentrale Anlaufstelle in der Innenstadt und die Unterstützung verschiedener Programme zur Demokratieförderung und Extremismusprävention viel getan.
Nicht alle Hinterbliebenen sind mit dem Standort einverstanden. „Die machen ein Mahnmal gegen unseren Willen“, sagt Armin Kurtovic, der nach wie vor den Marktplatz favorisiert. Zur offiziellen Gedenkfeier von Stadt und Land will Kurtovic nicht gehen. Er habe genug davon, wie staatliche Stellen sich „wegducken, verstecken und aus der Verantwortung ziehen“, sagt Kurtovic.
Aufklärung und Konsequenzen: Das verlangen auch die in der Initiative 19. Februar zusammengeschlossenen Menschen. Solange Behörden bei Anschlägen dicht machten und Fehler nicht einräumten und solange es keine Transparenz bei einem Behördenversagen gebe, könne sich ein Anschlag wie der vor fünf Jahren jederzeit wiederholen, sagte Sprecherin Duman. (dpa / red))