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Gleichschaltung vor WahlTürkei schränkt unabhängige Berichterstattung weiter ein

Lesezeit 4 Minuten
Erdogan Gleichschaltung Wahl 040

Gegen unliebsame Berichterstattung geht die türkische Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan schon seit längerem rigoros vor.

Istanbul – Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jüngst eine Erhöhung des Mindestlohnes bekanntgab, war ihm ein begeistertes Medienecho gewiss. „Freudenbotschaft“ lautete die Schlagzeile in vielen Zeitungen und Fernsehsendern, denn die Regierung kontrolliert die meisten von ihnen. Nur wenige Blätter, Sender und Internetplattformen stellten klar, dass die Lohnanhebung für Millionen Beschäftigte nicht einmal ausreicht, um die Inflation auszugleichen.

Kritische Medien in der Türkei stehen unter Druck

Und für Türken wird es künftig immer schwieriger, kritische Berichte zu finden, denn die Regierung erhöht vor den Wahlen im kommenden Jahr den Druck auf die Medien – auch auf westliche Anbieter mit türkischem Inhalt. Zum ersten Mal verbot die Türkei nun auch die türkischsprachigen Internetangebote öffentlich-rechtlicher Medien aus dem Westen.

Sender wehrt sich

DW-Intendant Peter Limbourg hat angekündigt, dass sich der Sender gegen das Vorgehen der türkischen Regierung wehren wird. „Gegen die nun erfolgte Sperrung wird die DW den Rechtsweg nutzen“, erklärte Limbourg. Der Aufforderung, eine Lizenz für Internetseiten-Angebote zu beantragen, sein man nicht nachgekommen, weil dies „die Zensur von redaktionellen Inhalten durch die türkische Regierung ermöglicht hätte“. So seien lizenzierte Medien zur Löschung von Online-Inhalten verpflichtet, die die türkische Aufsichtsbehörde für unangemessen erachte. „Das ist für einen unabhängigen Medienanbieter schlicht inakzeptabel.“ (dpa)

Auf Antrag der Rundfunk-Kontrollbehörde RTÜK sperrte ein Gericht in Ankara den Zugang zur Internetseite der steuerfinanzierten Deutschen Welle (DW) und zum türkischen Angebot des vom US-Kongress finanzierten Senders Voice of America (VoA). Die Rundfunkaufsicht erklärte, sie respektiere die Pressefreiheit, aber die Medien müssten sich an die Gesetze halten. Vertreter der Regierung haben im RTÜK-Vorstand die Mehrheit.

„Hier habt ihr eure Pressefreiheit“

„Hier habt ihr eure Pressefreiheit und eure moderne Demokratie“, lautete der sarkastische Kommentar von Ilhan Tasci, einem Oppositionsvertreter bei RTÜK, nach der Sperrung von DW und VoA. Der Journalistenverband CGD warf RTÜK daraufhin vor, sich als Knüppel der Regierung missbrauchen zu lassen. RTÜK verurteilte kürzlich vier oppositionelle Fernsehsender zu Geldstrafen, weil sie über eine Ansprache von Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu berichtet hatten.

Nach einer Zählung von RTÜK-Mitglied Tasci hat die Behörde im ersten Halbjahr Geldbußen von insgesamt zehn Millionen Lira (570000 Euro) gegen Oppositionssender verhängt. Regierungskritische Anstalten erhielten demnach 30 Strafen, regierungsnahe Häuser hingegen nur drei.

Staat geht gegen Journalisten vor

Der Staat belässt es aber nicht bei Geldstrafen. Der Opposition zufolge wurden allein im Juni 30 Journalisten in der Türkei festgenommen. Zwanzig von ihnen kamen bei einer Polizeiaktion im kurdischen Südosten des Landes in Haft.

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Die Polizei durchsuchte die Büros der Journalisten und beschlagnahmte ihre Computer. Laut Regierungsmedien wird den Journalisten vorgeworfen, sie unterstützten die Terrorgruppe PKK. Auf dem Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter Ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 erfassten Staaten.

Gesetz gegen kritische Kommentare im Netz

Vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die spätestens im nächsten Juni stattfinden müssen, könnte der Druck noch zunehmen. Die Regierung arbeitet an einer Novelle des Pressegesetzes, die Haftstrafen von bis zu drei Jahren für jeden vorsieht, der „irreführende“ Nachrichten verbreitet und damit „Angst und Panik“ auslöst.

Mit dem geplanten Gesetz werde die regierungstreue Justiz vor der Wahl tausende kritische Twitter-Kommentare verfolgen können, sagt der Medienexperte Yaman Akdeniz. Die Verabschiedung ist für Oktober geplant.

Damit würde die Regierung eine Lücke schließen. Sie hat über regierungsfreundliche Verleger die meisten konventionellen Medien auf ihre Linie gebracht, doch bei den sozialen Medien und dem Internet ist ihr das bisher nicht gelungen.

DW und VoA bieten Inhalte weiter online an

Presserechts-Aktivisten sehen in der Sperrung von DW und VoA einen Versuch dazu. Ziel der Zensur gegen die beiden ausländischen Sender sei es, „vor den Wahlen im nächsten Jahr kritische Medien zum Schweigen zu bringen“, erklärte Gulnoza Said, Direktorin für Europa und Zentralasien beim Committee to Protect Journalists in New York.

Ob die Regierung damit durchkommen wird, ist offen. DW und VoA bieten trotz der Gerichtsentscheidung weiter türkische Berichte im Internet an. Per Twitter, wo sie gemeinsam mehr als eine Million türkische Follower haben, geben sie ihren Lesern Ratschläge, wie sie die Zugangssperren umgehen können.