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Kreml-Lügen und Hamas-Fans in BerlinWagenknecht attackiert Baerbock und FDP-Politikerin – Wirbel um „Friedensdemo“

Lesezeit 5 Minuten
Sahra Wagenknecht, leader of the left-wing Sahra Wagenknecht Alliance (BSW) party
addresses an anti-war demonstration in Berlin on October 3, 2024. (Photo by RALF HIRSCHBERGER / AFP)

Sahra Wagenknecht spricht bei der „Friedensdemo“ am 3. Oktober in Berlin. Im Publikum fanden sich dort auch Russland-Unterstützer und Hamas-Anhänger. Wagenknecht wiederum Annalena Baerbock mit scharfen Worten.

Tausende demonstrieren in Berlin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Wagenknecht bekommt Beifall – und liefert harte Attacken.

Eine „untere fünfstellige Zahl“ an Menschen ist am Donnerstag in Berlin zu einer von den Veranstaltern als „Friedensdemo“ bezeichneten Kundgebung gekommen, das erklärte die Polizei in der Hauptstadt. Die Veranstalter sprachen derweil von „weit über 40.000“ Menschen.

Bei der Demonstration, bei der Sahra Wagenknecht die wohl prominenteste Rednerin war, zeigte sich im Publikum eine mitunter krude Mischung aus Friedensaktivisten, Gewerkschaftern, aber auch eindeutigen Unterstützern der faschistischen Regierung in Moskau sowie der Terrororganisation Hamas. Wagenknecht wurde für ihren Auftritt gefeiert – anders erging es SPD-Politiker Ralf Stegner, der ausgebuht wurde.

Demo in Berlin: Friedensaktivismus gemischt mit Kreml-Propaganda

„Wir sehen heute, die Friedensbewegung lebt“, rief zunächst die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch von der Bühne im Tiergarten. „Frieden schaffen ohne Waffen“ stand auf Schildern und „Raus aus der Nato“ – fast so wie in den 1980er Jahren in Westdeutschland. Jedoch auch eindeutige russische Propaganda-Botschaften waren zu sehen: So gab es Schilder, auf denen die „Entnazifizierung“ der Ukraine gefordert – und damit eine Lüge des Kremls verbreitet wurde.

Sahra Wagenknecht bei ihrem Auftritt in Berlin. Die BSW-Chefin wünschte Kritiker an die Front und nannte Annalena Baerbock ein „Sicherheitsrisiko“.

Sahra Wagenknecht bei ihrem Auftritt in Berlin. Die BSW-Chefin wünschte Kritiker an die Front und nannte Annalena Baerbock ein „Sicherheitsrisiko“.

Die Organisatoren hoffen derweil auf eine Neuauflage der Friedensdemonstrationen aus den 80er Jahren. Diese könnte wohl auch im Bundestagswahlkampf 2025 mitmischen. „Ihr seid zu Beginn dieser großen neuen Bewegung dabei, die dieses Land hoffentlich friedlicher und friedfertiger machen wird“, sagte Mitorganisator Reiner Braun. Nach eigenen Angaben hat er schon gegen den Nato-Doppelbeschluss von 1979 protestiert.

Sahra Wagenknecht als Ikone der „Friedensbewegung“

Dazu kamen Protagonisten wie die Ostberlinerin Lötzsch und der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler, der nach eigenem Bekunden zum ersten Mal auf einer Demonstration der Friedensbewegung sprach. Und natürlich die Ikone der Bewegung: Parteigründerin Wagenknecht, die auch hier den größten Beifall bekam.

Wagenknecht sprach für den Frieden und für Diplomatie statt Waffen sowohl in der Ukraine als auch im Nahen Osten. Aber sie sparte dabei nicht mit Verbalattacken. Die BSW-Chefin kritisierte wieder vehement die Ampel-Koalition, die blind das tue, was irgendwer in Washington vorgebe.

Sahra Wagenknecht will die „verdammten Raketen“ verhindern

Sie nannte Kremlchef Wladimir Putin einen Verbrecher, geißelte aber zugleich Angriffskriege der USA. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sei ein Sicherheitsrisiko. Politiker wie Anton Hofreiter (Grüne) oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) wünschte sie kurzerhand in einem „Bataillon der Kriegstüchtigkeitsmaulhelden“ an die Front.

Sie sollten mal in der Ukraine erleben, wie Krieg wirklich sei, befand Wagenknecht, die im Gegensatz zu den von ihr kritisierten Politikern bisher nicht in die Ukraine gereist ist. Auch Wagenknecht formulierte unterdessen das Hauptziel dieser neuen Bewegung: „Wir müssen diese verdammten Raketen verhindern.“ Gemeint waren damit nicht die russischen.

Selbstverteidigungsrecht der Ukraine: SPD-Politiker Ralf Stegner ausgebuht

Wagenknecht meint damit vielmehr die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ab 2026, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt hatte. Scholz argumentiert, Deutschland brauche die Waffen zur Abschreckung. Es gebe eine Raketenbedrohung durch Russland. Kritiker halten dagegen, durch die Raketenstützpunkte werde Deutschland zum Angriffsziel. Zudem werde ein Wettrüsten eingeleitet.

Auch Ralf Stegner, Bundestagsabgeordneter der Regierungspartei SPD, sieht die Raketen skeptisch – musste jedoch feststellen, dass das Publikum in Berlin auch ihm mit Skepsis entgegentrat. Auf der Bühne tat Stegner sich schwer, gegen Pfiffe und Buhrufe durchzudringen.

SPD-Politiker Ralf Stegner wurde für seine Worte zur Ukraine bei der „Friedensdemonstration“ in Berlin ausgebuht.

SPD-Politiker Ralf Stegner wurde für seine Worte zur Ukraine bei der „Friedensdemonstration“ in Berlin ausgebuht.

Die begannen, als Stegner vom Selbstverteidigungsrecht der Ukraine sprach und von der Nützlichkeit von Luftabwehr über ukrainischen Städten, die Schulen und Kinderkrankenhäuser vor russischem Terror schützt. „Kriegstreiber“-Rufe waren zu hören. „Aufhören“ und „Blablabla“ lauteten Kommentare aus der Menge, die offenbar wenig vom Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer hielt.

Auftritt mit Wagenknecht und Co: Parteiinterne Kritik an Ralf Stegner

Damit saß Stegner sehr unbequem zwischen allen politischen Stühlen. Denn aus seiner Partei musste er sich ebenfalls Vorwürfe anhören. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth kritisierte im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, Stegner trage zu einer Verschiebung des Diskurses bei.

„Wir haben uns von der AfD und Sahra Wagenknecht in eine Falle locken lassen. Sie und ihre nationalistisch-populistische Bewegung haben den Friedensbegriff gekapert“, meinte Roth. „Durch die hochemotionale Debatte ist ein gefährliches Vakuum entstanden, in dem die Unterstützer der Ukraine als Kriegstreiber diskreditiert werden.“

Buhrufe auf für Sahra Wagenknecht – von Hamas-Unterstützern

Waffen­lieferungen seien kein Selbstzweck, sondern sollten der Ukraine helfen, aus einer Position der Stärke an den Verhandlungstisch zu treten, sagte Roth, der auch parallel zu Stegner bei einer Gegendemonstration in der Nähe aufgetreten ist. Argumente wie diese waren auf der Demonstration nicht zu hören.

Buhrufe musste sich unterdessen auch die Ikone der vermeintlichen „Friedensbewegung“ gefallen lassen – als Wagenknecht die Terrorattacken der Hamas kritisierte, antworteten einige Demonstranten: mit „Widerstand ist Völkerrecht“ und somit einer klaren Verharmlosung des islamistischen Terrors.

Kritik an „Friedensdemo“ in Berlin: „Lügensalve“ von Wagenknecht

Dementsprechend gab es schnell Kritik an der Veranstaltung in Berlin. Die von Wagenknecht in die Front gewünschte Strack-Zimmermann sprach von einer „Lügensalve“ von der „faulsten Bundestagsabgeordneten“. Wagenknecht „fabuliert von Leid, war im Gegensatz zu den von ihr Gescholtenen aber nie im Kriegsgebiet“, schrieb die FDP-Politikerin bei X.

„Die Frage des Anteils an russischen Geldern für diesen Dienst an Putin bleibt so mysteriös wie der Verbleib des verbrecherischen Vermögens der SED“, fügte Strack-Zimmermann an. „Mit Frieden hat das nichts zu tun“, befand derweil auch CDU-Politiker Ruprecht Polenz angesichts der von einigen Teilnehmern zur Schau gestellten Kreml-Propaganda in Berlin.

Ralf Stegner reagiert auf Buhrufe – und bekommt Kontra aus Köln

Der ausgebuhte SPD-Politiker Stegner meldete sich ebenfalls nach der Veranstaltung zu Wort. Die Pfiffe und Buhrufe hätten gezeigt, dass man die Friedensbewegung „nicht Populisten überlassen dürfe“, befand Stegner – und kritisierte, dass nun „tausende Friedensdemonstranten“ pauschal „abgekanzelt und diffamiert“ werden würden, weil einige gepfiffen und gebuht hätten. Sein bereits im Vorfeld umstrittener Auftritt sei jedoch richtig gewesen, erklärte Stegner.

Seine Kritiker ließen das jedoch nicht so recht gelten – Kritik am Auftritt des SPD-Politikers kam dabei auch aus Köln: „Sie hätten jetzt schreiben können: Ich war auf der falschen Demo. Aber das hätte zumindest ein Fünkchen von Lernbereitschaft vorausgesetzt. Die fehlt ihnen leider“, entgegnete der Kölner Politikprofessor Thomas Jäger dem SPD-Politiker bei X. „Was juckt es auch Ihr Weltbild, wenn sich die Realität nicht daran hält“, fügte Jäger an. Auch für die gesamte Veranstaltung könnte man zu diesem Ergebnis kommen. (mit dpa)