Forderung von SozialbündnisMehr Geld für Hartz-IV-Empfänger?
Berlin – 600 statt 446 Euro Regelsatz vom Staat plus Miet- und Heizkostenübernahme und einen coronabedingten Extra-Zuschlag von 100 Euro im Monat – ginge es nach den Vorstellungen von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sollten Hartz-IV-Empfänger deutlich mehr Geld vom Staat erhalten.
Etwas bescheidener war unlängst die Präsidentin des Sozialverbands VdK. Verena Bentele reduzierte die Maximalvorstellung des Sozialbündnisses auf ein Plus von monatlich 100 Euro für die rund sieben Millionen Grundsicherungsempfänger. Den vom Bund beschlossenen einmaligen Corona-Zuschlag von 150 Euro für Hartz-IV-Bezieher bezeichnete Bentele als „Tropfen auf den brennend heißen Stein“. Die Sozialverbände begründen ihre Forderungen mit Mehrbelastungen der Ärmsten in der Corona-Krise.
In der Corona-Krise
Richtig ist, dass Hartz-IV-Bezieher in der Krise häufiger als andere in Situationen geraten können, die gesundheitsgefährdend sein könnten – wenn sie etwa auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Kinder in Grundsicherungshaushalten verfügen oft nicht über Laptops, um am Homeschooling teilnehmen zu können. Auf der anderen Seite stimmt aber auch, dass Menschen im Lockdown zwangsläufig weniger ausgeben können.
Der Staat hat Hilfsbedürftigen bereits kostenlose Masken zugesagt. Auch beim Homeschooling sind zusätzliche Hilfen in der Pipeline und dringend notwendig. Doch die geforderte drastische Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes dagegen wäre eine auf Dauer angelegte strukturelle Veränderung mit erheblichen Folgen für das gesamte Gefüge des Sozialsystems, den Arbeitsmarkt und die Steuerzahler.
Anhebung könnte mehr Menschen in Grundsicherung treiben
Würde der Regelsatz auf 600 Euro angehoben, wären erheblich mehr Menschen anspruchsberechtigt, weil ihre Einkünfte das neu definierte höhere Existenzminimum nicht übersteigen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hatte ausgerechnet, dass schon ein um 45 Euro höherer Regelsatz eine Viertelmillion Menschen zusätzlich in den Hartz-IV-Bezug brächte. Bei einer Anhebung um mehr als das Dreifache könnten also bis zu eine Million Menschen zusätzlich in die Grundsicherung fallen.
Das System
Ziel: Das Arbeitslosengeld II für Langzeitarbeitslose ist so hoch wie das Sozialgeld für Menschen, die nicht arbeiten können und die Grundsicherung im Alter für Senioren mit zu geringen Renten. Diese Transferleistungen sollen den Lebensunterhalt und das staatlich definierte menschenwürdige Existenzminimum sichern.Höhe Die jährliche Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze erfolgt an Hand der statistischen Daten von rund 60 000 Haushalten zu Einnahmen und Ausgaben. Die Höhe orientiert sich an den unteren 20 Prozent der Haushalte. 2021 gibt es 446 Euro im Monat für eine allein stehende Person, 401 Euro für Partner, 373 Euro für Kinder ab 15 Jahren, 309 Euro für Kinder von sechs bis 13 und 283 Euro für Kinder bis sechs Jahre. Hinzu kommt ein Zuschuss für Miete und Heizung in einer angemessenen Wohnung.Regelbedarf: Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat sowie zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. Die Leistungen erhalten Personen, die ihre Hilfebedürftigkeit nachgewiesen haben. (mar)
Entsprechend höher wären die Kosten. IAB-Vizechef Ulrich Walwei beziffert sie auf einen jährlichen Betrag „im unteren zweistelligen Milliardenbereich“. Bisher gibt der Bund für Hartz-IV-Empfänger jährlich mehr als 43 Milliarden Euro aus. Die Zusatzkosten würden auch die Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer einbeziehen, da auch das steuerfreie Existenzminimum deutlich angehoben werden müsste.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Gravierend wären auch die Auswirkungen am Arbeitsmarkt. Ökonomen können nachweisen: Je höher der staatliche Transfer, desto geringer der Anreiz zur Arbeitsaufnahme bei denen, für die Grundsicherung eine alternative Einkunftsquelle darstellt. „Weniger Personen dürften ihre Arbeitskraft dem Markt zur Verfügung stellen“, sagt IAB-Experte Walwei. Bei einer Erhöhung des Regelsatzes um 45 Euro und voller Inanspruchnahme der Leistungen habe sich im Simulationsmodell ein negatives Arbeitsangebot von über 100 000 Personen ergeben. Eine Anhebung des Regelsatzes um das Dreifache der simulierten Summe auf 600 Euro könnte also bis zu 300 000 Langzeitarbeitslosen produzieren.
Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, ist überzeugt, dass vor allem Geringqualifizierte weniger Chancen hätten: „Um das Lohnabstandsgebot zu wahren, müssten die Gewerkschaften deutlich höhere Tariflöhne durchsetzen und der Mindestlohn müsste steigen. Vor allem Geringqualifizierte hätten in der Folge schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Feld.