Jedes Jahr scheitert eine dreistellige Zahl an Rückführungen per Flugzeug vor dem Start. Wie kann es dazu kommen?
Fehlendes AufenthaltsrechtWenn der Pilot die Abschiebung stoppt
Unzählige Flieger starten täglich an deutschen Flughäfen. Nicht immer sind nur Touristen und Geschäftsleute an Bord – manchmal nehmen auch Menschen Platz, die eine Reise ohne baldige Rückkehr antreten: Jedes Jahr schiebt die Bundesregierung Tausende Menschen per Flugzeug ab, weil sie kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzen. Und gar nicht so selten geht genau jenes Vorhaben gründlich schief.
Eine Auswertung der Bundespolizei auf Anfrage unserer Redaktion zeigt: Jedes Jahr scheitert eine dreistellige Zahl solcher Abschiebungen per Linien- oder Urlaubsflieger, weil Fluggesellschaften beziehungsweise Piloten sich weigern. 2200 derartige Vorgänge hat es seit 2015 gegeben. Allein für die Monate Januar bis Mai dieses Jahres verzeichnete die Bundespolizei 93 entsprechend abgebrochene Abschiebungen. Manchmal begleiten Polizisten die Personen.
Schreien nach dem Scheitern
„Crews werden relativ kurzfristig informiert, ob sich eine Person an Bord befindet, die abgeschoben wird“, sagt Lars Frontini, Pilot und Mitglied der „Vereinigung Cockpit“. Er war selbst schon Kapitän auf solchen Flügen. „Geht der Flug in ein anderes europäisches Land, kommt es meiner persönlichen Erfahrung nach selten zu Problemen. Meist sind es Flüge in Länder außerhalb Europas, auf denen Abzuschiebende sich wehren“, berichtet Frontini. „Offenbar spielt die Perspektivlosigkeit eine Rolle. Ein Rückflug in die Türkei oder Tunesien bedeutet, dass die Flucht gescheitert ist.“
Um das zu verhindern, zeigen manche Betroffene im Flugzeug „renitentes Verhalten“, wie es die Bundespolizei nennt. In der Praxis heißt das laut Frontini, dass die Menschen herumschrien oder sich weigerten, vor dem Start Platz zu nehmen. „Menschen an Bord dürfen grundsätzlich nicht gefesselt sein. Wenn sich also jemand nicht hinsetzt, muss das Bordpersonal angemessen reagieren.“
Und das könne im Zweifelsfall zum Abbruch des Starts führen. „Dann drehen wir um, rollen zurück und lassen den Passagier abholen. Das ist meine Entscheidungsgewalt als Pilot. Ich bin für die Sicherheit an Bord verantwortlich“, sagt Frontini.
Die meisten Abschiebungen verlaufen erfolgreich
Meistens verlaufen die Abschiebungen aus Sicht des Staates erfolgreich. Dass das Flugzeug im letzten Moment umdreht, ist eher die Ausnahme: Allein 2022 wurden 10.777 Menschen auf dem Luftweg aus Deutschland abgeschoben. Dabei werden nicht nur Linienflüge genutzt. Manchmal werden gleich ganze Maschinen für Rückführungen gemietet.
Das Bundesinnenministerium erklärte dazu kürzlich auf Anfrage der Linken: „Im Jahr 2022 wurden 4062 Personen im Zuge von 110 Sammelchartermaßnahmen direkt in ihr Herkunftsland rückgeführt.“ Eine kleine dreistellige Zahl an Menschen wurde per Charterflieger in andere EU-Staaten gebracht. Kostenpunkt für alle Rückführungen per Flugzeug: knapp 4,3 Millionen Euro.
Besonders teuer aus Sicht des Steuerzahlers wird es immer dann, wenn vergleichsweise wenige Menschen geflogen werden. So gab es 2022 laut Auflistung des Ministeriums sogar drei Flüge, mit denen nur eine Person abgeschoben wurde – nach Bulgarien, Schweden und in die Türkei. Fünf bis sechs Polizisten flogen jeweils mit.
Die Kosten allein für diese Chartermaschinen beziffert das Ministerium mit jeweils deutlich mehr als 20.000 Euro . Der Flug in die Türkei kostete beispielsweise fast 70.000 Euro. Wer die Person war, deren Abschiebung der Bundesrepublik so viel Geld wert war, benennt das Ministerium indes nicht. Erheblich günstiger sind da wohl die Rückführungen per Ferien- und Linienflieger. Allerdings bekommen es dann hier auch deutlich mehr Menschen mit, wenn die Maßnahme scheitert.
Pilot Frontini sagt, er mache sich vor dem Start ein Bild von der Person, zu deren Abschiebung er beitragen soll. „Was man da erfährt, lässt einen natürlich manchmal zweifeln, gerade dann, wenn die Betroffenen sich ein richtiges Leben in Deutschland aufgebaut haben. Ist es richtig, was der Staat da macht?“ Am Ende, betont Frontini, sei er als Pilot aber verpflichtet, „den Flug und den Beförderungsauftrag“ durchzuführen. Eine Weigerung aus ethischen Gründen sei nicht möglich.