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FDP-GeneralsekretärGleichzeitiger Ausstieg aus Atom und Kohle war Fehler

Lesezeit 4 Minuten
FDP-CHef Christian Lindner ist unscharf im Vordergrund zu sehen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schaut ihn an.

Bihan Djir-Sarai mit FDP-Chef Christian Lindner (l.).

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verteidigt das neue Bürgergeld und erklärt, warum er den beschlossenen Atomausstieg im April nicht für ausgemacht hält – und die Fracking-Debatte heuchlerisch findet.

Herr Djir-Sarai, das Bürgergeld ist beschlossen. Ist Hartz IV Geschichte?

Hartz IV ist überwunden, ja. Mit dem Bürgergeld haben wir eine dringend benötigte Modernisierung des Grundsicherungssystems vorgenommen. Künftig liegt der Fokus auf Qualifizierung und Weiterbildung, damit Menschen langfristig in den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Durch die Reform der Hinzuverdienstregeln lohnt sich Arbeit. Das Prinzip des Förderns und Forderns wird aufrechterhalten. Wir bleiben dabei: Jemand, der arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Sind Sie erleichtert, dass die Union sich beim Bürgergeld in so vielen Punkten durchgesetzt hat? Es ist gut, dass wir jetzt ein Ergebnis haben, bei dem alle im Boot sind. Dadurch wird auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Bürgergeldes erhöht. Es ist uns gelungen, das Gesetz noch besser zu machen, als es vorher war. Ich würde nicht sagen, dass sich eine Partei in den Verhandlungen besonders durchgesetzt hat – alle mussten sich bewegen. Für uns ist wichtig: die Herzensanliegen der FDP – leistungsfördernde Hinzuverdienstregeln und nachhaltige Qualifizierungsmöglichkeiten – bilden den Kern des Bürgergeldes. Außerdem bleibt die Altersvorsorge, auch für Selbstständige, komplett geschützt.

Ist ein Regelsatz von 503 Euro bei den aktuellen Preisen genug zum Leben?

Die Höhe der Regelsätze wird nicht politisch festgelegt, sondern erfolgt auf Basis einer transparenten statistischen Warenkorbmethode. Es ist gut, dass durch das Bürgergeld die Inflationsanpassung bei den Regelsätzen nun nicht mehr ein bis zwei Jahre hinterherhinkt. Robert Habeck hat in dieser Woche noch mal klargestellt, dass der Atomausstieg im April endgültig ist? Sehen Sie das auch so? Wir werden alles dafür tun, dass die Energiesicherheit im kommenden Jahr gewährleistet ist, etwa durch LNG-Terminals, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und neue Energiepartnerschaften. Zum jetzigen Zeitpunkt kann aber niemand seriös voraussagen, wann die Energiekrise, die Putin mit seinem barbarischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, vorbei sein wird. Ob die Laufzeiten über den April kommenden Jahres hinaus verlängert werden müssen, wird zu gegebener Zeit sachlich und nüchtern bewertet werden müssen.

„Schiefergasförderung bietet viele Vorteile“

Müsste es nicht liberale Politik sein, auf die Verknappung von Energie und hohe Preise mit einem größeren Angebot zu reagieren?

Selbstverständlich ist es jetzt notwendig, jede Möglichkeit zu nutzen, um zusätzliche Energiekapazitäten zu schaffen. Die heimische Schiefergasförderung beispielsweise bietet viele Vorteile. Deutschland importiert auf diese Weise gefördertes Erdgas schon jetzt aus den USA und Kanada. Da ist es doch heuchlerisch, diese Technik unter Einhaltung hoher Sicherheitsstandards nicht im eigenen Land anzuwenden. Im Übrigen könnten wir uns dann den Transport des Gases um die halbe Welt sparen. Auch beim Thema Kernkraft gibt es doch einen technologischen Fortschritt. Aber das sind Debatten, die wir in Deutschland nicht führen.

Ist das ein Fehler?

Die Entscheidung, gleichzeitig aus der Kohle und der Kernkraft auszusteigen, war mit dem Wissen von heute ein Fehler. Das heißt aber nicht, dass wir als FDP wieder in die Kernkraft einsteigen wollen. Die Zukunft gehört ganz klar den Erneuerbaren Energien. Ich bin überzeugt, dass wir technologieoffen bleiben müssen und bestimmte Technologien und Innovationen nicht von Vornherein verteufeln dürfen – erst recht nicht, wenn wir in solch einer Krisensituation stecken, wie es momentan der Fall ist. Daher ist es gut, dass sich die FDP in der Koalition vehement für den Weiterbetrieb der AKW über den Winter hinaus eingesetzt hat. Ohne uns wären die verbliebenen Kernkraftwerke zum Ende dieses Jahres vom Netz gegangen und die Energieversorgung wäre um einiges volatiler.

„Hohe Schulden machen Staat handlungsunfähig“

Ihr Parteichef und Finanzminister Christian Lindner hat seinen ersten Bundeshaushalt verabschiedet, mit 45 Milliarden Euro neuen Schulden, plus Sondertöpfe. Ist die Schuldenbremse nicht zum Etikettenschwindel verkommen?

Nein. Die Schuldenbremse gilt für den Kernhaushalt – das ist ein großer Erfolg. Denn die Schuldenbremse ist ein Instrument solider Staatsfinanzen und wirkt somit auch wie eine Inflationsbremse. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist außerdem ein wichtiges Signal an die Märkte. Heute ist es eine ganz andere Nummer, hohe Schulden zu machen, als noch vor ein paar Jahren. Die Zinslast steigt und steigt, im kommenden Jahr müssen wir im Vergleich zum Haushalt 2021 das Zehnfache an Zinsen zahlen. Hohe Schulden machen einen Staat auf Dauer handlungsunfähig. Ich wundere mich, dass in vielen öffentlichen Debatten in Deutschland Nachhaltigkeit immer mitgedacht wird, nur nicht bei den Staatsfinanzen.

Aber hohe Schulden machen Sie trotzdem. So hohe wie nie zuvor, wenn man die Sondervermögen dazuzählt …

Für den Kernhaushalt, aus dem die regulären politischen Vorhaben finanziert werden, gilt, wie ich bereits sagte, die Schuldenbremse. Zur Krisenbewältigung werden die notwendigen finanziellen Mittel zweckgebunden zur Verfügung gestellt. Wir müssen doch auf die neuen Herausforderungen reagieren. Das Sondervermögen für die Bundeswehr etwa ist so eine notwendige Investition. Es ist eine Antwort auf die Veränderung der Welt. Was wir mit dem Haushalt für 2023 nicht tun, ist, Geld für alle möglichen Vorhaben bereitzustellen, wie es unsere Koalitionspartner gern gesehen hätten. Denn: Wir sind in einer Krise, und finanzielle Solidität ist das Gebot der Stunde.