Vor der bevorstehenden erneuten Haushalts-Debatte bringt die FDP eine Kürzung des Bürgergeldes ins Gespräch. Die Reaktionen sind verheerend.
Empörung und Unverständnis„Fahr zur Hölle, FDP!“ – Reaktionen auf Forderung der Bürgergeld-Kürzung
FDP-Fraktionschef Christian Dürr fordert eine Kürzung des Bürgergeldes um bis zu 20 Euro monatlich. Angesichts der Inflationsentwicklung falle das Bürgergeld „aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch aus“, sagte Dürr der „Bild“-Zeitung. „Mein Vorschlag wäre eine Anpassung nach unten, weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde, als sie sich tatsächlich entwickelt hat. Das würde sowohl die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten als auch die Arbeitsanreize erhöhen“, so Dürr.
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, dass er die letzte Erhöhung des Bürgergelds für zu hoch halte. „Wir haben es heute mit einem System zu tun, das Defizite beinhaltet, falsche Anreize setzt“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. Hintergrund des Vorstoßes ist das erneut bevorstehende Gezerre um den Bundeshaushalt. Finanzminister Christian Lindner hatte angesichts einer noch einzusparenden Summe von fünf Milliarden Euro Kürzungen im Sozialbereich gefordert.
Bürgergeld-Forderung der FDP ist „schamlos“
Die Forderung der FDP stößt auf breite Kritik. Insbesondere im Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, schlagen die Wellen der Empörung hoch. Der ehemalige Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider findet den Vorstoß „schamlos“. Ausgerechnet die Ärmsten sollten den deutschen Haushalt sanieren. Nach seinen Berechnungen müssten die Bürgergeld-Sätze sogar um 40 Prozent steigen, um Armut zu verhindern.
Besonders heftig fällt die Kritik von Helena Steinhaus bei X aus. Die Sozialaktivistin und Autorin schreibt: „Fahr zur Hölle, FDP!“. Sie erklärt, die für das Bürgergeld relevanten Posten seien besonders stark von der Inflation betroffen, daher sei die derzeitige Höhe der Bezüge sinnvoll.
Das Bürgergeld soll den Lebensunterhalt sichern, und daher gibt es Posten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie und persönliche Bedürfnisse. Unbestritten ist, dass die Verbraucherpreise immer weiter anziehen. Erst vor wenigen Tagen verkündete das Statistische Bundesamt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland im Juli durchschnittlich 2,3 Prozent mehr ausgeben mussten als vor einem Jahr.
FDP ist gegen Vermögenssteuer – mit Bürokratie-Argument
WDR-Journalist Andreas Spinrath kritisierte die FDP am Sonntag im ARD-„Presseklub“ ebenfalls: Die Liberalen widersetzten sich seit Jahren vehement der Besteuerung von besonders Vermögenden und bezeichnen dies als „Bürokratiemonster“, wie Parteichef Lindner noch wenige Wochen zuvor verkündete. Spinrath dreht den Spieß um und sagt, es würde seit Jahren „viel politische Energie“ und Bürokratie darauf verwendet, „sehr, sehr arme Menschen, die im Bürgergeldbezug sind“ politisch zu durchleuchten. Überall werde geschaut: „Haben die vielleicht noch einen Euro zu viel, gehört ihnen noch dies oder jenes“.
Dies sei aber eine Symboldebatte. Vielmehr müsste man doch schauen, ob die Menschen, die viel besitzen, in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit nicht auch mehr Verantwortung übernehmen könnten. Hier wäre es seiner Meinung nach sinnvoll, politische Energie zu investieren.
Andere User verweisen darauf, dass die FDP und auch die Union, die ebenfalls regelmäßig gegen das Bürgergeld schießt, der turnusmäßigen Erhöhung zustimmten. Die Regelsätze wurden daher zum Jahreswechsel als Inflationsausgleich angepasst. Darauf weist die Grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke hin.
Die Höhe des Bürgergeldes sei daher auch überhaupt keine politische Frage, so die Arbeitsmarkt-Expertin. Auch eine Sprecherin des Bundessozialministeriums wies darauf hin, dass eine Kürzung des Bürgergelds auf Basis der aktuell geltenden Rechtslage gar nicht möglich sei.
Zuletzt war das Bürgergeld Anfang 2024 um insgesamt 12 Prozent gestiegen. Alleinstehende bekommen seither 563 Euro im Monat, 61 Euro mehr. 2025 müssen sich Empfängerinnen und Empfänger auf eine mögliche Nullrunde einstellen.
Armutsbetroffene erklären, was sie mit 20 Euro machen könnten
Dass 20 Euro weniger Bürgergeld den deutschen Haushalt nicht sanieren können, aber für Armutsbetroffene unter Umständen einen großen Unterschied machen, darauf weist diese Userin hin. Für 20 Euro könnte man einen Einkauf erledigen, reduzierte Kinderschuhe kaufen oder drei Kindern eine Woche lang die Brotdose füllen.
Hinzu kommt, dass die FDP-Forderung keinerlei Chance auf Realisierung hat, da SPD und auch Grüne gegen eine Zusammenstreichung des Bürgergeldes sind. „Ich beschäftige mich damit nicht, denn ich halte überhaupt nichts davon, ständig mit völlig unausgegorenen Ideen fern jeder Realität für Verunsicherung zu sorgen“, sagt der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, dem RND. Auch Rosemann verweist auf den gemeinsam beschlossenen Anpassungsmechanismus.
Auch der Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, lehnt den Vorschlag ab. Man wolle Familien „nicht der Willkür wilder und falscher FDP-Fantasien aussetzen“, so Audretsch zum RND.
Eine Kürzung des Bürgergelds wäre auf Basis der aktuell geltenden Rechtslage nicht möglich. Darauf hat das Bundessozialministerium hingewiesen.(mit dpa)