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Europa erwartet mehr MigrantenVier Ideen, was die EU jetzt tun kann

Lesezeit 4 Minuten

Flüchtlinge gehen in Spanien an Land.

Berlin – Noch läuft das Thema im Bundestagswahlkampf unter dem Radar, doch es kann ganz schnell zum heißen Eisen werden wie 2015, als der Familiennachzug die Schlagzeilen bestimmte: die Migration. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet mit einem „sehr intensiven Sommer“ und sagt 60000 Bootsflüchtlinge voraus, die in diesem Jahr über die Mittelmeerroute nach Europa kommen könnten – das wären so viele wie seit 2017 nicht mehr. Beim EU-Gipfel Ende dieser Woche steht das Thema ganz oben auf der Agenda.

Wie ist die Lage?

Trotz Corona waren im vergangenen Jahr weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor, laut UNHCR 82,4 Millionen. Grund sind Kriege, Krisen und Gewalt, aber auch wirtschaftliche Gründe – die Hoffnung auf ein besseres Leben. Gleichzeitig schwindet die Aufnahmebereitschaft: 42 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos, die Grenzen für Geflüchtete zu schließen.

Behördengewalt

Amnesty International wirft griechischen Behörden systematische Misshandlungen und erzwungene Rückführungen von Flüchtlingen vor. Griechische Grenzbeamte hielten Schutzsuchende gewaltsam und rechtswidrig fest, um sie in die Türkei zurückzuzwingen, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation. Solche illegalen „Push-Backs“ hätten System. „Der Organisationsgrad dieser Abschiebungen zeigt, wie weit Griechenland geht, um Menschen illegal zurückzuschicken und dies zu vertuschen“, kritisierte die Asylexpertin Franziska Vilmar. (epd)

Kanzlerin Angela Merkel will vor der Bundestagswahl vor allem eins: das Thema aus den Schlagzeilen heraushalten – auch um der AfD keine Steilvorlage zu liefern. Deshalb wird sie beim Gipfel Vorschläge unterstützen, die unstrittig sind, etwa Abkommen mit Drittstaaten, die die Weiterreise von Migranten nach Europa verhindern sollen. Heikle Themen dürfte Merkel außen vor lassen.

Vorschlag 1 – Das Abkommen mit der Türkei verlängern

Die EU und die Türkei sind sich grundsätzlich darüber einig, dass der Flüchtlingsvertrag von 2016 erneuert werden soll. Auch wenn Menschenrechtler den Deal massiv kritisieren, so war er ein Erfolg: Er stoppte vor fünf Jahren Hunderttausende Syrer, die auf dem Weg über Anatolien nach Griechenland und weiter nach Westeuropa waren.

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Der Inhalt des Deals: Die Türkei geht gegen unerlaubte Migration in die EU vor und nimmt Migranten zurück, die illegal auf den Ägäis-Inseln landen und von Griechenland zurückgeschickt werden. Im Gegenzug übernimmt die EU für jeden zurückgeschickten Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei und unterstützt das Land bei der Versorgung. Die Türkei hat dafür insgesamt sechs Milliarden Euro erhalten. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte, über das Thema werde der EU-Gipfel verhandeln; er sagte aber auch, „dass es ohne Geld nicht gehen wird“. Im Gegenzug dringt Ankara auf eine Modernisierung der Zollunion, die der türkischen Wirtschaft aus der Krise helfen soll.

Vorschlag 2 – Libyen unterstützen

Libyen ist ein Haupttransitland für Migranten und Flüchtlinge. Die EU unterstützt seit Jahren Libyen dabei, Bootsflüchtlinge von der Reise nach Europa abzuhalten. So hat die EU etwa die libysche Küstenwache mit ausgebildet und gibt Finanzhilfen, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Es bleibt allerdings politisch heikel: Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die libysche Küstenwache Boote zurückschleppe und die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehöhlt werde.

Vorschlag 3 – Bootsflüchtlinge verteilen

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi verlangt einen automatischen Verteilmechanismus, der die Bootsmigranten nach ihrer Ankunft auf andere EU-Länder verteilt. Sein Ziel: den Mittelmeerländern einen Teil der Last abzunehmen. Die Mehrheit der EU-Staaten, allen voran Ungarn und Polen, lehnt das ab. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verkündete gerade, jede Art von Migration für zwei Jahre verbieten zu wollen. Die Praxis sieht inzwischen so aus, dass kein EU-Staat zur Aufnahme von Geflüchteten gezwungen werden kann, jeder sich aber finanziell beteiligt.

Vorschlag 4 – Das ganze System ändern

Es gibt ein Schlagwort dafür, dass die Asylpolitik in Europa nicht funktioniert: das Dublin-Verfahren. Demnach ist der Staat für einen Asylbewerber verantwortlich, in dem der Betreffende erstmals europäischen Boden betritt. Sprich: die Mittelmeerländer wie Italien, Griechenland und Spanien sind enorm belastet. Sie lassen Migranten – gegen die Regeln – nach Norden weiterreisen. Eine Dublin-Reform ist seit Jahren im Gespräch, doch echte Fortschritte wurden nicht erreicht.