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Sozialer BrennpunktMarxloh bliebt Marxloh – wenig Veränderung im Problemviertel

Lesezeit 4 Minuten

Eine zersplitterte Fensterscheibe eines Ladens in Duisburg-Marxloh. Der Stadtteil ist in Verruf geraten als "No-Go-Area", in der sich die kriminelle Halbwelt tummelt.

Duisburg – Annemarie Keller (Name und Alter geändert) hat so gut wie aufgegeben. Die Konflikte mit den vielen Zugezogenen aus Südosteuropa haben die alte Dame zermürbt. Früher hat die 90-Jährige gerne aus dem Fenster ihres Elternhauses an der Hagedornstraße in Duisburg-Marxloh auf die Straße geschaut. Aber das sei lange her.

Seit Jahren schon kippen manche Armutsflüchtlinge vor ihrer Haustür regelmäßig ganze Schrottladungen ab, sortieren sie und packen sie in Lieferwagen um. Besonders aufgeregt habe sie sich aber über die drei ganzen Schweine, die einen Tag lang im Nachbargarten aufgespießt auf einem zum Holzkohle-Großgrill umgebauten Autoanhänger vor sich hingebrutzelt haben. Das habe vielleicht gestunken, sagt sie.

Absturz eines ganzen Viertels

Annemarie Keller ist nicht irgendeine Anwohnerin in Marxloh. Sie spricht für Alteingesessene der Hagedornstraße, einem Straßenzug, der sinnbildlich für den Absturz eines ganzen Viertels steht. Der Stadtteil im Norden von Duisburg gilt schon lange als sozialer Brennpunkt. Vor zwei Jahren hatte Keller deshalb einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, in dem sie die Leiden der Anwohner schilderte. Damals war Marxloh gerade bundesweit verschrien als "No Go Area", in die sich angeblich nicht einmal die Polizei mehr hineintraue.

Angela Merkel kam am 25. August 2015 nach Marxloh, um sich selbst ein Bild zu machen. Mit ausgewählten Bürgern sprach sie über die Probleme. Sie versprach, ihnen zu helfen. Auf diese Hilfe wartet Keller bis heute. Sie hat deshalb erneut einen Brief an die Kanzlerin geschrieben, in dem sie erzählt, was sich in den zwei Jahren geändert hat. Eine ernüchternde Bilanz, in der sie auch mit der Stadt Duisburg abrechnet, die ihrer Meinung nach viel zu wenig oder gar nichts gegen den Verfall unternehme - wie etwa gegen den blühenden Schrotthandel vor ihrem Haus.

Zuwanderer in Schrottimmobilien untergebracht

Die Kriminalität in dem Viertel ist auch verbunden mit den sogenannten Schrottimmobilien, in denen vor allem Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien untergebracht sind. Mehr als 18 000 von ihnen sollen in Duisburg leben, die meisten gehören der Volksgruppe der Roma an. Nach Einschätzung der städtischen Behörden ist das Betreiben dieser Häuser ein lukratives Geschäftsmodell: Aufgekauft werden diese heruntergekommenen Mietskasernen oft bei Zwangsversteigerungen.

Die neuen Eigentümer quartieren die Armutsflüchtlinge dann massenhaft ein. Zum Teil leben zehnköpfige Familien auf wenigen Quadratmetern zusammen. Ihre Sozialleistungen, die sie beziehen, behalten sie zum größten Teil nicht selbst, sondern überweisen sie auf andere Konten weiter. Über die Hintermänner und Besitzer dieser Konten ist wenig bekannt. Die Stadt versucht, das zu unterbinden, indem sie einzelne Schrottimmobilien aufkauft - und sie dann schließt und versiegelt.

Im Mehrfamilienhaus, in dem Annemarie Keller wohnt, leben auch einige zugewanderte Familien, die von staatlichen Zuwendungen leben. Deren Möbel, Herde und Waschmaschinen hätten schon kurz nach dem Einzug wieder auf der Straße gestanden, seien auseinandergenommen und dann wohl verkauft worden, sagt sie. Eine Familie, deren Kinder sie anfangs noch zum Kindergarten brachte, "schläft nur noch auf Matratzen, die auf dem Boden liegen".

Es tut sich ein bisschen

Es ist aber nicht so, dass sich gar nichts tut in Marxloh. Viele Anwohner engagieren sich freiwillig. Es gibt eine Reihe vielversprechender Integrationsprojekte von Kirchen, der Stadt und anderen privaten Einrichtungen. So gibt es dort seit einigen Wochen sieben "Straßenpaten", die mit Unterstützung von Sozialarbeitern dafür sorgen sollen, dass die Straßen nicht mehr so vollgemüllt werden. Auch sollen sie gezielt das Gespräch mit den Zuwanderern suchen und sie für die Müllproblematik sensibilisieren.

In Marxloh ging es nicht immer so zu. Vor dem Zweiten Weltkrieg war der Stadtteil gar eine der reichsten Gemeinden Deutschlands. Das Viertel lebte von den Werken der August-Thyssen-Hütte, deren Führungskräfte dort wohnten und die für ihre Mitarbeiter große Siedlungen baute. Nach dem Krieg und dem Wiederaufbau kamen die sogenannten Gastarbeiter. Sie zogen in die Wohnungen ein, die die Marxloher verlassen hatten, weil sie schöner und frei von Industriebelästigung wohnen wollten. Diese Migranten gaben dem Stadtteil ein neues Gesicht. Nach und nach zogen immer mehr Ur-Marxloher weg, damit gingen der Niedergang der Stahlindustrie und das Zechensterben einher.