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False-Flag-Aktion des Kremls?„Peskow lügt“ – Russland und USA liefern sich Schlagabtausch nach „Drohnenangriff“

Lesezeit 4 Minuten
Feuerball über dem Kreml: Eine Überwachungskamera hat eine der Explosionen über dem russischen Regierungssitz festgehalten.

Feuerball über dem Kreml: Eine Überwachungskamera hat eine der Explosionen über dem russischen Regierungssitz festgehalten.

Experten haben Zweifel an der Darstellung Moskaus. Der Kreml sieht die USA hinter der vermeintlichen Attacke, Washington reagiert.

Wer steckt hinter dem mutmaßlichen „Drohnenangriff“ auf den Kreml? Nachdem Moskau am Mittwoch bekannt gegeben hat, dass zwei „ukrainische Drohnen“ in der Nacht den russischen Regierungssitz attackiert haben sollen, stellt sich für Sicherheitsexperten die Frage, wer die Drahtzieher hinter der Attacke sind.

Der Kreml behauptet, die Ukraine habe die beiden Drohnen in Richtung Moskau entsandt – und damit ein Attentat auf Wladimir Putin verüben wollen und spricht von einem „Terrorakt“. In Kiew widerspricht man den Vorwürfen unterdessen vehement: „Wir greifen Putin und Moskau nicht an“, versicherte Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Angeblicher Angriff auf den Kreml: Indizien für eine False-Flag-Operation

Manche Experten sehen nun Indizien für eine sogenannte „False Flag“-Operation der russischen Seite. Damit sind geheime Einsätze gemeint, die unter der Flagge des Gegners durchgeführt werden, um dann auf den vermeintlichen Angriff reagieren zu können.

„Russland hat diesen Angriff wahrscheinlich inszeniert, um der russischen Öffentlichkeit den Krieg vor Augen zu führen und die Voraussetzungen für eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung zu schaffen“, heißt es in der Analyse des US-Thinktanks „Institute for the Study of War“ (ISW).

„Mehrere Indizien“ deuteten darauf hin, dass der Angriff „von innen geführt und gezielt inszeniert wurde“, erklären die US-Analysten. So sei es „äußerst unwahrscheinlich“, dass Drohnen „mehrere Schichten der Luftverteidigung“ hätten durchdringen können.

Experten: Ukrainischer Angriff auf den Kreml wäre „erhebliche Blamage“ für Russland

Auch dass die Flugobjekte direkt über dem Kreml detoniert seien und „spektakuläre Bilder“ produziert hätten, sei verdächtig. Laut den US-Experten hat Russland Pantsir-Luftabwehrsysteme in der Nähe von Moskau positioniert. Sollten Drohnen diese Verteidigungssysteme überwunden haben, sei das „eine erhebliche Blamage“ für das russische Militär.

Überwachungskameras haben den Moment der Explosion festgehalten. Links im Bild ist ein Feuerball über dem Kreml erkennbar. Russland beschuldigt die Ukraine und die USA für die Attacke verantwortlich zu sein.

Überwachungskameras haben den Moment der Explosion festgehalten. Links im Bild ist ein Feuerball über dem Kreml erkennbar. Russland beschuldigt die Ukraine und die USA für die Attacke verantwortlich zu sein.

Dass Russland zunächst nicht von dem vermeintlichen Angriff berichtet habe, deute zudem auf eine gezielte Inszenierung hin, bei der zunächst festgelegt worden sei, wie man der Öffentlichkeit das Ereignis verkaufen wolle. Obwohl der vermeintliche Angriff den Videoaufnahmen zufolge in der Nacht stattgefunden hat, informierte Moskau erst am Mittwochnachmittag über den angeblichen Angriff, der prompt als „Attentatsversuch auf Putin“ und „Terrorakt“ bezeichnet wurde.

Will Wladimir Putin sich mit einer False-Flag-Aktion die Unterstützung des heimischen Publikums sichern?

Bei einem derartigen „Überraschungsereignis“ sei eine solch konzertierte Reaktion wenig plausibel, so die ISW-Experten. Der Grund für eine mutmaßliche False-Flag-Aktion Russlands könnte der Feiertag anlässlich des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai samt Parade in Moskau sein. Der Kreml habe den angeblichen Angriff vermutlich inszeniert, „um den Krieg für sein heimisches Publikum als existenziell darzustellen.“

Das hält auch der ehemalige amerikanische Staatssekretär und CIA-Agent Michael Mulroy für plausibel. „Russland könnte dies als Vorwand nutzen, um Präsident Selenskyj ins Visier zu nehmen – was sie in der Vergangenheit bereits versucht haben“, sagte Mulroy gegenüber der BBC. Genau das passierte am Mittwochabend: Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew forderte die „physische Eliminierung Selenskyjs und seiner Clique“.

Dass die Ukraine hinter der Attacke auf den Kreml stecken könnte, gilt dennoch nicht als ausgeschlossen. „Wenn wir annehmen, dass es ein ukrainischer Angriff war, muss man ihn als Demonstration von Fähigkeiten betrachten“, erklärt der Russland-Experte Mark Galeotti auf Twitter. Damit würde Kiew die „klare Botschaft“ senden, dass „Moskau nicht sicher ist“.

Unklare Lage nach angeblichem Angriff auf den Kreml: „Putin braucht keinen False-Flag-Angriff“

Auch der Kölner Politikwissenschafter Thomas Jäger äußert Zweifel. „Putin braucht keinen False-Flag-Angriff auf den Kreml, um Repressionen im Innern oder Angriffe auf die Ukraine zu rechtfertigen“, erklärte der Professor für internationale Politik auf Twitter. Dass Moskau „Schwäche“ zeige nur um die öffentliche Meinung in Russland zu „aktivieren“, hält Jäger für „unplausibel“. Es könne auch schlichtweg um „Desinformation im Westen“ gegangen sein.

Auch Sicherheitsexperte Carlo Masala wollte sich im Gespräch mit dem ZDF nicht festlegen. Die Lage sei „schwer einzuschätzen“, erklärte der Politikwissenschaftler. „Alle Optionen machen Sinn und keinen Sinn“, führte Masala aus. Eine False-Flag-Aktion der Russen zeige eigentlich nur, wie „schwach die russische Regierung ist“. Sollte jedoch die Ukraine oder „Anti-Kreml-Gruppen“ in Russland hinter dem Angriff stecken, „dann war das ein massives Versagen des russischen Militärs“, erklärte Masala.

Recht sicher könne man derzeit sagen, dass es keine gezielte Attacke auf Wladimir Putin gewesen sei, dafür seien sehr konkrete Informationen über den Kremlchef notwendig gewesen. „Diese Interpretation würde ich ausschließen“, erklärte Masala.

Putin-Sprecher beschuldigt USA: „Wir wissen, dass solche Entscheidungen in Washington getroffen werden“

In Russland bleibt man unterdessen bei der eigenen Darstellung. Die Versuche, die Verantwortung für den „ukrainischen Angriff auf den Kreml“ zu leugnen, seien „absolut lächerlich“, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag gegenüber russischen Staatsmedien und unterstellte den USA eine Mittäterschaft. „Wir wissen sehr gut, dass Entscheidungen über solche Aktionen und solche Terroranschläge nicht in Kiew, sondern in Washington getroffen werden“, erklärte Peskow.

Das Weiße Haus wies die Anschuldigungen umgehend zurück. „Wir hatten damit nichts zu tun“, erklärte Sprecher John Kirby gegenüber MSNBC. „Herr Peskow lügt. Das ist offensichtlich eine lächerliche Behauptung“, fügte Kirby an.

Das russische Außenministerium bekräftigte derweil am Donnerstag, dass es sich „Vergeltungsmaßnahmen“ vorbehalte. „Russland wird gemäß der Einschätzung der Bedrohung reagieren, die Kiew für die Führung unseres Landes geschaffen hat.“ Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich bisher noch nicht zu dem angeblichen Angriff auf den Kreml geäußert.