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Debatte zu Corona-Spots der RegierungSind Sofa-Helden wirklich gute Vorbilder?

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Ein Paar liegt faul im Bett und und isst Hühnchen-Snacks. Die Bundesregierung wirbt mit augenzwinkernden Videos für das Zu-Hause-Bleiben in der Corona-Krise.

Die Bundesregierung hat unter dem Schlagwort „besondere Helden“ drei Videos veröffentlicht, mit denen sie für Kontaktbeschränkungen in Corona-Zeiten wirbt. Die Kampagne ist nicht unumstritten. Wir fassen die wichtigsten Fragen und Antworten hier zusammen.

Worum geht es in der Video-Kampagne?

Im ersten Video der Kampagne berichtet der fiktive Senior Anton Lehmann über den Corona-Winter 2020. Damals war er jung und feierte gern. Doch als die zweite Welle kam, erzählt er, blieb ihm nichts anderes übrig, als das einzig Richtige zu tun. Und zwar: „Absolut Nichts. Wir waren faul wie die Waschbären.“ Rückblende: Lehmann als Student (22) auf der Couch mit Chipstüte und TV-Fernbedienung. „So wurden wir zu Helden“, erzählt der ergraute Anton Lehmann in der Zukunft. Zum Abschluss des Videos appelliert die Bundesregierung: „Werde auch du zum Held und bleib zuhause.“

Warum gibt es Kritik an der Kampagne?

Nachdem Regierungssprecher Steffen Seibert das erste Video über den Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichte, verbreitete es sich schnell im Netz. Genauso schnell gab es die unterschiedlichsten Reaktionen. Auf Twitter kritisierten Nutzer, die Regierung verhöhne die wahren Helden der Krise, beispielsweise Pflegekräfte. Andere Nutzer kritisieren,  Probleme wie Einsamkeit, Existenzängste oder häusliche Gewalt hätten auch eine Rolle spielen müssen.

Entsetzt sind viele über die offensichtliche Anspielung auf Zeitzeugenberichte aus dem Krieg. „Unsere Couch war die Front. Unsere Geduld war unsere Waffe“, heißt es im ersten Video.  Eine „klischeehafte, kriegerische Soldatensprache“ attestierte Historiker Michael Wolfssohn in der „Bild“-Zeitung dem Videoclip. Glaube man, dass die Deutschen nur über solche „Kriegs-Sprachbilder zu disziplinieren“ seien? Wolfssohn: „ein Armutszeugnis“.

Gibt es auch Lob für die Kurzfilme?

Ja. Viele loben den Humor, mit dem die Bundesregierung die Botschaft vermittelt. „Auf die Art macht Verantwortung wenigstens Spaß“, schreibt Moderator und Autor Micky Beisenherz. Autor Sascha Lobo meint: „Manche Leute erreicht man so und nur so.“

Welche Einschätzung hat ein Marktforscher?

Der Diplom-Psychologe Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner rheingold-Instituts und Fachmann für Werbewirkung. Er findet Positives und Negatives an der Kampagne. „Der humorige Blick hat eine entlastende Funktion für die Jugend. Keine Generation stand je so unter Druck. Die Generation hat das Gefühl, sie müsste schon mit 20 Start-up-Millionär sein. Die Lizenz zum Faulsein trifft also auf etwas“, sagt Grünewald. Die Botschaft sei zudem auch von der Machart gut umgesetzt worden.

Sein Kritikpunkt: Corona sei für viele eine „ungeheure Ohmachtserfahrung“. Studien hätten gezeigt, wie sich die Menschen gegen diese Ohnmacht gestemmt hätten. Nicht, indem sie faul auf dem Sofa lagen. „Sie haben gehamstert, den Frühjahrsputz erledigt und damit gezeigt, dass sie sichtbaren Bedrohungen Herr werden können. Die Menschen haben den Lockdown nur überlebt, weil sie Handlungsheld geworden sind“, sagt Grünewald. All das werde in der Kampagne nicht wertgeschätzt.

Wie ist die Kritik am Heldenbild einzuordnen?

Das Spiel mit dem Heldenbegriff, das viele kritisieren, ist für Grünewald der augenzwinkernde Witz. „Das Heldentum, das sich normalerweise in Tätigkeiten zeigt, wir komplett konterkariert“, sagt er. Begriffe auf den Kopf zu stellen sei ein humoristisches Stilmittel. „Es ist ja auch ein Kulturfortschritt, dass die Gesellschaft heute nicht mehr an die Ostfront geschickt wird, sondern ins Home Office oder aufs Sofa“, sagt der Psychologe. Ob negativ oder positiv – über die Kampagne wird gesprochen. Wenn Werbung Aufmerksamkeit errege, sei das gut.