Das Wort zum SonntagVom Problem der geistigen Säkularisierung
An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser, meinte einst Charlie Chaplin. Das britische Allround-Genie der Unterhaltungsbranche hat diese Erkenntnis immer wieder selbst durchleben müssen. Seine Erfahrungen lassen sich jedoch auf viele Bereiche in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, selbst der Religion übertragen.
So hektisch und ratlos, wie sich derzeit die Energiepolitik europaweit darstellt, weil Versorgungsverträge subtil durchlöchert werden, so wirken auch die Versuche etwa der katholischen Konfession, ihre Existenz über den aktuellen Tiefpunkt hinaus in die Zukunft zu retten. Der politisch-gesellschaftlichen Säkularisierung kann die Institution Kirche wohl die Stirn bieten, dem wachsenden Sog der geistigen hat sie kaum etwas entgegenzusetzen.
Früher tat man diese Art Säkularisierung gern als ,Glaubensverdunstung’ ab, als deren Quelle aber nicht die Kirche selbst, sondern die ,weltliche’ Gesellschaft ausgemacht wurde. Weit gefehlt! Geistige Säkularisierung ist vornehmlich ein innerkirchliches Phänomen, wie die vielen Reformversuche im Verlauf der Kirchengeschichte belegen. Vorreiter waren dabei vielfach die Orden. Doch ihr Reformgeist ist erloschen. Und manche moderne Neugründung entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft nur als Instrument persönlicher Machtinteressen ihrer Gründer.
Bleibt wohl nur der Weg der loyalen ,Partizipation’. Der einer echten Teilhabe und nicht einer bloß scheinbeteiligten ,Mitsprache’. Verfechter kirchlicher Wagenburgmentalität klagen zu Recht das letzte Konzil an, das mit seiner Sicht von Kirche als dem ,wandernden Volk Gottes’ diesen Perspektivwechsel bewusst eingeleitet hat. Gläubige sind nun nicht mehr nur (zu betreuende) Objekte, sondern als (eigenständig) handelnde Subjekte Teil der kirchlichen Verkündigung (Joh 15, 15). Auf die ersten positiven Ergebnisse wartet aber ein weiter Weg, dessen größtes Hindernis der Mensch selbst ist, wie der russische Schriftsteller Leo Tolstoi meint: ,Alle wollen die Welt verändern, aber keiner sich selbst’.
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