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Geld zurückgefordertMehr als die Hälfte aller Antragssteller aus NRW soll Corona-Soforthilfe zurückzahlen

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 08.12.2022, Sachsen-Anhalt, Wettin-Löbejün: Eine Friseurmeisterin schneidet in einem Salon einer Kundin die Haare. (zu dpa: «Engpässe bei 21 Berufsgruppen in Thüringen») Foto: Jan Woitas/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Soforthilfen sollte ursprünglich als Überbrückungsmaßnahme für  Selbstständige und  Kleinunternehmerdienen - und nicht zurückgezahlt werden.

Schnell, pragmatisch, unbürokratisch - so waren die Corona-Soforthilfen gedacht. Nun fordern Behörden vielerorts Geld zurück.

Mehr als jeder fünfte Selbstständige oder Kleinunternehmer, der Corona-Soforthilfen erhalten hat, soll diese ganz oder in Teilen zurückzahlen. Das zeigt eine Recherche von WDR, NDR und Süddeutschen Zeitung. In Nordrhein-Westfalen ist laut einem Bericht der Tagesschau sogar jeder zweite betroffen, der Soforthilfen erhielt. In den meisten Fällen würden demnach werden nur Teile der erhaltenen Gelder zurückgefordert, in einem von hundert Fällen widerriefen die Behörden den Bewilligungsbescheid vollständig.

Rückschau März 2020: Erster Lockdown, Kontaktbeschränkungen - das öffentliche Leben steht still. Vor allem Betreiber von Lokalen, Bars oder Nachtclubs mussten die Monate überbrücken, in denen kein Publikumsverkehr möglich war. Nagelsalons, Friseure und andere Kosmetiksalons befanden sich in einer ähnlichen Lage. Für sie und viele andere Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige stellte die Soforthilfe eine essenzielle Unterstützung dar, um pandemiebedingte Umsatzausfälle zu kompensieren. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versprach damals: „Wir lassen niemanden allein.“

NRW-Ministerium zahlte pauschal Höchstbeträge aus

Das Konzept war klar: Schnelle, unmittelbare, finanzielle Hilfe - ohne großen bürokratischen Aufwand. 82 Prozent aller in NRW gestellten Soforthilfe-Anträge sollen laut Informationen des Rechercheverbundes genehmigt worden sein, ihnen wurde zunächst pauschal der Höchstbetrag ausgezahlt. Dass sie hierauf Anspruch haben, mussten die Antragssteller erst im Nachgang beweisen. Inzwischen wurden immer wieder Fälle bekannt, in denen das Hilfsangebot bewusst ausgenutzt wurde.

So hatten vor einem Jahr die Betreiber eines bekannten Burger-Restaurants im Belgischen Viertel in Köln vor Gericht gestanden, bewusst Corona-Soforthilfen in Millionenhöhe erschlichen zu haben. Das Landgericht Düsseldorf verurteilte im April drei Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen, weil sie mit Scheinfirmen Coronahilfen in Millionen abkassierten.

Anspruch unklar - Ministerium änderte Online-Information fortlaufend

Der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz betonte zum Start der Corona-Soforthilfe, es handele sich bei der Maßnahme um einen Zuschuss, nicht um einen Kredit. Es müsse also „nichts zurückgezahlt werden.“ Voraussetzung dafür wäre es gewesen, dass alle Antragssteller sich darüber im Klaren sind, ob und welchem Umfang sie für die Soforthilfe anspruchsberechtigt sind. Das erwies sich in der Praxis jedoch mitunter als kompliziert.

Das Foto zeigt die Internetseite des Wirtschaftsministeriums NRW.

Ob ein Anspruch auf die Soforthilfe besteht, sollten Antragssteller unter anderem über die Online bereit gestellten Informationen selbst einschätzen - diese änderten sich jedoch ständig. 

In einem Online-Informationsportal des Landes NRW stand zunächst, dass die Soforthilfe auch dazu diene, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt von Solo-Selbstständigen im Haupterwerb zu finanzieren. Der Absatz verschwand binnen drei Tagen von der Website, wie das Oberverwaltungsgerichts NRW 2023 in einem Berufungsverfahren feststellte. Tausende Kleinunternehmer und Selbstständige aus Nordrhein-Westfalen hatten zuvor gegen die Rückforderung von Corona-Soforthilfen durch das Land NRW geklagt - und Recht bekommen. Insgesamt seien die „Fragen-und-Antworten“ zu den Corona-Soforthilfen laut Urteilsbegründung zwischen dem 25. März und dem 31. Mai 2020 15 Mal geändert worden.

Betroffene wehren sich gegen Rückforderungen - Tausende Verfahren offen

Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt laut tagesschau.de, dass rund fünf Milliarden Euro an Corona-Soforthilfen zu viel ausgezahlt wurden. Teils seien die Antragsteller überhaupt nicht anspruchsberechtigt gewesen, in anderen Fällen sei bei berechtigten Anträgen zu viel ausgezahlt worden. In dem Bericht heißt es weiter, dass mehr als 5.000 Betroffene bundesweit gegen Rückforderungen geklagt hätten, etwa die Hälfte der Verfahren sei noch offen.

Ob die Antragssteller tatsächlich Geld zurückzahlen müssen ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In NRW hatte das Oberverwaltungsgericht NRW im März 2023 zugunsten eines Steuerberaters, einer Inhaberin eines Kosmetikstudios sowie eines Schnellrestaurant-Betreibers geurteilt und die (Teil-)Rückforderungen von Corona-Soforthilfen für rechtswidrig erklärt. Allerdings urteilten die Richter gleichzeitig, dass Behörden nicht benötigte Hilfsgelder noch zurückfordern dürfen. Ein bundesweiter Abschlussbericht zu den Corona-Soforthilfen soll laut den Informationen von WDR, NDR und SZ erst Ende 2025 vorliegen. (dla)